

Berlin (epd). Am 5. November hat der Bundestag den Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen beschlossen. Darin werden die Regelbedarfe ab 2021 festgesetzt. Sie sollen grundsätzlich den gesamten Lebensunterhalt für Beziehende der Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II), der Sozialhilfe (SGB XII) und der Asylbewerberleistungen (AsylbLG) als Pauschalbetrag abdecken. Zusammen mit den Kosten für Unterkunft und Heizung und den Mehrbedarfen verwirklichen die Regelbedarfe das Grundrecht auf Gewährleistung des menschenwürdigen Existenzminimums.
Zu dessen Aktualisierung ist der Gesetzgeber in regelmäßigen Abständen und nach festen Vorgaben verpflichtet. Dabei beauftragt der Gesetzgeber eine Sonderauswertung der Einkommens- und Verbraucherstichprobe (EVS) und leitet die Regelbedarfe aus den Verbrauchsausgaben von unteren Referenzhaushalten ab. Wir als Nationale Armutskonferenz (nak) üben regelmäßig Kritik an diesem Verfahren. Nach unsere Auffassung bemisst der Gesetzgeber die Regelbedarfe innerhalb seines verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraums auch dieses Mal wieder möglichst knapp.
Das trifft auch auf die Stromkosten zu. Künftig werden für eine erwachsene Person monatlich 35,30 Euro übernommen. Das neue Gesetz wird weiterhin nicht verhindern, dass vielen Menschen wieder der Strom abgestellt wird.
Im Jahr 2018 kam es nach offiziellen Angaben zu 296.370 Stromsperren. Sie entfallen überwiegend auf Grundsicherungs- und Schwellenhaushalte. Stromsperren bedeuten für die Betroffenen existenzielle Not. Strom ist ein elementares Gut, das im Regelbedarf nicht einfach substituiert werden kann, wie das bei anderen Konsumausgaben unter der Annahme des internen Ausgleichs vorgesehen ist. Deshalb ist es wichtig, dass bei den Regelbedarfen die Ausgaben in bedarfsdeckender Höhe zur Verfügung stehen. Weil der Regelbedarf jedoch die durchschnittlichen Ausgaben der Referenzgruppe widerspiegelt, droht bei den Stromkosten oft eine Unterdeckung.
Außerdem bestehen bei der Berechnung der Strombedarfe Bedenken, inwiefern die Situation der Referenzhaushalte auf die Situation der Grundsicherungshaushalte übertragbar ist. Zum Beispiel verbringen Grundsicherungsbeziehende in der Regel mehr Zeit zu Hause. Außerdem ist Grundsicherungsbezieherinnen und -beziehern die Anschaffung von Elektrogroßgeräten nur in großen zeitlichen Abständen finanziell möglich. Das führt zu einer Vielzahl an stromintensiven Altgeräten und einem damit verbundenen höheren Stromverbrauch.
Hinzu kommt, dass Grundsicherungshaushalte mitunter wegen ihrer Bonität von günstigeren Stromanbietern abgelehnt werden und dann im Gegensatz zur Referenzgruppe keinen Zugang etwa zu Sparangeboten haben. Die betroffenen Haushalte sind dann auf teurere Grundversorgungstarife angewiesen, die den Anteil für Strom im Regelsatz zum Teil deutlich übersteigen.
In der Einkommens- und Verbraucherstichprobe wird außerdem nicht erhoben, ob offene Energierechnungen bestehen. Auch halbjährliche oder jährliche Abrechnungen sind mitunter in der Statistik nicht erfasst. Außerdem geben nicht alle berücksichtigten Referenzhaushalte Energieausgaben an und verzerren die Pauschale so nach unten. Festzuhalten ist auch, dass die Strompreise in Deutschland regelmäßig überproportional zu den sonstigen Verbraucherpreisen steigen. Über die jährliche Fortschreibung der Regelbedarfe werden unterjährige und regionale Preissteigerungen nicht ausreichend aufgefangen.
All diese Faktoren legen nahe, dass die im Regelbedarf übernommenen Kosten in vielen Fällen unterhalb der tatsächlichen Ausgaben für Strom liegen. Daher sollte der Betrag für Strom erhöht werden, um eine systematische Unterdeckung zu vermeiden. Vor dem Hintergrund der erneuten Verschärfung der Pandemiesituation sollten zudem alle Stromsperren mit sofortiger Wirkung ausgesetzt und die zu erwartenden Mehrkosten als Mehrbedarfsleistung übernommen werden. Längerfristig ist grundsätzlich zu überdenken, inwiefern die Ausgaben für Strom überhaupt sinnvoll zu pauschalieren und im Regelbedarf anzusiedeln sind.
In der Zwischenzeit gilt es, die Menschen vor Ort bei der Bewältigung und Prävention von Energieschulden und Stromsperren zu unterstützen. Die kommunale Praxis zeigt, dass eine Kooperation von Energieversorgern, Jobcenter, Sozialbehörden, Wohlfahrtsverbänden und Verbraucherzentralen dazu einen wichtigen Beitrag leistet.
Hilfreich wäre außerdem eine Stärkung der Verbrauchertransparenz. Denkbar sind hier etwa intelligente Messsysteme im Haushalt, regelmäßige Zwischenabrechnungen und Zugang zur Schuldner- und Energieberatung. Bei Zahlungsrückständen kann auch eine frühzeitige, niedrigschwellige und aufsuchende Ansprache der Betroffenen beitragen. Die hierfür erforderliche soziale Infrastruktur muss verlässlich und dauerhaft finanziert werden.
Eine zukunftsfähige Lösung für das Problem der Energiearmut ist auch angesichts einer ambitionierten sozialökologischen Transformation geboten. Arme Menschen müssen genauso in die Lage versetzt werden, am ökologischen Umbau teilzuhaben. In der Grundsicherung sollten daher Leistungen für die Erst- und Ersatzbeschaffung großer, energieeffizienter Haushaltsgeräte wie Waschmaschine oder Kühlschrank (weiße Ware) vorgesehen werden.
Hohe Strompreise haben eine regressive Verteilungswirkung und belasten einkommensarme Haushalte überproportional. Über Steuern, Abgaben und Umlagen hat der Staat regulatorische Möglichkeiten für eine stärker sozialverträgliche Ausgestaltung des Energiepreises. Die sollten genutzt werden. Die Energieversorgung ist Teil der Daseinsvorsorge und muss für alle Privathaushalte stets verlässlich zur Verfügung stehen.