sozial-Politik

Gewaltschutz

In Frauenhäusern fehlen Tausende Plätze




Oft finden Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind, nicht schnell genug eine Bleibe im Frauenhaus, wie hier in Frankfurt am Main.
epd-bild/Heike Lyding
Jahrelang wurde Magda Winkelmann von ihrem Mann geschlagen. Endlich fand sie einen Frauenhausplatz - zurzeit keine Selbstverständlichkeit. Denn viele Frauenhäuser sind überlastet. Mit einem Bundesprogramm soll sich das in naher Zukunft ändern.

Als sie ihren Mann kennenlernte, war es die große Liebe. Zwölf Jahre lang war sie mit ihm zusammen. "Wenn ich mich heute daran erinnere, bekomme ich immer noch Bauchschmerzen", sagt Magda Winkelmann (Name geändert). Als die Anfangseuphorie nach ein paar Jahren verflogen war und Alltag einkehrte, sei es immer wieder hässlich geworden, berichtet sie. Ihr Mann habe sie über Jahre hinweg misshandelt, geschlagen, gewürgt. Einmal sei sie fast erstickt, erzählt Winkelmann.

Angezeigt und verlassen habe sie ihn lange nicht, aus vielen Gründen: Erst habe sie seinen Versprechen geglaubt, es werde nie wieder vorkommen. Und dann sei da diese Angst gewesen, dieser Zweifel, ob ihr überhaupt jemand glaubt. Ihr Mann habe sie in der Familie und seinem kleinen Heimatdorf in Süddeutschland immer als labil und unglaubwürdig hingestellt. Er habe auch gedroht, ihr den gemeinsamen Sohn wegzunehmen. "Von meinem Selbstwertgefühl war nichts mehr übrig", sagt Winkelmann.

Expertin: Schnell Hilfe holen

Johanna Thie, Diakonie-Expertin für den Gewaltschutz von Frauen, rät in solchen Situationen dazu, sich möglichst schnell Hilfe zu suchen. "Das kann erst mal eine Freundin sein, die Mutter oder eine Beratungsstelle. Wichtig ist, dass die betroffene Frau in ihrer Situation ernst genommen wird, sie bestärkt und ihr Auswege gezeigt werden", sagt sie. Hilfreich sei es auch, eine Notfalltasche mit wichtigen Dokumenten und Kleidung bei Freunden oder auf der Arbeit zu deponieren, damit der Auszug, wenn nötig, schnell gehen könne.

Irgendwann sei die Angst um das eigene Leben größer gewesen als alle anderen Bedenken, erzählt Winkelmann: "Ich dachte: Wenn ich jetzt nicht gehe, überlebe ich es vielleicht nicht." Sie hatte Glück und bekam einen Platz in einem Frauenhaus - mit der Hilfe einer Freundin und nach einigem Suchen im Internet, wobei sie aus Angst vor dem Partner akribisch auf das Löschen aller Browserdaten achtete.

Das klappt aber bei weitem nicht immer. "2017 konnten allein die 55 katholischen Frauenhäuser 3.057 Frauen wegen Überbelegung nicht aufnehmen", sagt Heike Herold, Geschäftsführerin des Vereins Frauenhauskoordinierung mit Sitz in Berlin. Nach den Anforderungen der Istanbul Konvention, einem Übereinkommen des Europarates für den Schutz vor häuslicher Gewalt, fehlen bundesweit an die 5.000 Plätze. Ende Dezember hatten beispielsweise in ganz Nordrhein-Westfalen nur drei Häuser noch Kapazitäten für eine Aufnahme.

Oft fehlen die passenden Strukturen

Häufig fehlt es aber auch an den passenden Strukturen: Nicht alle Hauser sind etwa darauf ausgelegt, Frauen mit psychischen Problemen aufzunehmen oder ältere Söhne zu beherbergen. Manchmal gibt es zwar genug Betten, aber es herrscht Personalnot.

Die Unterhaltung von Frauenhäusern ist eine sogenannte freiwillige Leistung der Kommunen. Wenn Geldnot herrscht, kann an dieser Stelle gespart werden - was auch nicht selten passiert. Die Betreiber haben wenig Planungssicherheit. Einige Häuser finanzieren sich mittlerweile durch die hilfesuchenden Frauen selbst, um überhaupt geöffnet bleiben zu können.

Die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser kritisiert das: Je komplizierter und mühsamer der Zugang zu Schutz sei, desto weniger wirksam seien die Angebote. "Die schnelle und unbürokratische Aufnahme in ein Frauenhaus kann das Leben von Frauen und Kindern retten."

Zahl der Gewalttaten wächst deutlich

Das Problem ist ein drängendes und hat in den vergangenen Jahren immer mehr an Brisanz gewonnen: Aus der Kriminalitätsstatistik des Bundeskriminalamtes (BKA) ergibt sich, dass die Zahl der gemeldeten Opfer von Gewalt in einer Partnerschaft zwischen 2013 und 2017 von 122.000 auf knapp 139.000 gestiegen ist. Die Mehrheit der Opfer (82 Prozent) ist den Angaben zufolge weiblich. Fast die Hälfte dieser Frauen lebt in einem Haushalt mit dem Tatverdächtigen.

Jeden zweiten bis dritten Tag (147 Mal) wurde 2017 eine Frau von ihrem Partner oder Expartner getötet. "Das ist für ein modernes Land wie Deutschland eine unvorstellbare Größenordnung", sagte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) bei der Vorstellung der Zahlen im November.

Dazu kommt eine hohe Dunkelziffer. Nur jedes fünfte Opfer suche sich überhaupt Hilfe, sagte Giffey. Die Politikerin kündigte an: Ab 2020 will der Bund jährlich 30 Millionen Euro für Frauenhäuser und Beratungsstellen investieren.

Die Kernforderung der Frauenhauskoordinierung und anderer NGOs ist seit langem ein Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz. Das Thema ist in den vergangenen Jahren stärker in die Öffentlichkeit gerückt, wie Johanna Thie von der Diakonie sagt, "aber wenn es um die Finanzierung geht, ist es weiterhin nicht einfach."

Gemeinsamer Ausbau der Angebote geplant

Mit dem im September gestarteten Runden Tisch von Bund, Ländern und Kommunen zum Ausbau und adäquater Finanzierung der Schutzangebote werde das nun nach 42 Jahren Frauenhausarbeit langsam in den Blick genommen. Besonders wichtig seien bundesweit einheitliche rechtliche Bedingungen, um zum Beispiel die Unterbringung in einem anderen Bundesland zu erleichtern.

Magda Winkelmann hat es trotz der Unterversorgung der Frauenhäuser geschafft und lebt mit ihrem Sohn mittlerweile in einer eigenen Wohnung. Sie möchte in Zukunft den Mut finden, öffentlich über ihre Erfahrungen zu sprechen. Eine Bekannte plane eine Vortragsreihe, um für das Thema zu sensibilisieren. "Im Moment traue ich mir das noch nicht ganz zu", sagt sie. "Aber das Thema ist für viele immer noch so ein Tabu. Es gibt noch so viel zu tun."

Nora Frerichmann