Berlin, Frankfurt (epd). Trotz der niedrigen Spenderzahlen sehen Experten die Transplantationsmedizin in Deutschland am Wendepunkt. Es herrsche "eine unglaubliche Aufbruchstimmung, endlich eine Kultur der Organspende zu schaffen", sagte der Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer, Hans Lilie, am 6. Dezember in Berlin.
Lilie äußerte sich anlässlich der Vorstellung des Jahresberichts der Überwachungs- und der Prüfungskommission für Transplantationen. Der Bericht der Kommissionen bewertet die Arbeit der Transplantationszentren überwiegend positiv. Verstöße haben danach deutlich abgenommen. Waren in der ersten Prüfphase nach dem Organspende-Skandal von 2012 noch 13 Transplantationszentren mit Verstößen gegen die Regeln aufgefallen, sind es dem jüngsten Bericht zufolge nur noch drei.
Die Überwacher hätten dazu auch selbst einen Beitrag geleistet, sagte Lilie. Es gebe zudem derzeit in der Politik mehrere Ansätze, die Organspende zu fördern. Dazu zähle neben Verbesserungen für Entnahme-Kliniken auch die Debatte um die Widerspruchslösung.
46 Zentren
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat ein Gesetz zur besseren Finanzierung der Entnahme-Kliniken auf den Weg gebracht. Parallel dazu stieß er eine Debatte über die Einführung einer Widerspruchslösung an, um die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Die Ärzteschaft hatte sich schon auf dem Ärztetag im Mai für die Widerspruchslösung ausgesprochen. Im Bundestag gibt es indes Widerstand, wie bei einer ersten Debatte Ende November deutlich wurde.
In Deutschland gibt es 46 Transplantationszentren, an denen im Rahmen von 128 Programmen Organe verpflanzt werden. 60 dieser Programme wurden von den Kommissionen auf der Basis von knapp 1.500 Krankenakten überprüft. Ein besonderes Augenmerk liegt darauf, ob Unterlagen gefälscht werden, um Patienten auf den Wartelisten nach vorne zu schieben. Manipulationen dieser Art an mehreren Universitätskliniken waren 2012 bekanntgeworden.
Systematische Unregelmäßigkeiten stellten die Prüfer im Herztransplantationsprogramm am Universitätsklinikum Köln-Lindenthal und bei Lebertransplantationen am Universitätsklinikum Frankfurt am Main fest. Darüber seien die zuständigen Behörden und Staatsanwaltschaften informiert worden, erklärte die Vorsitzende der Prüfungskommission, Anne-Gret Rinder. Die Frankfurter Oberstaatsanwältin Nadja Niesen bestätigte dem Evangelischen Pressedienst (epd) den Eingang eines entsprechenden Antrags auf Prüfung eines Anfangsverdachts. Eine Strafanzeige sei jedoch nicht erstattet worden
797 Spender
Keine Beanstandungen gab es im Bereich der Nieren- und Bauchspeicheldrüsen-Verpflanzungen. Auch bei den Herz-, Lungen- und Lebertransplantationen sei weit überwiegend ordnungsgemäß gearbeitet worden. Hier sei es lediglich in einzelnen Transplantationszentren zu Fehlern gekommen, die aber keine systematische Vorgehensweise erkennen ließen, so der Bericht.
Die Überwachungs- und die Prüfkommission werden von Vertretern der Bundesärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband der Krankenkassen gebildet. Sie prüfen zum einen die Abläufe bei der Gewinnung von Organen, zum anderen die Vermittlung von Organen an Empfänger. Ihr Auftrag beschränkt sich darauf, Verstöße gegen das Transplantationsgesetz und die Richtlinien der Bundesärztekammer festzustellen und die Informationen an die zuständigen Stellen weiterzuleiten.
Die Zahl der Organspenden war nach 2012 eingebrochen und hatte im vergangenen Jahr ihren bisherigen Tiefstand erreicht. In der Folge der Skandale waren mehr Kontrollen eingeführt worden. In Deutschland warten mehr als 10.000 Patienten auf ein Spenderorgan. Dem standen 2017 nur 797 Spender gegenüber, denen im Durchschnitt drei Organe entnommen wurden.