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Gesundheit

Arzt: Depressionen bei Kindern und Jugendlichen schwer zu erkennen



Aggression, Wutanfälle, sozialer Rückzug: Hinter Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen steckt oftmals eine Depression. Bei ihnen seien die Symptome einer Depression andere als bei Erwachsenen und gingen mit psychosozialen Folgen einher, sagte der Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie Karlsruhe, Meike Bottlender, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Im Unterschied zu Erwachsenen, die bei einer Depression ihren inneren Zustand - Leere, Traurigkeit, Grübelkreise, Antriebslosigkeit - verbalisieren können, fehle gerade kleinen Kindern diese Ausdrucksmöglichkeit. "Je jünger die Kinder sind, desto schwieriger ist es für Eltern, eine Depression zu erkennen", erklärte Chefarzt Bottlender. Hilfsangebote erreichten Kindergartenkinder deshalb oft erst spät.

Stress und genetische Veranlagung

Anders sei es bei den 12- bis 17-Jährigen, die Freudlosigkeit, Unlust, Kopf- oder Bauchschmerzen durchaus benennen könnten. In diesem Alter gehe es darum, Krankheit von normalem pubertären Verhalten abzugrenzen. Schnell aufeinander folgende Stimmungsschwankungen seien hier noch kein Anzeichen für eine Depression, sagte Bottlender.

Als Ursachen der Kindes- und Jugenddepression gelten Stress und eine genetische Veranlagung. Viele Kinder leiden dem Psychiater zufolge unter Trennungs- und Scheidungskonflikten, Krankheiten eines Elternteils oder auch unter besonders kritischen Erziehungsmustern in einer Familie. Die Behandlung einer diagnostizierten Depression, stationär in der Klinik oder ambulant bei einem niedergelassenen Psychologen, übernehmen die Krankenkassen.

Ziel der Therapie sei es, den Stress für das betroffene Kind zu reduzieren. Hilfreich könnten hierfür Bewegungstherapie, eine Neustrukturierung des Alltags oder auch eine Verhaltenstherapie sein. In Familiengesprächen werden auch die Eltern einbezogen. Neben der Psychotherapie kommen in schweren Fällen auch Medikamente zum Einsatz. Gerade bei Jugendlichen sei es wichtig, das Thema Suizid anzusprechen: "Selbstverletzungen muss man bei Jugendlichen immer im Auge haben. Denn gerade diese Jugendlichen brauchen Unterstützung," sagte der Klinikleiter.

Keine Zunahme von Depressionen

Eine Zunahme der Depressionen im Kindes- und Jugendalter durch das Coronavirus könne er nicht erkennen. Wer sensibel auf Stress reagiere, dem mache der Corona-Stress aber natürlich zu schaffen. Dass die Fallzahlen in den letzten Jahrzehnten von Depressionen bei jungen Menschen zugenommen haben, führt Bottlender auf ein verbessertes Verständnis des Krankheitsbildes zurück.

Depressionen gehören laut der Stiftung Deutsche Depressionshilfe zu den häufigsten Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter, meist begleitet von einer weiteren psychischen Erkrankung wie Angst- oder Zwangsstörungen, Hyperaktivität oder Sucht. Der Stiftung zufolge sind rund ein Prozent der Kinder im Vorschul-, zwei bis vier Prozent im Grundschulalter sowie rund drei bis zehn Prozent der Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren von einer Depression betroffen.

Susanne Lohse