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Bundestag

Grüne: Ausschluss aus der Gesundheitsversorgung beenden




Filiz Polat
epd-bild/Stefan Kaminski
Die Grünen wollen im Bundestag erreichen, dass die Gesundheitsversorgung marginalisierter Gruppen in Corona-Zeiten verbessert wird. Warum der Antrag jetzt kommt, welche Versäumnisse es in der Behandlung von Menschen ohne Papiere gibt und welche Linie die Grünen verfolgen, eräutert die Abgeordnete Filiz Polat im Interview.

Warum seit Jahren des Stillstandes auf diesem wenig beachteten Gebiet der Gesundheitsfürsorge gerade in der Corona-Krise etwas passieren muss, macht Filiz Polat klar: "Nur wenn wir alle Menschen in der Gesellschaft schützen, sind wir alle gemeinsam geschützt", sagt die Sprecherin für Integrationspolitik im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Doch von diesem umfassenden Schutz seien weite Teile der hier lebenden Menschen weit entfernt. Die Grünen wollen das ändern. Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Sozialverbände und Flüchtlingsorganisationen fordern seit Jahren, den Zugang zur Gesundheitsversorgung gesetzlich auch für Menschen ohne Papiere zu regeln. Passiert ist nichts. Wo sehen Sie die Gründe dafür?

Filiz Polat: Anstatt Geflüchtete und Illegalisierte in Deutschland in ihren universellen Menschenrechten, wie dem Recht auf Gesundheit, zu stärken, wurden ihnen durch die Entscheidungen der großen Koalition Schritt für Schritt ihre wenigen Rechte genommen. Die Bundesregierung folgt dabei dem Ziel, Abschiebungen ohne Wenn und Aber durchzusetzen. Gesundheitsbedingte Hindernisse spielen dabei keine Rolle mehr.

epd: In Corona-Zeiten lässt sich vieles, was vorher kaum möglich schien, erstaunlich schnell regeln. Wird das auch für Ihre Forderungen in Sachen Gesundheitsschutz für alle Menschen gelten?

Polat: Das Bundesinnenministerium möchte weiterhin Menschen so schnell wie möglich abschieben. Deshalb haben wir wenig Hoffnung, dass progressive Veränderungen von dieser Regierung aufgegriffen werden, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

epd: Warum rücken Sie diese Menschen gerade jetzt wieder in den Fokus?

Polat: Wenn die Gesellschaft unter Druck gerät, bekommen marginalisierte und vulnerable Gruppen die Folgen meist ganz besonders zu spüren. Die ohnehin schon prekäre Situation von Geflüchteten und einigen Migrantinnen und Migranten verschlechtert sich in der Pandemie teils dramatisch. Die flüchtlings- und migrationspolitischen Gesetzesverschärfungen der vergangenen Jahre, allen voran das Geordnete-Rückkehr-Gesetz, hatten bereits weitreichende negative Folgen für deren Lebensumstände. Leider bleibt das Innenministerium auch in Zeiten von Corona seiner Linie treu.

epd: Diese Menschen stehen schon lange im Schatten. Warum sollte gerade jetzt in der Krise ein Umdenken in der Behandlung dieser Randgruppe stattfinden?

Polat: Die Besonderheit der gegenwärtigen Situation ist: Nur wenn wir alle Menschen in der Gesellschaft schützen, sind wir alle gemeinsam geschützt. Es wäre wünschenswert, wenn sich die Bundesregierung wenigstens diesen Gedanken zu eigen macht.

epd: Sie selbst sprechen in Ihrem Antrag von 80.000 Personen in der Illegalität. Stellen die in der Pandemie eine potenzielle Gefahr für die Restgesellschaft dar?

Polat: Diese Zahl bezieht sich nicht auf alle Personen, die von der allgemeinen Gesundheitsversorgung ausgeschlossen sind, sondern sie umfasst lediglich die Personen, die trotz Versicherungspflicht nicht krankenversichert sind. Dazu kommen insbesondere EU-Bürgerinnen und EU-Bürger, Menschen ohne Papiere oder Geflüchtete mit mangelnder Gesundheitsversorgung.

epd: Knackpunkt ist die behördliche Übermittlungspflicht. Wäre nicht schon viel gewonnen, wenn keine Daten an Polizei oder Ausländerbehörden weitergegeben werden?

Polat: Für Menschen ohne Papiere und manche EU-Bürgerinnen und EU-Bürger ist das in jedem Fall ein großes Hindernis. Leider zeigt sich das in diesem Thema federführende Bundesinnenministerium uneinsichtig. Die Bundesregierung muss endlich aufhören restriktive migrationspolitische Erwägungen vor den Gesundheitsschutz zu stellen, sonst kommen wir an diesem Punkt nicht weiter.

epd: Sie fordern Corona-Tests auch für Menschen ohne Papiere. Wie soll das vonstattengehen, wo diese Betroffenen ja aus Angst vor Abschiebung jegliche offiziellen Kontakte zu Gesundheitseinrichtungen meiden?

epd: Wir fordern neben den Tests auch die Aufhebung der Übermittlungspflichten von öffentlichen Stellen an die Ausländerbehörde. Das ist schon seit vielen Jahren eines unserer Anliegen, aber in Zeiten von Corona ist es umso wichtiger. Zusätzlich halten wir anonyme Krankenscheine für sinnvoll. Erfolgreiche Beispiele gibt es da zum Beispiel in Berlin oder Thüringen. Wichtig dabei ist jedoch, dass der Bund die Einrichtung solcher Systeme unterstützt. Es muss vermieden werden, dass erneut ein Flickenteppich entsteht, der von der finanziellen Situation oder der politischen Konstellation der Kommunen und Länder abhängig ist.

epd: 2016 wurde der Zugang für EU-Bürger zu deutschen Sozialleistungen geändert. Reicht es, vor dem Hintergrund von Corona wieder die alte Rechtslage herzustellen?

Polat: Für die EU-Bürgerinnen und EU-Bürger war der Ausschluss aus den Sozialleistungen fatal. Schon damals warnten Wohlfahrtsverbände vor der drohenden Unterversorgung. Darüber hinaus müssen wir uns jedoch in Erinnerung rufen, dass auch vor der Gesetzesänderung zahlreiche hilfebedürftige Unionsbürgerinnen und -bürger rechtswidrigerweise keine Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums erhalten haben und in der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützt werden mussten.

epd: Sie wollen erreichen, dass alle Asylbewerber, die ja bisher nur eingeschränkten Gesundheitsschutz haben, vollen Zugang zu allen Leistungen der gesetzlichen Kassen bekommen. Das wäre in Paradigmenwechsel, der auch viel Geld kosten würde.

Polat: Insgesamt setzten wir uns schon seit langem für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes ein. Ich bin überzeugt, dass die künstliche Trennung von Leistungssystemen am Ende mehr Kosten verursacht, als dass sie einspart. Wenn nur akute Krankheitszustände behandelt werden können, ist das nicht nur extrem schädlich für die langfristige Gesundheit der Geflüchteten, sondern selbstverständlich auch viel kostenintensiver in der letztendlichen Behandlung, ganz zu schweigen von den unnötigen bürokratischen Kosten durch die parallelen Verwaltungssysteme.