

Frankfurt a.M. (epd). Studieren ist für Menschen mit Handicap nicht unproblematisch: Nach wie vor stoßen sie an Hochschulen auf sichtbare und unsichtbare Barrieren. Doch auch wer es schafft, sein Studium durchzuziehen, hat es hinterher oft schwer. Davon erzählt der psychiatrieerfahrene Christian Gruß. Sein Studium der Geschichte in Würzburg zog sich wegen seiner Erkrankung lange hin. Vor zwei Jahren machte Gruß Abschluss. Seitdem sucht er vergebens einen Job als Historiker.
Es gab Zeiten, da hatte sich Gruß einfach nur elend gefühlt. Der 54-Jährige leidet an einer bipolaren Störung. 1988, als er das erste Mal an einer Uni eingeschrieben war, wurde die Erkrankung manifest. Nach zwei Semestern musste Gruß das Studium abbrechen. Es folgten mehrere Aufenthalte in der Psychiatrie. 1997 landete er kurzzeitig in einer Werkstätte für behinderte Menschen. Nach einer anschließenden Ausbildung zum Bürokaufmann begann Gruß zum zweiten Mal zu studieren. Diesmal erfolgreich.
Nachdem es Gruß nicht geschafft hat, im Forschungsbetrieb beruflich Fuß zu fassen, würde er gerne Stadtführer werden. In Leipzig bot man ihm eine Weiterbildung an. Doch es gibt ein großes Problem: Die Qualifizierung kostet fast 1.700 Euro. Christian Gruß hat das Geld nicht. Nach einem Fördertopf suchte er vergebens: "Mein ganzes Wissen liegt nun brach."
Auch Menschen mit einer Behinderung können Spitzenleistung bringen – sei es in Kunst, Sport oder Wissenschaft. Weithin wird ihnen das jedoch nicht zugetraut. Das hat Frederik Heinrich aus Berlin schon oft erfahren. "In meinem Fall sind die Leute oft richtig schockiert, dass ich zwei gerade Sätze sprechen kann", sagt der 40-Jährige, der an Glasknochenkrankheit leidet. Trotz Handicap erfüllte sich Heinrich seinen Traum vom Biochemie-Studium. An der FU Berlin war das möglich, denn sie verfügt über behindertengerechte Laborarbeitsplätze.
Nach dem Studium ließ der Erfolg nicht lange auf sich warten. Innerhalb von drei Monaten hatte der Rollstuhlfahrer eine Promotionsstelle im Deutschen Rheuma-Forschungszentrum. Seitdem ist der Biologe dort wissenschaftlich tätig. Seine Karriere hat er nicht zuletzt seinen engagierten Eltern zu verdanken, meint Heinrich: "Sie brachten mir bei, mir von niemandem die Butter vom Brot nehmen zu lassen." Um sich im Forschungsbetrieb durchzusetzen, braucht es Selbstbewusstsein. Aber das allein nicht reicht. So kann die oft kurze Laufzeit von Forschungsprojekten eine gewaltige Karrierehürde darstellen.
Durch Drittmittel finanzierte Projekte laufen in der Regel nur zwei bis drei Jahre. Warum das problematisch sein kann, erklärt Stefan Zapfel vom Institut für empirische Soziologie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Manchmal dauert es dem Experten für berufliche Rehabilitation zufolge mehrere Monate, bis eine behindertengerechte Ausstattung bewilligt wird. Läuft ein Projekt nur zwei Jahre, kann die Integration von Wissenschaftlern mit Beeinträchtigung genau daran scheitern.
Forscher mit Handicap benötigen Arbeitsplätze, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Vor allem aber brauchen sie ein behindertengerechtes Umfeld. Hochschulen seien jedoch alles andere als inklusionsorientiert. Im Gegenteil. Zu diesem Ergebnis kam Zapfel im Projekt "Akademiker_innen mit Behinderung in die Teilhabe- und Inklusionsforschung" (AKTIF). Die Arbeit in den Berufsfeldern der Wissenschaft ist "durch Konkurrenz, Zeit- und Leistungsdruck" geprägt, heißt es im AKTIF-Abschlussbericht.
Das kann Sonja Olbet (Name geändert) bestätigen. So wie der Forschungsbetrieb in Deutschland läuft, könne von Inklusion keine Rede sein, sagt die schwerbehinderte Akademikerin. Nach ihrer Erfahrung gehört im Wissenschaftsbetrieb ein großes Quantum Anpassungsbereitschaft dazu. So müsse man möglichst viel publizieren. Olbet, die nach einer Professur für Disability Studies strebt, ist dies aufgrund ihres Handicaps nicht möglich: Sie kann zum Schreiben nur eine Hand nutzen.
Man müsste vom Grundsatz "Höher, schneller, weiter" abrücken, um Forscherinnen und Forschern mit einer Beeinträchtigung Teilhabechancen zu eröffnen, appelliert Sonja Olbet. "Haifischbecken"nennt sie Hochschulen. "Es herrscht wirklich viel Konkurrenzdenken."
Menschen mit einer Sehbehinderung müssen "150 Prozent Einsatz" bringen, weiß Roman Baumgartner, der an der Uni Kassel promoviert, aus eigener Erfahrung. Schon während seines Studiums hatte er hohe Hürden zu überwinden, wie er erzählt. Viele Dozenten hatten ihre Vorlesungen sehr stark visuell ausgerichtet: "Das war eine große Barriere."