Gütersloh, Berlin (epd). Im Osten Deutschlands betreut eine Fachkraft im Durchschnitt doppelt so viele Kinder wie im Westen. "Die Kita-Qualität hat sich bundesweit verbessert - die Kluft zwischen den Ländern ist allerdings geblieben", sagte der Vorstand der Bertelsmann Stiftung, Jörg Dräger, am 28. August in Gütersloh bei der Vorstellung des Ländermonitors für frühkindliche Bildung. Er mahnte bundesweit einheitliche Qualitätsstandards an, was Sozialverbände und die Gewerkschaft GEW befürworteten. Der Deutsche Städtetag äußerte sich hingegen skeptisch.
In Ostdeutschland kamen im vergangenen Jahr den Angaben zufolge sechs Kinder unter drei Jahren auf eine Betreuungskraft, in Westdeutschland waren es 3,6 Kinder. Fünf Jahre zuvor waren es 6,4 Jungen und Mädchen im Osten und 3,9 in Westen. Den besten Personalschlüssel hat Baden-Württemberg (3), Schlusslicht ist Sachsen-Anhalt (6,4). Allerdings würden in Ostdeutschland traditionell deutlich mehr Kinder unter drei Jahren in Krippen betreut, hieß es.
Auch bei den älteren Kita-Kindern liegt Baden-Württemberg mit einem Verhältnis von einer Fachkraft zu sieben Kindern vorn. Das ungünstigste Betreuungsverhältnis hat Mecklenburg-Vorpommern mit 13,4 Kinder pro Fachkraft. Die Experten der Bertelsmann Stiftung empfehlen ein Betreuungsverhältnis von einer Fachkraft für drei unter dreijährige Kinder beziehungsweise für 7,5 ältere Kinder.
Die Stiftung forderte bundesweit einheitliche Qualitätsstandards für Kitas. So sollten Bund und Länder in den Verhandlungen zum Gute-Kita-Gesetz eine Verbesserung der Personalschlüssel und Leitungsausstattung auf den Weg bringen, hieß es. Das Gesetz soll unter anderem zu einer Senkung der Gebühren beitragen und den Betreuungsschlüssel verbessern. Bis 2022 will die Bundesregierung den Ländern rund 5,5 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Nach Einschätzung der Bertelsmann Stiftung wären jedoch jährlich 8,7 Milliarden Euro nötig.
Einheitliche Standards forderten auch Sozialverbände und die Gewerkschaft GEW. Das Schneckentempo bei der Verbesserung der Kita-Qualität müsse ein Ende haben, kritisierte der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerkes, Holger Hofmann. Zusätzlich zu den erforderlichen Investitionen für mehr Kita-Plätze sei ein Investitionsprogramm von jährlich fünf Milliarden Euro zur Verbesserung der Betreuungsqualität nötig.
Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) mahnte zudem eine bessere Bezahlung für Erzieherinnen an, um den Beruf attraktiv zu machen. "Wir benötigen einen Kurswechsel, denn ohne eine angemessene Attraktivitätssteigerung der frühkindlichen Förderung wird der Erzieherinnen- und Erziehermangel immer größer", betonte Bundesvorsitzender Wolfgang Stadler. Die Lösung sehe er vor allem in einer deutlich verbesserten Bezahlung: "Wie sonst sollen sich so viele junge Menschen, wie wir benötigen, für diese Ausbildung entscheiden?"
Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe forderte in der "Neuen Osnabrücker Zeitung", der Bund müsse ein für alle Länder verbindliches Gesetz auf den Weg bringen, um unterschiedliche Standards anzugleichen. Zudem müsse er jährlich zehn Milliarden Euro zusätzlich in die Qualität der Kitas investieren.
Dagegen lehnte der Deutsche Städtetag bundeseinheitliche Standards ab. Diese würden den sehr unterschiedlichen Konzepten der Kitas vor Ort nicht gerecht, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. Für die Qualitätsverbesserung müsse der Bund dauerhaft Mittel zur Verfügung stellen. Die bislang in Aussicht gestellten 5,5 Milliarden Euro reichten nicht aus.
Bund und Länder haben dem Städtetag zufolge in der vergangenen Legislaturperiode selbst Qualitätsziele benannt, deren Umsetzung in der Summe Kosten von weit mehr als zehn Milliarden Euro jährlich verursachen würde. "Deshalb müssen natürlich auch die Länder erhebliche Summen beisteuern. Bund und Länder sollten außerdem sicherstellen, dass die zusätzlichen finanziellen Mittel zielgerichtet in die Qualitätsentwicklung in der Kindertagesbetreuung fließen", sagte Dedy. Öffentliche Mittel, die für eine Befreiung von Kita-Beiträgen eingesetzt werden, dürften nicht beim weiteren Ausbau der Plätze und bei der Verbesserung der Qualität fehlen.
Für die Grünen sagte Parteichefin Annalena Baerbock: "Dass sich die Personalsituation in den Kitas verbessert hat, ist erfreulich. Doch dass das geplante Kita-Qualitätsgesetz der Bundesregierung laut der Studie diesen Erfolg wieder konterkarieren kann, muss ein Alarmzeichen für Union und SPD sein." Kita-Qualität dürfe nicht vom Wohnort abhängig sein. Es brauche bundesweit einheitliche Qualitätsstandards und eine dauerhafte Beteiligung des Bundes an der Finanzierung der frühkindlichen Bildung.
Bayerns Familienministerin Kerstin Schreyer (CSU) relativierte die Untersuchungsergebnisse. "Die Gemeinden tragen die Planungs- und Finanzierungsverantwortung. Sie entscheiden mit ihrer Förderung über die Qualität einer Einrichtung und beispielsweise auch darüber, welchen Anstellungsschlüssel sie zu fördern bereit sind. Unterschiedliche Bedingungen in den Einrichtungen sind daher in erster Linie auf unterschiedliche Prioritätensetzungen der Gemeinden zurückzuführen."
Und sie gab zu bedenken: "Sich nur auf den Personalschlüssel zu fixieren, wird der komplexen und verantwortungsvollen Aufgabe der Kinderbetreuung nicht gerecht. Frühkindliche Bildung umfasst weitaus mehr, als sich in den Zahlenmodellen der Studie abbilden lässt. Auch wenn Bayern hier im deutschlandweiten Vergleich solide abschneidet, sagen die blanken Zahlen nur wenig über die Qualität der Kinderbetreuung aus."
Grundlage des jährlich aktualisierten Ländermonitors sind Auswertungen von Daten der statistischen Ämter des Bundes und der Länder aus der Kinder- und Jugendhilfestatistik sowie weiteren Statistiken. Stichtag war der 1. März 2017.