sozial-Branche

Gedenktage

Diakonie: Für jeden ermordeten Menschen eine Figur




Teil der Kunstinstallation mit 330 Tonfiguren
epd-bild/Diakonie Stetten
330 erdfarbene Tonfiguren symbolisieren in der Diakonie Stetten die 330 Menschen mit Behinderung, die aus ihrer Einrichtung Remstal in Grafeneck ermordet wurden - ein Projekt zum Holocaust-Gedenktag am 27. Januar. Auch andere Sozialverbände gedachten der Opfer und mahnten Wachsamkeit gegen Rechtsradikalismus und Judenfeindlichkeit an.

In Grafeneck auf der Schwäbischen Alb ermordeten die Nazis 10.654 Menschen. Den Opfern gedachte am 27. Januar auch die Diakonie Stetten. Auch 330 Menschen mit Behinderung aus der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Stetten wurden in den "Grauen Bussen" nach Grafeneck deportiert und in der Gaskammer umgebracht. Der sogenannten Aktion T4 fielen über 70.000 Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen zum Opfer, den Krankenmorden europaweit über 200.000 Menschen. Darüber hinaus wurden ungefähr 400.000 Menschen zwangssterilisiert.

"Der Holocaust-Gedenktag ist für die Diakonie Stetten einmal mehr Anlass, um an die Euthanasie-Opfer der damaligen Anstalt Stetten zu erinnern und ihrer zu gedenken", betonten die Verantwortlichen in Stetten. Im Foyer des Wildermuthsaals in Stetten steht jetzt eine Kunstinstallation mit 330 Tonfiguren des Künstlers Jochen Meyder.

Eine Figur für jedes Opfer

Jede einzelne der erdfarbenen Tonfiguren erinnert an einen Bewohner oder eine Bewohnerin aus der Anstalt Stetten. Jede Figur ist ein Teil des Kunstprojekts mit insgesamt 10.654 Tonfiguren, die symbolisch für die in Grafeneck ermordeten Menschen stehen und in der dortigen Gedenkstätte ausgestellt sind.

Meyders Idee war, dass Besucher der Gedenkstätte Grafeneck die Figuren nach Hause mitnehmen und die Opfer dadurch über die Zeit "symbolisch wieder der Welt zurückgegeben werden". Im Rahmen einer Fortbildung waren Bewohnerinnen und Bewohner der Diakonie Stetten in der Gedenkstätte und waren dort auf die Tonfiguren aufmerksam geworden. Die Kunstinstallation ist jetzt in Stetten frei zugänglich und kann tagsüber von Montag bis Sonntag besichtigt werden.

Morde begannen 1940

In Grafeneck begann im Januar 1940 der systematische Mord an Menschen mit Behinderung. Die Diakonie Stetten, die nach dem Mord an ihren Bewohnern geschlossen wurde, erinnert heute auf unterschiedliche Weise an diese dunklen Jahre: Jährlich am Ewigkeitssonntag Ende November findet ein Gebet am "Stein des Gedenkens" statt, auf dem die Namen der Opfer eingraviert sind.

Pfarrer Rainer Hinzen, Vorstand der Diakonie Stetten, sagte: "80 Jahre nach den Euthanasie-Morden und 75 Jahre nach der Befreiung des KZ Auschwitz gibt es nur noch wenige Zeitzeugen, die von den schrecklichen Ereignissen aus eigener Erfahrung berichten können. Umso wichtiger sind Anlässe wie die Gedenkstunde, um die Erinnerung an das Geschehene wachzuhalten." Zudem sei es wichtig, "jeglichen Bestrebungen, die Würde und das Lebensrecht von Menschen infrage zu stellen, frühzeitig entgegenzutreten".

AWO mahnt Wachsamkeit an

Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) erinnerte am 27. Januar im ehemaligen KZ Sachsenhausen mit einer Kranzniederlegung an die Opfer der NS-Herrschaft. "Wir gedenken der millionenfach Verfolgten und Ermordeten. Dieser Tag ist aber auch in jedem Jahr wieder eine Mahnung an Politik und Gesellschaft, wachsam zu bleiben", sagte Wolfgang Stadler, der Vorstandsvorsitzende des AWO Bundesverbandes.

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland, Verena Bentele, sprach in Berlin am Gedenk- und Informationsort der "Euthanasie"-Morde: "Ablehnung, Vorurteile, Verächtlichmachung und Ausgrenzung waren die Grundlage für Verfolgung und Gräueltaten, wie sie im Nationalsozialismus geschehen konnte."Mit dem Gedenken wolle der Deutsche Behindertenrat ein Zeichen für Respekt und Toleranz setzen und mahnen, dass sich die Geschichte nicht wiederholt.

Lilie: Jüdisches Leben ist ein Glücksfall

Vertreter von Kirchen und Diakonie erinnerten am 26. Januar an die Opfer des Holocaust und warnten vor Antisemitismus. "Es ist unerträglich und nicht hinzunehmen, dass Antisemitismus in unserer Gesellschaft zunimmt", erklärte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie in Berlin. Der Theologe rief dazu auf, die Erinnerung an den Holocaust wachzuhalten und jede Form von Antisemitismus zurückweisen: "Das jüdische Leben in Deutschland ist für uns alle ein Glücksfall. Wir müssen es stärken und unsere Solidarität gerade in diesen Zeiten ganz besonders leben."

Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband Niedersachsen sagte Vorsitzende Birgit Eckhardt, alle Bürger seien gefragt, "damit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassimus nicht wieder salonfähig werden in Deutschland". Es sei Zeit zu handeln.

Der Behindertenbeauftragte der Bundesregierung, Jürgen Dusel, warnte vor zunehmende Behindertenfeindlichkeit. Menschen mit Behinderungen seien auch heute tagtäglich Diskriminierungen ausgesetzt. Nicht selten würde Menschen mit Behinderungen die Kompetenz oder sogar die Berechtigung zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben abgesprochen. "Der bittere Befund auch 75 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus ist: Leider sind viele immer noch nicht frei davon, vermeintliche Minderheiten ungleich zu behandeln oder abzuwerten", betonte Dusel am 26. Januar in Berlin.

Susanne Müller, Markus Jantzer