sozial-Thema

Kinder

Wasserschlacht im Waschraum




Kita-Kinder putzen die Zähne
epd-bild/Klaus Günter Kohn
Lange war umstritten, ob sich die pädagogische Arbeit in Kindertagesstätten standardisieren lässt, um ihre Qualität zu messen. Das war gestern. Mittlerweile lässt sich an unterschiedlichen Kategorien prüfen, ob eine Kita gut mit Kindern umgeht.

Die Waschbecken laufen über, das Wasser sprudelt auf den Fliesenboden und sorgt im Bad der Kindertagesstätte für eine ordentliche Überschwemmung. Mittendrin ein paar Kinder, die sichtlich mehr Vergnügen am Spiel mit dem Wasser haben als am Zähneputzen. Dann steht die Erzieherin in der Tür. "Na, ihr habt ja Spaß", ruft sie den Kindern zu.

Die Szene ist konstruiert, ist so oder so ähnlich aber durchaus schon vorgekommen, sagt Elke Meiners, die die evangelische Kindertagesstätte im Bremer Stadtteil Borgfeld leitet. "Und die Kollegin hat richtig reagiert, indem sie erst mal die Bedürfnisse der Kinder wahrgenommen und nicht die Regel in den Vordergrund gestellt hat: Im Waschraum nicht planschen, damit kein Wasser vergeudet wird und niemand ausrutscht. Auch wenn darüber sicher noch gesprochen werden muss - aber eben später."

Qualität in der Kita-Arbeit

Für Kinder sind es magische Momente, wenn Regeln nicht immer eingehalten werden. Wenn sie etwas scheinbar Unvernünftiges tun, sich dabei selbst verwirklichen, erfüllt sie das mit großer Freude, bestätigt Kita-Leiterin Meiners. Haben Erziehende das im Blick, sprechen Experten von qualitativ guter Arbeit, von "Prozessqualität". Dass das manchmal nicht ganz einfach umzusetzen ist, verdeutlicht das Beispiel der Wasserschlacht im Waschraum. Und dem damit verbundenen schmalen Grat zwischen Willen und Wohl des Kindes, dem Spaß einerseits und der Sicherheit andererseits.

"Qualität in der Kita-Arbeit ist in den vergangenen Jahren zu einem Mega-Thema geworden", sagt Carsten Schlepper aus Bremen, Vorsitzender der Bundesvereinigung Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder (Beta). Der diakonische Fachverband vertritt die Interessen von bundesweit 9.200 Einrichtungen mit mehr als 100.000 Fachkräften und 560.000 Kita-Plätzen. Vor zehn Jahren hat Beta für seine Kitas ein "Bundesrahmenhandbuch" herausgegeben, um nachprüfbare Standards in der pädagogischen Arbeit zu beschreiben.

Dabei geht es längst nicht nur um die personelle Ausstattung der Einrichtungen, die die Bertelsmann Stiftung schwerpunktmäßig in ihrem am Donnerstag veröffentlichten "Ländermonitor Frühkindliche Bildungssysteme" in den Blick nimmt. "Wir beschreiben Abläufe und pädagogische Kernprozesse wie den Übergang in die Schule oder den Umgang mit Sprache in der Kita", verdeutlicht Schlepper.

Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern

Ob sich die Qualität pädagogischer Arbeit, also in erster Linie Beziehungsarbeit, überhaupt standardisieren und damit messen lässt, war lange umstritten. "Heute wissen wir: Der Bundesrahmenplan ist wichtig, weil er uns hilft, unsere Arbeit mit Kindern und Eltern zu reflektieren", betont Schlepper.

Dass dabei die Prozessqualität eine zentrale Rolle spielt, betont auch die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung in Berlin. Sie prüft deshalb entsprechende Kriterien in ihrem Wettbewerb um den Deutschen Kita-Preis 2020. "Für die mit insgesamt 130.000 Euro dotierte Auszeichnung haben sich mehr als 1.500 Einrichtungen beworben", sagt Stiftungssprecher Mario Weis. Die Kategorien, um die es dabei geht: Orientierung an den Bedürfnissen der Kinder, Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern, Eltern und Mitarbeitenden, Sozialraum-Orientierung und die Frage, ob sich die Kita selbst als lernende Organisation begreift.

Zu den wichtigsten Bildungsaufgaben von Kindertagesstätten gehört ohne Zweifel der Spracherwerb, der somit auch zu den zentralen Qualitätskriterien der Vorschularbeit zählt. "Begrüße ich die Kinder persönlich, gehe ich beim Sprechen in die Knie, spreche ich mit den Kindern also auf Augenhöhe, spreche ich schnell, ruhig, schrill, laut, gebe ich mit korrekter Aussprache ein gutes Vorbild - das und noch viel mehr gehört dazu", sagt Anke Bräuer, Fachberaterin im Bremer Landesverband Evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder.

Fatal sei es, Kinder bei Fehlern rigoros zu verbessern. Das raube den Spaß an der Sprache und löse Angst vor dem Sprechen aus. Bräuer gibt ein Beispiel: "Auf den Satz 'Ich habe am Wochenende gefußballt' nicht mit einer Verbesserung reagieren, sondern mit der grammatikalisch richtigen Wiederholung 'Ach, du hast am Wochenende Fußball gespielt?'" Zuerst auf die Kinder schauen, Inhalt vor Form, das sei auch hier gute Qualität in der pädagogischen Arbeit. Genauso wie bei der Wasserschlacht im Waschraum.

Dieter Sell


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