

Frankfurt a.M. (epd). Anke Hassel zufolge gibt es viele Stellschrauben, um die Vermittlung von Arbeitslosen zu verbessern. Vor allem aber müssten die Löhne im Niedriglohnsektor steigen, sagte die Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI). Das Institut gehört zur Hans-Böckler-Stiftung. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Quer durch die bundesdeutsche Parteienlandschaft mehrt sich die Kritik an Hartz IV. Hat das System überhaupt noch eine Zukunft?
Anke Hassel: Ja, das System wird weiterbestehen bleiben. Man kann es verbessern, wird es aber nicht abschaffen.
epd: Der Ruf von Hartz IV ist schlecht wie eh und je. Reicht es aus Ihrer Sicht, kleine Korrekturen vorzunehmen, wie etwa die Sanktionen abzuschaffen?
Hassel: Ja, man sollte Korrekturen vornehmen. Sanktionen kann man einschränken, aber man sollte sie nicht abschaffen. Diejenigen, die sich komplett aus der Aktivierung verabschieden, sollten keine Leistungen erhalten. Mietzahlungen müssen jedoch gewährt werden.
epd: Würde es mit dem ramponierten Hartz-IV-Image nicht schon merklich bergauf gehen, wenn die Regelsätze und andere Hilfen so deutlich angehoben werden, dass kein Leben unter dem Existenzminimum erzwungen wird?
Hassel: Das ramponierte Image des deutschen Arbeitsmarktes würde deutlich verbessert, wenn die Löhne im Niedriglohnsektor angehoben würden und es daher einfacher wäre, aus dem Status der Aufstocker rauszukommen. Das würde die Verunsicherung vieler Menschen verringern. Deutschland hat im internationalen Vergleich einen sehr großen Niedriglohnsektor und sehr niedrige Löhne am unteren Ende des Arbeitsmarktes. Dort muss man ansetzen. Hartz IV spielt da nur eine untergeordnete Rolle. Für Menschen, die nicht erwerbstätig sind, sollten Instrumente des sozialen Arbeitsmarktes ausprobiert werden.
epd: Die SPD will nun einen radikalen Bruch mit ihrer eigenen Agenda-2010-Reform vollziehen. Muss das zu einem grundlegend anderen Modell der Absicherung bei Arbeitslosigkeit führen und wie sollte das aussehen?
Hassel: Nein. Die SPD versucht sich mit den Kritikern der Agenda-Politik zu versöhnen. Mit der tatsächlichen Lage am Arbeitsmarkt hat das wenig zu tun. Man kann Hartz IV verbessern, in dem man Leistungen pauschaliert, den Anspruch auf Einzelfallgerechtigkeit runterschraubt und damit die Komplexität von Anträgen und auch Sanktionen reduziert. Man sollte, und das wird ja bereits getan, mehr in die Weiterbildung investieren und Menschen aktiver in der Arbeitssuche betreuen.
epd: Jetzt haben auch die Grünen einen Systemwandel vorgeschlagen und eine Form der Grundsicherung ins Spiel gebracht? Ist das der richtige Weg, um von Hartz IV wegzukommen?
Hassel: Nein, das ist nicht der richtige Weg. Aber es ist nachvollziehbar, dass die Grünen vom bedingungslosen Grundeinkommen nichts wissen wollen.
epd: Die Grünen gehen von mehr Empfängern ihrer "Garantiesicherung" aus, aber von weniger Armut. Ist das schlüssig?
Hassel: Ja, wenn Sie die Leistungen anheben, vergrößern Sie auch immer den Kreis der Berechtigten.
epd: Schon heute fehlen Fachkräfte. Welche Folgen hätte eine Abkehr von Hartz IV mit den vielen Zwangsverpflichtungen für den Arbeitsmarkt?
Hassel: Mit dem Fachkräftemangel hat das nur begrenzt zu tun, weil nur sehr wenige gut qualifizierte Fachkräfte im Hartz-IV-Bezug sind. Es gibt jedoch viele Fachkräfte im Niedriglohnsektor, die besser bezahlt werden sollten.
epd: Viele Kritiker sagen, dann würden für teures Geld Leute unterstützt, die gar keine Hilfe bräuchten. Was meinen Sie?
Hassel: Zum Teil stimmt das. Der Grundkonflikt besteht aber mit denjenigen, die für wenig Geld arbeiten. Hier muss man ansetzen.