Rom (epd). Wohl kein anderes päpstliches Lehrschreiben hat bei Gläubigen so großes Unverständnis ausgelöst wie die sogenannte Pillen-Enzyklika "Humanae vitae". Papst Paul VI. verbot Verhütungsmittel wie die Antibabypille, zugleich verlangte er von römisch-katholischen Christen "Selbstzucht", "Askese" und die "Beherrschung ihres Trieblebens". 50 Jahre nach Veröffentlichung der Enzyklika am 25. Juli 1968 könnte das Thema Verhütung und der Umgang der katholischen Kirche mit modernen Familien zeigen, wie ernst es Papst Franziskus mit der ins Zentrum seines Pontifikats gestellten Barmherzigkeit wirklich meint.
Körperliche Liebe sei nur dann wahr, wenn sie der Zeugung menschlichen Lebens dient, unterstrich der 1978 verstorbene Papst Paul VI. - einzig die Beschränkung sexueller Handlungen auf die natürlichen Zyklen der "empfängisfreien Zeiten" sei dann gerechtfertigt, wenn schwerwiegende Gründe dafür sprechen, "Abstände in der Reihenfolge der Geburten" einzuhalten.
Ohne ein Verbot von Verhütungsmitteln tendierten Ehepartner nach Ansicht von Paul VI. zur Untreue. Auch Forderungen nach einer Eindämmung der "Bevölkerungsexplosion" in Entwicklungsländern durch Geburtenkontrolle erteilte Papst Paul VI. eine klare Absage. Andernfalls drohe ein gefährlicher Sittenverfall.
Das heutige Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Franziskus, änderte den bisherigen Kurs seiner Kirche zum Thema Geburtenplanung bislang nicht. Allerdings ließ eine Äußerung auf dem Rückflug seiner Reise auf die Philippinen im Januar 2015 viele aufhorchen: Katholiken sollten sich nicht "wie Karnickel" vermehren, sagte er. Im gleichen Atemzug würdigte er jedoch die umstrittene Enzyklika seines Vorgängers als "prophetisch", da sie sich einer zwangsweisen Geburtenkontrolle entgegenstemme. Im Oktober will Papst Franziskus seinen Vorgänger Papst Paul VI. heiligsprechen.
Entstehung von "Humanae vitae" wird rekonstruiert
Mittlerweile arbeitet eine Kommission im Auftrag des Papstes daran, in den Archiven der Glaubenskongregation die Entstehung von "Humanae vitae" zu rekonstruieren. Paul VI. hatte sie damals entgegen der Empfehlungen einer Expertenkommission und einer Mehrheit von Bischöfen veröffentlicht, die er zuvor beim Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) zum Thema Verhütungsmittel hatte befragen lassen.
Das Arbeitspapier der Bischofssynode zu Fragen von Ehe und Familie von 2014 betonte noch uneingeschränkt die Gültigkeit des Verbots von Verhütungsmitteln. Mit Blick auf die Nutzung von Präservativen zur Vorbeugung gegen Aids beklagen die Urheber darin "karikierende Medienberichte". Dagegen gelte es, "die Position der Kirche besser zu erklären".
Auch das Arbeitspapier für die in diesem Herbst geplante Jugendsynode beharrt auf der geltenden Sexualmoral. Diese müsse nur besser verständlich gemacht werden, heißt es.
Unter Benedikt XVI. waren vorsichtige Versuche unternommen worden, die Ächtung von Kondomen bei verheirateten Paaren zu lockern, um so zumindest die Ansteckung durch einen HIV-positiven Ehegatten zu verhindern. Ein entsprechender Bericht einer Vatikankommission wurde allerdings nie veröffentlicht. Im Interviewbuch "Licht der Welt" mit dem Journalisten Peter Seewald von 2010 fasste Benedikt seine Haltung zum Pillenverbot unmissverständlich zusammen: "Die Perspektiven von 'Humanae vitae' bleiben richtig."
Nicht nur ein Großteil der deutschen Jugendlichen, die an der für Herbst im Vatikan geplanten Bischofssynode über Jugend und Kirche teilnehmen werden, dürften das anders sehen. Einen Ausweg aus dem Dilemma zwischen Tradition und Moderne bei der Familienplanung scheint Franziskus in einer neuen Wertung der Inhalte von "Humanae vitae" zu suchen. In seiner Enzyklika "Amoris laetitia" fordert er, die Botschaft des Schreibens seines Vorgängers wiederzuentdecken, der zufolge "bei der moralischen Bewertung der Methoden der Geburtenregelung die Würde der Person respektiert werden muss".
Eine vollständige Aufhebung des Verbots von Verhütungsmitteln würde Öl ins Feuer der konservativen Papstgegner gießen, deren Vorwürfe bis hin zur Häresie reichen. So dürfte Franziskus sich wie bei der Frage der Zulassung nichtkatholischer Ehepartner zur Kommunion vorsichtig über Entscheidungen im Einzelfall vorantasten.