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Corona-Krise

"Wir versuchen, unser Frauenhaus noch aufrechtzuerhalten"




In der Corona-Krise wächst die Gefahr häuslicher Gewalt (nachgestelltes Bild)
epd-bild/Steffen Schellhorn
Zu wenig Raum, zu wenig Geld, zu wenig Personal: Die Lage der deutschen Frauenhäuser ist selten entspannt. Expertinnen und Träger weisen angesichts der Corona-Pandemie auf eine Verschärfung der Situation hin.

Für die meisten Menschen sind die Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen hauptsächlich ein Schutz – vor dem Coronavirus, für sich, für die Alten und Kranken. Für andere, überwiegend Frauen, sind sie hingegen eine Gefahr und schließen sie ein mit dem Menschen, der ihnen Gewalt antut. Seit in Deutschland soziale Isolation angeordnet wurde, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen, warnen Frauenverbände vor einem drohenden Anstieg von häuslicher Gewalt und somit vor einer Vielzahl Betroffener, für die in den chronisch unterfinanzierten und vollbelegten Frauenhäusern keine Plätze zur Verfügung stehen.

Folgenreicher Mangel an Schutzplätzen

Auch ohne staatlich verfügte Ausgangsbeschränkungen erlebt in Deutschland nach Angaben des Bundesfamilienministeriums etwa jede vierte Frau im Alter zwischen 16 und 85 Jahren im Verlauf ihres Lebens mindestens einmal körperliche und beziehungsweise oder sexuelle Übergriffe durch einen Partner, meist in Trennungs- oder Scheidungssituation. Etwa 16.000 von ihnen und ebenso viele Kinder suchen jährlich Schutz in Frauenhäusern, von denen die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages 2019 rund 350 bundesweit zählten. Mehr als 14.600 Schutzplätze fehlen schätzungsweise, insbesondere in Ballungsgebieten.

Diese Diskrepanz zwischen vorhandenen und benötigten Schutzplätzen wird während der Corona-Krise größer werden, befürchten Expertinnen. Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe verweist beispielweise auf Angaben einer Pekinger Frauenrechtsorganisation, nach denen die Zahl der Betroffenen von häuslicher Gewalt, die sich während der verordneten Quarantäne an die Hilfsorganisation gewandt haben, dreimal so hoch war wie zuvor. Auch Johanna Thie, die die Frauenhäuser der Diakonie vernetzt und koordiniert, fürchtet einen Anstieg: "Wenn Menschen über längere Zeit in engen Räumen sind, kann das Stress auslösen, der dann zu familiären Belastungen bis zu häuslicher Gewalt führen kann", sagt sie. Dazu kämen existenzielle Sorgen in vielen Familien, die bereits bestehende Konflikte in den Partnerschaften verstärken können.

"Die Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern tun ihr Bestmögliches, auch wenn sie zum Teil am Limit der Belastbarkeit arbeiten", sagt Thie. Wenn in den sowieso unzureichend ausgestatteten Frauenhäusern auch noch Personal aufgrund der Corona-Krise ausfalle, zeigten sich die bereits seit langem bekannten Lücken in der Hilfestruktur besonders deutlich.

Sechs Frauen teilen sich ein Zimmer

Ähnlich kritisch sieht die Situation im Frauenhaus Bochum der Caritas aus, sagt Leiterin Ulrike Langer. Das Haus habe in den vergangenen Wochen keine neuen Frauen aufnehmen können, jetzt fehlten unter anderem Masken, um die Sicherheit der Mitarbeiterinnen und Bewohnerinnen sicherzustellen. Eine besondere Herausforderung sei die soziale Isolation, da sich bis zu sechs Frauen ein Zimmer teilten.

"Wir versuchen, das Haus noch weiter aufrechtzuerhalten", sagt Langer. Gruppentreffen würden draußen abgehalten und die Beratungen fänden wenn möglich telefonisch statt. Alle gingen weitmöglich auf Abstand. Es gebe zudem Überlegungen, ein Apartment im Haus als Quarantänebereich zu nutzen. Universallösungen gebe es aber nicht, da die einzelnen Häuser sehr unterschiedlich seien.

Um die Frauenhäuser in der derzeitigen Ausnahmesituation zu unterstützen, hat der Verein Frauenhauskoordinierung, der zahlreiche bundesweit agierende Wohlfahrtsverbände und ihre Einrichtungen vernetzt, Informationen zum Umgang mit dem Coronavirus zusammengestellt. Darin wird unter anderem erklärt, wie die Anonymität des Frauenhauses bei Meldungen an das Gesundheitsamt gesichert werden kann und was bei Aufnahmestopps zu tun ist.

Der Selbsthilfe der Frauenhäuser sei allerdings durch fehlende Ressourcen "deutliche Grenzen" gesetzt, betont der Verein. Länder und Kommunen müssten den Gewaltschutz dringend auf die Prioritätenliste setzen und gemeinsam mit den Frauenhäusern vor Ort schnelle Lösungen finden. Noch sei dafür Zeit, sagt Frauenhausleiterin Langer: "Wir stehen erst am Anfang".

Jana-Sophie Brüntjen