sozial-Branche

Obdachlosigkeit

Gastbeitrag

Hürdenlauf auf dem Weg ins Internet




Bettina König
epd-bild/Stadtmission Berlin
Die Pandemie wirkt wie eine Lupe, denn sie macht Schwächen der Sozialbranche, etwa beim Thema Digitalisierung, gut sichtbar. Nachholbedarf bei der Nutzung des Internets besteht allerorten. Doch wie gehen Obdachlose und ihre Betreuer mit den Schwierigkeiten um? Welche Möglichkeiten der Unterstützung gibt es? Bettina König von der Berliner Stadtmission geht diesen Fragen in ihrem Gastbeitrag für epd sozial nach.

Eine Woche ohne Smartphone? Für viele eine Horrorvorstellung. Mich eingeschlossen. Ich genieße gerade jetzt, während der Pandemie, mein Smartphone umso mehr. Die sozialen Medien halten mich auf dem neuesten Stand und ich bin im regen Austausch mit Familie, Freunden und Freundinnen. Eine Nachricht hier, eine Sprachnachricht da, noch ein Bild mit gesendet und das lustige Video mal eben weitergeleitet. Fragen zu verschiedenen Themen sind schnell auf diversen Suchmaschinen beantwortet. Halleluja! Und nun können wir sogar mit gutem Gewissen zu Hause bleiben und uns in voller Inbrunst unseren Smartphones, Laptops, Tablets und Fernsehgeräten widmen. #stayathome macht es möglich. Eher gesagt; die Digitalisierung macht es möglich, dass wir weiterhin in Kontakt bleiben und uns informieren können.

Klingt doch fabelhaft. Doch man übersieht dabei leicht, dass nicht alle Menschen an diesem Glück namens Digitalisierung teilhaben können. Als Sozialarbeiterin in einer Einrichtung für wohnungs- und obdachlose Menschen begegnen mir einige, die überhaupt keine technischen Geräte besitzen. Dabei ist die Digitalisierung in Zeiten von Corona von hoher Bedeutung.

Auch auf Ämtern geht offline nichts mehr

Ämter und Beratungsstellen stellen häufig auf telefonische und Onlineangebote um, um direkten Kontakt zu vermeiden. Anträge können online gestellt werden. Auch Arzttermine können mittlerweile via Videoanruf wahrgenommen werden. Tolle Fortschritte auch unabhängig von Corona. Auch bei unserer Arbeit nutzen wir Suchmaschinen und Apps, um unseren Klientinnen und Klienten Informationen rauszusuchen.

Doch steht das nicht teilweise im Widerspruch mit dem Auftrag der Sozialen Arbeit – der Hilfe zur Selbsthilfe? Natürlich kann die Beratung und Vermittlung an diverse Einrichtungen des Hilfesystems den betroffenen Personen weiterhelfen. Doch wäre es nicht zielführender, wenn die Klienten sich die Informationen selber holen könnten? Da liegt des Pudels Kern: Nicht alle Menschen haben Teil an der Digitalisierung. Wie oben schon erwähnt, besitzen nur wenige wohnungs- und obdachlose Menschen ein Smartphone oder andere technische Geräte, die den Weg ins Internet öffnen. Doch woran liegt das?

Das kann eine Vielzahl von unterschiedlichen Gründen haben. Um ein technisches Endgerät zu erwerben, braucht es schlicht und einfach Geld, und das Verständnis für technische Geräte. Auch kann die Sprachbarriere eine Rolle beim Kauf und beim Einrichten des Gerätes spielen.

Bedienung der Geräte ist ein Problem

Laut Bundesministerium für Bildung und Forschung können 6,2 Millionen Menschen in Deutschland nicht richtig lesen und schreiben. Das kann das Bedienen von technischen Endgeräten erschweren. Ist jetzt beispielweise ein Smartphone gekauft, muss für die optimale Benutzung noch einmal Geld für eine Sim-Karte in die Hand genommen werden. Um diese einzurichten ist seit 2017 ein Ausweisdokument erforderlich. Nicht alle wohnungs- und obdachlosen Menschen sind im Besitz eines solchen Papiers. Die Beschaffungen des Ausweisdokuments, des Smartphones und der Simkarte sind mit Kosten verbunden.

Sind alle Komponenten vorhanden und das Gerät wurde eingerichtet, wartet die nächste Herausforderung. Wo soll das Gerät aufgeladen werden? Wo gibt es freies WLAN? Wie sollen womöglich anfallendes Reparaturkosten beglichen werden? Und ein schickes Smartphone kann leider auch ganz schnell gestohlen werden.

Doch die Vorteile eines Smartphones sind wunderbar. Schnell bei Google Maps schauen, wie man zum nächsten Ort kommt. WhatsApp für die Kommunikation mit Bekannten, beim Jobcenter die Unterlagen einsehen, online Termine vereinbaren und auch bei der Wohnungssuche gibt es nützliche Apps. Ein technisches Endgerät kann Hilfe zur Selbsthilfe bedeuten.

Hilfe zur Selbsthilfe bleibt ein Thema

Somit ist festzuhalten werden, dass die Teilhabe obdachloser Menschen aus fachlicher Sicht unbedingt zu fokussieren ist. Es kann sinnvoll sein, die Hoheit über Informationen zu haben. Menschen müssen zu uns Beraterinnen und Beratern kommen, um an Informationen zu gelangen. Wir haben dann die Möglichkeit mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und auch miteinander zu arbeiten. Wenn ich Menschen allerdings fördern möchte und mein Gegenüber ernst nehme und wertschätze, darf das nicht das Argument sein.

Im Zusammenhang mit der Pandemie wurde viel über Kreativität gesprochen. Es konnten Projekte umgesetzt werden, die vorher nie möglich gewesen wären. Lassen Sie uns träumen, ins Land der Utopie eintreten. Wir laufen eine Straße entlang und am Straßenrand steht ein Tower mit eingebautem Tablet. Wir können an den Tower treten und haben die Möglichkeit über das integrierte Tablet Informationen zu bekommen: Wo ist die nächste Essensausgabe und wie komme ich dahin? Wir gehen noch einen Schritt weiter. An dem Tower gibt es die Möglichkeit, Geräte zu laden und wir alle können freies WLAN nutzen.

Wow! Was für eine Errungenschaft und was für ein einfacher Zugang zum Wunder Digitalisierung - auch für alle Menschen, die nicht auf Rosen gebettet sind. Zunächst bleibt das nur ein Traum: Aber die flächendeckende Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger an der Digitalisierung sollte nicht aus den Augen verloren werden.

Bettina König ist Diakonin und stellvertretende Leiterin der Bahnhofsmission Zoologischer Garten der Berliner Stadtmission.


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