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"Austausch auf Augenhöhe"




Joachim Gauck serviert Obdachlosen bei Berliner Bahnhofsmission Essen.
epd-bild/Rolf Zöllner
Seit gut fünf Wochen ist Joachim Gauck nicht mehr Bundespräsident. Jetzt löste er ein Versprechen ein: In der Berliner Bahnhofsmission am Zoo servierte das ehemalige Staatsoberhaupt zahlreichen Obdachlosen das Essen.

Pünktlich vor Dienstbeginn zieht sich Joachim Gauck die blaue Weste der Berliner Bahnhofsmission am Zoo an. Wie alle ehrenamtlichen Helfer in dem Obdachlosen-Hilfezentrum am Berliner Bahnhof Zoo muss er ein Namensschild anheften. "Joachim" steht drauf, damit seine Gäste wissen, mit wem sie es zu tun haben. Gut eine Stunde lang wird der ehemalige Bundespräsident gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Daniela Schadt bei der Essensausgabe für Wohnungslose mithelfen.

Der ehemalige erste Mann im Staat hat Wort gehalten: Bei seinem letzten Besuch der Bahnhofsmission am Zoo, die täglich rund 600 Menschen mit Essen und Kleidung versorgt, hatte er Mitte Dezember 2016 versprochen, wiederzukommen.

Und nur gut drei Wochen nach seinem Amtsende als Bundespräsident löste er am 12. April sein Versprechen ein. Dabei wurde er neben Daniela Schadt auch von Stadtmissionsdirektor Joachim Lenz sowie dem Berliner S-Bahn-Chef Peter Buchner unterstützt.

Gauck krempelt die Ärmel hoch und packt mit an

Kurz vor 14 Uhr krempelt Gauck die Ärmel hoch und lässt sich in die Arbeit einweisen. Seine Chefin für diesen Hilfseinsatz ist die 30-jährige Xiomara. Sie erklärt: "Die Essensausgabe ist in sechs verschiedene Bereiche eingeteilt. Die Gäste bekommen von allem etwas angeboten. Was sie davon wollen, wird ihnen serviert."

Gauck hört aufmerksam zu, dann hat er doch noch eine Frage zum Ablauf: "Haben denn alle schon einen Teller?" Nein, den muss der ehemalige Bundespräsident seinen Gästen natürlich reichen, inklusive Besteck und Serviette. Xiomara weist den neuen Küchenhelfer noch an, Gummihandschuhe anzuziehen, wenn er gleich diverse warme Speisen, Wurst- und Käsebrote, Joghurt und Kuchen ausgeben wird.

Viel Zeit für weitere Rückfragen bleibt Gauck nicht mehr. Punkt 14 Uhr öffnen sich die Türen für den ersten Essensdurchgang. Wie jeden Tag warten hier schon etwa 70 Obdachlose, um sich wenigstens einmal am Tag mit einem warmen Essen versorgen zu können. Viele von ihnen kommen jeden Tag hierher.

"Ich kenne ihn gar nicht"

Dass heute ein ehemaliger Bundespräsident an der Essensausgabe steht, beeindruckt die meisten nicht besonders. "Ich kenne ihn gar nicht", sagt etwa Reinhard. Ja, vom Bundespräsidenten hätte er schon gehört. Aber dass der Mann hinter dem Tresen so ein Staatsoberhaupt gewesen sein soll, wisse er nicht und interessiere ihn auch nicht, sagt der etwa 70-jährige zierliche Mann.

Ralf aus Frankfurt am Main dagegen sagt: "Das ist schon was Besonderes, dass der Gauck heute hier hilft. Das hat mich angelockt." Er habe ihn als Bundespräsident wirklich gemocht. Es sei vor allem die "lockere Art und die Offenheit", die er an Gauck mag, betont der 55-Jährige, der seit Oktober vergangenen Jahres auf der Straße lebt. Er würde sich freuen, wenn Gauck öfter als Helfer in der Bahnhofsmission auftauchen würde.

Ähnlich äußern sich auch andere - etwa die ehrenamtliche Helferin Dana: Gauck vermittle das Gefühl, den "Austausch auf Augenhöhe" zu suchen. Und sich wirklich für die Menschen und deren individuelle Geschichte zu interessieren.

Der Ex-Präsident sucht immer das Gespräch

Tatsächlich sucht Gauck immer wieder das Gespräch mit Gästen und Helfern. Nachdem der große Gästeandrang abgeebbt ist, lehnt der frühere Bundespräsident locker am Küchenschrank und plaudert mit anderen Ehrenamtlichen. Schon vor seinem Dienst an der Essensausgabe hatte er sich mit etwa 30 Helfern der Berliner Bahnhofsmission über deren Arbeit ausgetauscht.

Immer wieder beeindrucke ihn das ehrenamtliche Engagement von so vielen Menschen in Deutschland und auch hier in der Berliner Bahnhofsmission, betont Gauck. Das sei auch der Grund gewesen, weshalb er versprochen hatte, hier mal mithelfen zu wollen. Selbst mit Hand anzulegen, wo Hilfe gebraucht wird, das macht ihm sichtbar Spaß.

Deshalb schließt Gauck auch weitere Hilfseinsätze in der Berliner Bahnhofsmission nicht aus. "Es kann schon sein, dass Daniela und ich wiederkommen", so Gauck. Festlegen will er sich allerdings noch nicht. "Es gibt noch so viele andere tolle Typen, die tolle ehrenamtliche Arbeit machen", betont der Altbundespräsident.

Jetzt wo er nicht mehr so eine Fülle an offiziellen Terminen bewältigen muss, wolle er sich noch mehr Hilfsprojekte anschauen und bei dem einen oder anderen auch selbst zum Einsatz kommen, kündigt das frühere Staatsoberhaupt an.

Christine Xuân Müller

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