Bonn, Berlin (epd). Die Bereitstellung von Intensivbetten in den Krankenhäusern für Covid-19-Kranke und die Verschiebung von Operationen in den Kliniken sorgt bei Patienten mit anderen schweren Erkrankungen wie etwa Krebs für zunehmende Verunsicherung und Besorgnis. Organisationen wie die Deutsche Krebshilfe, die Deutsche Krebsgesellschaft und das Deutsche Krebsforschungszentrum erhielten derzeit "mehrere Hundert Anfragen pro Tag", sagte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Deutsche Krebshilfe, Gerd Nettekoven, dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Bonn.
Immer wieder berichteten Anrufer davon, dass diagnostische Maßnahmen oder Therapien zur Behandlung von Krebspatienten angepasst oder verschoben würden. Bisweilen wurden sogar Operationen abgesagt oder verschoben, so der Experte.
In Deutschland erkranken den Angaben zufolge im Durchschnitt täglich 1.400 Menschen neu an Krebs. Trotz der aktuellen Herausforderungen der Covid-19-Pandemie dürfe die Versorgung dieser Menschen "unter keinen Umständen vernachlässigt werden", mahnte Nettekoven. Zwar gehe er davon aus, dass derzeit jede notwendige Behandlung von Krebskranken erfolge, ob die Maßnahmen aber auch stets adäquat seien, bleibe die Frage. "Die Situation ist extrem gestresst", sagte der Vorstandsvorsitzende der Stiftung.
Durch die Umstellung in den Krankenhäusern würden derzeit viele Maßnahmen in Bereichen wie etwa Früherkennung, Psychoonkologie, Palliativbehandlung oder Reha aufgeschoben. Beim Personal gebe es Umstellungen, weshalb die für die Behandlung von Krebspatienten zuständigen Mediziner derzeit oft nicht zur Verfügung stünden.
Gerade Krebserkrankungen beträfen aber ein "Elementarfeld der Medizin" und erforderten eine umfangreiche Betreuung der Erkrankten. Und deren Behandlung könne man eben "nicht ellenlang nach hinten schieben", betonte Nettekoven. Zwar hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Ende vergangener Woche angekündigt, dass die Kliniken in Deutschland angesichts der sich abflachenden Kurve bei den Corona-Neuerkrankungen nun wieder in den Regelbetrieb zurückkehren sollten. Diese Aufforderung kann allerdings schnell Makulatur werden, wenn im Zuge der Lockerungen der Infektionsvorgaben die Zahl der neu und vor allem schwer erkrankten Covid-19-Patienten wieder anzieht.
In einer gemeinsamen Taskforce wollen Krebshilfe, Krebsgesellschaft und Krebsforschungszentrum über das Thema aufklären und bei Problemen Hilfe anbieten. Dazu schufen die drei Organisationen auch ein Frühwarnsystem, mit dem die aktuelle Versorgungslage regelmäßig bewertet wird. Dabei stehe man in "engem Kontakt" mit der Bundespolitik, die die Initiative begrüße, erklärte Nettekoven.
Bei der Deutschen Krankenhausgesellschaft räumt man das Problem ein. Die Verschiebung notwendiger Krebstherapien über einen längeren Zeitraum sei aber "keine Option", sagte Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Zudem verwies er auf Ängste von Patientinnen und Patienten, die aus Furcht vor einer Corona-Infektion derzeit Behandlungen in Krankenhäusern mieden. Aufgrund der positiven Entwicklung bei den Infektionszahlen von Covid-19 sei allerdings damit zu rechnen, dass demnächst "eine vorsichtige Wiederaufnahme der Regelversorgung" von Krebspatienten wieder möglich" werde.
Das Bundesgesundheitsministerium verweist darauf, dass trotz der Corona-Pandemie medizinisch notwendige Behandlungen weiterhin stattfänden. Bei jedem Patienten müsse allerdings "unter der Berücksichtigung aller Lebensumstände der Nutzen einer Krebstherapie gegen einen möglichen Schaden sowie das individuelle Infektionsrisiko für das Coronavirus abgewogen werden", erklärte eine Sprecherin des Ministeriums. Derzeit sei die Versorgung von Krebspatienten "nicht akut gefährdet. Einschränkungen in Einzelfällen sind allerdings nicht auszuschließen."