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Gastbeitrag

Der schnelle Weg in den sozialen Abstieg




Sozialrechtsexperte Martin Staiger
epd-bild/privat
Die SPD will die berufliche Lebensleistung wieder mehr anerkennen. Dazu will sie unter anderem die Bezugsdauer von Arbeitslosengeld I für Menschen, die lange in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, deutlich verlängern. Der Sozialexperte Martin Staiger erläutert, wie schnell ältere Arbeitnehmer nach einem Jobverlust ihr Einkommen und ihr Vermögen unter Hartz-IV-Bedingungen verlieren.

Die Führung der SPD hat am 10. Februar einstimmig beschlossen, Hartz IV hinter sich lassen zu wollen. "Viele Menschen treibt die Sorge vor sozialem Abstieg bei Verlust des Arbeitsplatzes um. Sie befürchten, bereits nach einem Jahr gleichgestellt zu werden mit Menschen, die lange nicht oder gar nicht gearbeitet haben. Dass Arbeit und längere Beitragszeiten hier oft keinen Unterschied machen, wird als zutiefst ungerecht empfunden." So schreiben die Genossinnen und Genossen in einem Papier mit dem Titel "Arbeit - Solidarität - Menschlichkeit."

Bezugsdauer radikal verkürzt

Mit der Agenda 2010, die die SPD jetzt gleichzeitig überwinden, aber dennoch nicht als Fehler bezeichnen will, war die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes, das seitdem Arbeitslosengeld I heißt, insbesondere für ältere Arbeitslose radikal verkürzt worden. Wer zum Beispiel mit 52 Jahren seine Arbeit verlor, hatte bis Ende 2003 einen Arbeitslosengeldanspruch von bis zu zwei Jahren, 57-Jährige erhielten bis zu 32 Monate lang Arbeitslosengeld. Zum 1. Januar 2004 wurde der Arbeitslosengeldanspruch für alle unter 55 auf zwölf Monate verkürzt, über 54-Jährige konnten noch maximal 18 Monate Arbeitslosengeld erhalten. Diese Regelung wurde dann 2008 leicht entschärft, so dass seitdem Arbeitnehmer, die mit 58 arbeitslos werden, einen Anspruch auf bis zu zwei Jahre Arbeitslosengeld I haben.

Das Arbeitslosengeld I beträgt ca. 60 Prozent des Nettoeinkommens, bei Arbeitslosen mit mindestens einem Kind werden ca. 67 Prozent vom netto bezahlt. Ist die Bezugsdauer abgelaufen, besteht - unter Umständen - ein Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II, besser bekannt als "Hartz IV".

Bevor eine arbeitslose Person Hartz IV erhält, wird jedoch geprüft, ob die Einnahmen ihres Partners oder ihrer Partnerin ausreichen, um ihren "Bedarf" zu decken. Ist dies der Fall, besteht kein Hartz-IV-Anspruch. Besitzt die arbeitslose Person Vermögen, das über den in Paragraf 12 des zweiten Sozialgesetzbuches normierten Grenzen liegt, besteht ebenfalls kein Hartz-IV-Anspruch.

Sonderregeln für Altersvorsorgevermögen

Die Vermögensgrenze ist abhängig vom Lebensalter. Es gilt ein Grundfreibetrag von 150 Euro pro Lebensjahr. Dazu kommt ein "Freibetrag für notwendige Anschaffungen" in Höhe von 750 Euro. Das sogenannte Schonvermögen eines 52-Jährigen liegt also beispielsweise bei 8.550 Euro. Hat er ein höheres Vermögen, hat er keinen Hartz-IV-Anspruch und muss sein Vermögen bis auf einen Rest von 8.550 Euro verbrauchen, bevor er leistungsberechtigt ist.

Sonderregeln gelten für Altersvorsorgevermögen. In einem Riesterrentenvertrag angespartes Vermögen ist generell geschützt, bei anderen Formen der Altersvorsorge kommt es auf den Vertrag an. Für "geldwerte Ansprüche, die der Altersvorsorge dienen, soweit die Inhaberin oder der Inhaber sie vor dem Eintritt in den Ruhestand aufgrund einer unwiderruflichen vertraglichen Vereinbarung nicht verwerten kann", gilt eine Vermögensfreigrenze von 750 Euro pro Lebensjahr. Verfügt ein 52-Jähriger über einen solchen Vertrag, in dem maximal 39.000 Euro angespart sind, darf er ihn in voller Höhe behalten. Hat er mehr angespart, muss er sich die über 39.000 Euro hinausgehenden Ansprüche auszahlen lassen und zunächst davon leben, bevor er Hartz IV bekommt.

Altersvorsorgevermögen, für das kein Verwertungsausschluss vereinbart ist, ist nach dem Gesetz nur in den Grenzen des Grundfreibetrags von 150 Euro pro Lebensjahr geschützt. Dennoch können Hartz-IV-Bezieher, die eine Kapitallebensversicherung abgeschlossen haben, diese in vielen Fällen behalten, da "Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist", nicht angetastet werden dürfen. Im Anschluss an diese Norm hat die Bundesagentur für Arbeit bestimmt, dass Kapitallebensversicherungen vor dem letzten Fünftel ihrer Laufzeit nicht beliehen werden müssen.

Angemessenheit der Wohnung

Kraftfahrzeuge müssen nicht verkauft werden, wenn sie angemessen sind. Die Angemessenheitsgrenze liegt bei einem zu erzielenden Preis von 7.500 Euro. Lässt sich ein Auto teurer verkaufen, muss es veräußert werden. Der ehemalige Autobesitzer muss dann so lange von dem Verkaufserlös leben, bis sein Vermögen unter dem vom Lebensalter abhängigen Schonvermögen liegt. Dann hat er Anspruch auf Hartz IV.

Wer ein "selbst genutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung" sein Eigen nennt, muss seine Immobilie nicht veräußern, um Hartz IV erhalten zu können. Bei der Beurteilung der Angemessenheit kommt es insbesondere auf die Zahl der in dem Haus oder der Wohnung lebenden Personen, aber auch darauf an, ob eventuell ein erhöhter Flächenbedarf zum Beispiel für einen Rollstuhlfahrer besteht. Bei Eigentumswohnungen gelten für vier Personen in der Regel rund 120 Quadratmeter als angemessen, bei Häusern 130 Quadratmeter.

Zu wenig für ein menschenwürdiges Leben

Wer in der eigenen Immobilie lebt, hat jedoch oft ein anderes Problem. Denn Wohnkosten werden von den Jobcentern nur in "angemessener" Höhe bezahlt. Die Kommunen, die die Obergrenzen festlegen, orientieren sich bei vier Personen jedoch nicht an den Mietpreisen von 120 oder 130, sondern von ca. 90 Quadratmetern und außerdem an Wohnungen mit einfacherer Ausstattung. Da außer in besonderen Ausnahmefällen bei kreditfinanzierten Immobilien nicht der Tilgungs-, sondern nur der Zinsanteil vom Jobcenter bezahlt wird, haben Hartz-IV-Bezieher meist keine Möglichkeit, ihr Wohneigentum auf Dauer zu behalten.

Fazit: Menschen, die sich im Laufe ihres Arbeitslebens einen gewissen Wohlstand erarbeitet haben, werden durch die Hartz-IV-Gesetze gezwungen, in kurzer Zeit ihr Vermögen bis auf einen relativ kleinen Rest zu verbrauchen. Insofern ist der SPD zuzustimmen, wenn sie hier Änderungen vornehmen will.

Die von der SPD geplante verlängerte Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I und eine zweijährige Schonfrist für Vermögen nützen allerdings dem 52-Jährigen, der seinen Arbeitsplatz verloren hat, nichts, wenn er auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr Fuß fasst. Die nach wie vor große Gruppe von Langzeitarbeitslosen benötigt dauerhaft großzügigere Vermögensregelungen, realistische Mietobergrenzen und höhere Regelsätze, da die geltenden Regelungen für ein menschenwürdiges Leben nicht ausreichen. Dazu sagt das SPD-Papier jedoch leider nichts.

Martin Staiger ist in der sozialrechtlichen Fortbildung von Sozialarbeitern und als Publizist tätig.


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