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Flüchtlinge

Kommentar

Moralische Insolvenz vermeiden




Dirk Baas
epd-bild/Heike Lyding

Norbert Blüm, verstorbener CDU-Sozialminister, war ein nicht immer wohlgelittener Mann der klaren Worte. Von ihm stammt folgender Satz, gesprochen im Sommer 2018, als das Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos noch nicht in Flammen stand, aber die EU seit vielen Jahren vergeblich um eine Einigung in Asylfragen rang: "Wenn 500 Millionen Europäer keine fünf Millionen oder mehr verzweifelte Flüchtlinge aufnehmen können, dann schließen wir am besten den Laden 'Europa' wegen moralischer Insolvenz."

Wenn schon Blüm, wohlgemerkt ein Konservativer, der EU ein solch mieses Zeugnis schreibt, ist das bemerkenswert. Nun ist Deutschland nicht die EU. Aber etwas mehr Verve in Sachen humaner Füchtlingspolitik dürfte man schon erwarten, erst recht in Zeiten der EU-Ratspräsidentschaft. Dass Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) Alleingänge scheut und stets auf die Regelungshoheit der EU verweist, ist bekannt. Geholfen ist den Menschen aus dem Lager Moria damit nicht.

Rund 13.000 Menschen kämpfen dort ums Überleben - und Deutschland schickt Zelte und Feldbetten zum Aufbau auf der im Wortsinn verbrannten Erde. Das ist mit Zynismus noch gnädig umschrieben.

Seehofer sucht Deckung hinter der EU, die angesichts der akuten Notlage nun doch schneller als geplant ein neues Asylkonzept vorlegen will. Ob damit der gordische Knoten durchschlagen wird, steht in den Sternen. Das EU-Prinzip der Einstimmigkeit spielt Gegnern einer humaneren Flüchtlingspolitik wie Ungarn oder Polen in die Hände.

Doch Deutschland, das sich gern als Reformmotor in Europa sieht, muss jetzt handeln. Immerhin sollen statt der zunächst zugesagten 150 Minderjährigen rund 1.550 Flüchtlinge aus Griechenland ins Land dürfen. Doch die kommen nicht ausschließlich aus Moria, sondern sind Familien von allen griechischen Inseln und vom Festland, die bereits einen anerkannten Schutzstatus haben. Das ist ein deutlicher Fingerzeig auf die Kernidee des neuen, noch unveröffentlichten EU-Asylkonzeptes.

Doch auch hier gilt: den obdachlosen Flüchtlingen des einstigen Lagers Moria hilft das nicht. Man verschließt die Augen vor dem blanken Chaos auf der Insel. Die aktuellen Zugeständnisse werden bewusst von dem verheerenden Brand abgekoppelt, denn so riskiert Deutschland keine Nachahmerschaft beim Zündeln an den Zelten - und die Regierung öffnet nicht die Flanke am politisch rechten Rand.

Immerhin: Die Koalition hat sich bewegt. Wenn auch nur um Zentimeter. Einer neuen EU-Konzeption stünde ein deutscher Alleingang nicht im Weg. Also: Mehr Flüchtlinge aus humanitären Gründen aufnehmen, wann, wenn nicht jetzt!

Dirk Baas