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Kommentar

EU-Asylpolitik: Dicke Bretter und zu kurzer Bohrer



Groß sind die Erwartungen an die just übernommene deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Vielleicht zu groß, denn das Thementableau quillt bereits über. Dass es in den kommenden sechs Monaten unter deutscher Anleitung auf einem wichtigen Feld einer gemeinsamen Asylpolitik wohl keine erkennbaren Fortschritte geben wird, ist leider jetzt schon klar.

Nach der jüngsten Video-Schalte der EU-Innenminister konnte Horst Seehofer (CSU) einmal mehr keinerlei Fortschritte beim Streit über die Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen vermelden, sondern verfloskelte sich. Was nicht verwundert, geht es doch seit Jahren nicht voran mit der Frage, wie mit den Flüchtlingen, die etwa auf dem Mittelmeer gerettet werden, künftig rechtssicher und solidarisch verfahren werden kann und wie sie auf die Mitgliedsländer verteilt werden.

Wer auf einen einstimmigen Beschluss aller 27 EU-Länder dazu warten wil, braucht starke Nerven - und Geduld bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag. Seehofer weiß das natürlich, und er hat deshalb versucht, zuvor den Druck auf die EU-Partner zu erhöhen. Es sei eine "unwürdige Situation", wenn sich Europa nicht auf eine gerechtere Verteilung der Migranten einigen könne. Dass solche Vorwürfe viel bewirken, ist kaum zu erwarten.

Seehofer ist ein Politfuchs, aber seine Strategie ist durchsichtig: Er will sich nicht vorhalten lassen, es nicht zumindest mit einem weiteren Reformvorstoß versucht zu haben: "Es ist ein sehr dickes Brett, das wir hier zu bohren haben."

Selbst kleine Forschritte kann Seehofer nicht vermelden, denn auch um die Allianz der Willigen, also jener Handvoll Staaten, die außer Deutschland weitere Flüchtlinge aufnehmen wollen, ist es merkwürdig still geworden. Statt sich führungsstark an die Spitze der Bewegung zu setzen und eine deutsche Duftmarke bei der Reform des Asylrechts zu setzen, hofft Seehofer weiter auf eine nicht mal in weiter Ferne erkennbare Solidarität der anderen EU-Staaten und den lange versprochenen Vorschlag der EU-Kommission: "Ohne Gesamtlösung bekommen wir das Problem nicht in den Griff", sagt der CSU-Mann.

Doch dieser Ansatz ist grundfalsch, ja töricht und ignorant. Man kann und darf nicht auf die Bremser in der EU wie etwa Polen, Tschechien und Ungarn warten. Jetzt ist die Zeit für einen stets gescheuten deutschen Alleingang, um einen Flüchtlingsschutz zu schaffen, der seinen Namen verdient. Hunderte Städte und Landkreise in Deutschland sind bereit, Flüchtlinge aufzunehmen. Hier gibt es genügend Ressourcen und auch Kompetenzen. Mehrere Bundesländer unterstützen diese Pläne. Das wäre ein bemerkenswerter und zugleich mutiger Schritt. Stattdessen bohrt Seehofer lieber weiter dicke Bretter. Dabei wird man den Verdacht nicht los, dass sein Bohrer schlicht nicht lang genug ist.

Dirk Baas


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