sozial-Branche

Behinderung

"Der Wohnungsmarkt reguliert die Nachfrage nicht"



Menschen mit Behinderung suchen oft jahrelang nach einer geeigneten Wohnung. Die Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt wird immer größer. Die Caritas verweist auf eine aktuelle Studie und sieht vor allem die Politik in der Pflicht.

Die Suche nach bezahlbarem Wohnraum wird für Menschen mit Behinderung immer schwieriger. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Pestel Instituts für Systemforschung Hannover zur "Wohnsituation von Menschen mit Behinderung in Baden-Württemberg", die am 4. Februar vom Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart vorgestellt wurde.

Das steht der Inklusion im Weg: "Je knapper Wohnungen werden, umso stärker ist die Ausgrenzung von Menschen, die es schon immer schwer am Wohnungsmarkt hatten," sagte der Leiter des Kompetenzzentrums Sozialpolitik beim Diözesan-Caritasverband Rottenburg-Stuttgart Heiner Heizmann. Menschen mit Behinderungen suchten teilweise jahrelang nach einer bezahlbaren Wohnung.

Viele Hindernisse bei der Wohnungssuche

Bei der Wohnungssuche konkurrierten sie zunehmend mit anderen Personengruppen: Familien mit kleinen Kindern, Senioren, Hartz IV-Empfängern, Zugewanderten oder Asylsuchenden. Barrierefreiheit und die Notwendigkeit fachlicher Betreuung stellen neben dem Mietpreis für Menschen mit Behinderung ein zusätzliches Hindernis bei der Wohnungssuche dar, sagte Heizmann.

Laut der Studie fehlen aktuell in Baden-Württemberg 125.000 Sozialwohnungen, Tendenz steigend, sagte der Vorstand des Eduard Pestel Instituts für Systemforschung Hannover, Matthias Günther. In der Studie wurde der Wohnungsmarkt in baden-württembergischen Städten und Kreisen 2011 mit dem Wohnungsangebot Ende 2019 verglichen. Während es 2011 noch zahlreiche Regionen mit Wohnungsüberhang gab, galt dies acht Jahre später nur noch für den Kreis Freudenstadt.

Viele Erwartungen sind nicht zu erfüllen

Vor allem rund um Stuttgart, Freiburg, Heidelberg und Karlsruhe sind bezahlbare Wohnungen demnach Mangelware. Die Erwartungen von Menschen mit Behinderungen nach selbstbestimmtem Wohnen seien somit nur schwer zu erfüllen, stellte Thorsten Hinz fest, der Vorstand der Stiftung St. Franziskus in Schramberg-Heiligenbronn ist.

Gemäß Artikel 19 der UN-Menschenrechtskonvention, die seit 2009 in Deutschland in Kraft ist, müssen Menschen mit Behinderung gleichberechtigt entscheiden können, wo, wie und mit wem sie wohnen möchten. Eine automatische Festlegung etwa auf eine stationäre Unterbringung soll so vermieden werden. So sieht es auch das Bundesteilhabegesetzes vor. Es räumt, so der Gesetzestext, "Leistungsberechtigen … viel Raum zur eigenverantwortlichen Gestaltung ihrer Lebensumstände" ein.

Bei den stationären Angeboten zeichne sich bereits jetzt ein Strukturwandel ab, sagte Hinz. Während in den 1970er Jahren viele Menschen mit Behinderung in Wohnheimen lebten, gebe es heute Wohngruppen, Wohngemeinschaften oder Mehr-Generationen-Häuser. Dank ambulanter Hilfen könnten viele Betroffene auch bei ihrer Familie oder ihrem Partner leben. Für Schwerst-Mehrfachbehinderte müsse es jedoch trotz des Wandels der Wohnformen weiterhin betreute 24-Stunden-Einrichtungen geben.

Tausende Menschen warten auf passende Angebote

Die "Ambulantisierung stationären Wohnens ist eine Kraftanstrengung für alle Beteiligten", sagte Hinz. Bis 2025 müsse der Staat im Südwesten etwa 5.000 Menschen, die derzeit in einem Heim leben, ein Angebot zum ambulanten Wohnen machen. Dazu zähle auch ein behindertengerechtes Umfeld, etwa der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs auf dem Land. Besonders junge Menschen ziehe es in Wohngruppen oder Mehrgenerationen Häuser.

Ursache der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt sei "die verfehlte Wohnungspolitik der letzten 25 Jahre," sagte Heiner Heizmann. Der Staat habe sich immer mehr aus dem Wohnungsbau zurückgezogen, es würden zu wenige und nur für Wohlhabende bezahlbare Wohnungen gebaut. Bestehende Sozialwohnungen verlören ihren Status nach einigen Jahren und würden danach teurer weitervermietet.

Um den steigenden Bedarf nach rund 680.000 zusätzlichen Wohnungen bis zum Jahr 2035 zu decken, müsse der "Hebel für den Wohnungsbau zurück in die öffentliche Hand", betonte Heizmann. Der Markt reguliere die Nachfrage nicht. "Wenn Menschen mit Behinderung mit alten Menschen und armutsbedrohten Haushalten konkurrieren, dann hat der Markt versagt", so der Sozialexperte. Von der künftigen Landesregierung erwarte er eine sozial verantwortungsvolle Wohnungspolitik.

Susanne Lohse