
Dresden (epd). Die Dresdner Frauenkirche ist längst wieder ein Wahrzeichen. Gut 60 Jahre nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde mit ihrer Weihe am 30. Oktober 2005 eine Lücke geschlossen. Jahrzehntelang war die Ruine der barocken Kirche aus dem 18. Jahrhundert zuvor ein Mahnmal im Zentrum der Stadt gewesen. Ende Oktober feiert Dresden den Wiederaufbau nach historischem Vorbild vor 20 Jahren. Die Stiftung Frauenkirche lädt zu einem Festwochenende ein, zu dem auch die britische Bischöfin von Coventry, Sophie Jelley, erwartet wird.
Das Gebäude mit der markanten Kuppel sei heute „ein Ort des Alltags wie der Ausnahmemomente, eine außergewöhnlich normale Kirche“, so formuliert es Geschäftsführerin Maria Noth. Die Frauenkirche gilt als Symbol für Frieden und Versöhnung, sie ist ein Zentrum der Musik sowie des gesellschaftlichen und geistlichen Lebens. Jährlich zieht sie rund zwei Millionen Gäste an.
In den sakralen Raum werde bewusst bei freiem Eintritt eingeladen, sagt Noth. Dennoch habe sich einiges verändert: Kamen anfangs jährlich rund 600.000 Menschen in die Andachten und Gottesdienste, waren es 2024 nur noch rund 115.000 Menschen. Ein Publikumsrenner sei aber auch der - nicht kostenfreie - Kuppelaufstieg: Jährlich genießen mehr als 200.000 Menschen den Ausblick aus 67 Metern Höhe.
„Die Leute sollen etwas Positives mitnehmen, damit sie den Besuch in guter Erinnerung behalten und auch weitererzählen, was es hier an geistlicher Nahrung gibt“, sagt Frauenkirchenpfarrerin Angelika Behnke. Nahezu täglich gibt es Orgelandachten, immer montags bis samstags um 12 Uhr sowie an vier Tagen zusätzlich um 18 Uhr, mit anschließender Kirchenführung im Hauptraum. In der Regel nehmen 100 bis 300 Menschen teil, im Advent können das auch mal bis zu 700 Gäste sein.
Die Frauenkirche hat keine eigene Gemeinde. Sie ist als Stiftung organsiert und muss sich eigenständig finanzieren. Rund 350 Ehrenamtliche unterstützen die Besucherangebote.
In der täglichen Arbeit wolle die Stiftung „aus dem ständigen Wiederholen der Wiederaufbaugeschichte herauskommen - nicht zuletzt mit Blick auf die heranwachsende Generation, für die das nicht mehr diese emotionale Bedeutung hat“, sagt Frauenkirchenpfarrer Markus Engelhardt. Ein Ort, in denen die Schrecken der Geschichte eingeschrieben und eingemauert sind, wird die Frauenkirche aber immer bleiben.
Der barocke Prachtbau wurde von 1726 bis 1743 nach Plänen des Dresdner Ratszimmermeisters George Bähr erbaut. Sie prägte mehr als 200 Jahre lang mit ihrer monumentalen Sandsteinkuppel die Stadt, bis sie nach den alliierten Bombenangriffen im Februar 1945 ausbrannte und einstürzte.
Zu DDR-Zeiten dominierten Frauenkirchen-Ruine und Trümmer den Neumarkt in der Mitte der Stadt als Mahnmal gegen den Krieg. 1989 bildete sich in Dresden eine Bürgerinitiative zum Wiederaufbau, unter ihnen der bekannte Trompeter Ludwig Güttler. 1994 begannen die Arbeiten am neuen Bauwerk. Finanziert wurde die Rekonstruktion überwiegend mit Spenden aus dem In- und Ausland. Medizin-Nobelpreisträger Günter Blobel etwa spendete einen großen Teil seines Preisgeldes. Die Gesamtkosten betrugen rund 180 Millionen Euro.
Etwa ein Fünftel der historischen Steine wurde im Neubau integriert. Der bauliche Zustand der Frauenkirche ist laut dem leitenden Architekten Thomas Gottschlich noch immer hervorragend. „Zum Teil sind wir jetzt nach 20 Jahren sogar besser aufgestellt als zum Zeitpunkt der Weihe“, sagt er. Viele technische Anlagen seien modernisiert worden, die Beleuchtung sei in einem Topzustand.
Der anfangs helle Sandstein patiniert - das heißt, er wird grauer. Dabei entstehe auch eine Schutzschicht gegen eindringende Feuchtigkeit, sagt Gottschlich. Das sei ein ganz normaler chemischer Prozess, aber vor allem helfe er dem Bauwerk. Etwa eine Million Euro sind für den Erhalt des Gebäudes jährlich notwendig. Der Haushalt der Frauenkirche wird nach wie vor aus Spenden und Zustiftungen gestemmt. Der Betrieb bleibt eine Herausforderung.
Pfarrer Engelhardt sieht für die nächsten Jahre noch eine besondere Aufgabe: „Wir wollen politischer werden. Als Kulturort werden wir uns klar positionieren müssen, zum Beispiel in den heutigen Konflikten, soweit das irgendwie möglich ist.“
Seiner Kollegin Behnke fällt auf, dass Gäste immer häufiger persönlich gesegnet werden wollen. „Die Leute sind nahezu segenshungrig“, sagt die Pfarrerin. Dafür müsse sich niemand vorher anmelden oder eine Taufurkunde vorlegen, das sei wichtig. „Mit der Stiftungssatzung ist uns in die Wiege gelegt, eine Gratwanderung zwischen Kirche und Gesellschaft zu praktizieren“, sagt Behnke. „Mit der Frauenkirche können wir zeigen: Man kommt aus Ruinen wieder raus, es gibt ein Danach und es gibt die Hoffnung.“

Frankfurt a.M. (epd). Die Weißfrauenkirche in Frankfurt am Main ist zur Übernachtungsstätte für obdachlose Menschen geworden. Länger als vier, fünf Tage habe es nicht gedauert, bis sich das zu Monatsbeginn gestartete Angebot etabliert habe, sagte Henning Funk, Leiter des Diakoniezentrums Weser5, am 13. Oktober dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Diakoniezentrum hat die 45 Schlafplätze im Frankfurter Bahnhofsviertel eingerichtet, die bis Ende März für Männer bereitstehen.
Er gehe davon aus, dass Schlafplätze in der Kirche in Deutschland einmalig sind, sagte Markus Eisele, Diakoniepfarrer und Theologischer Geschäftsführer im Evangelischen Regionalverband Frankfurt und Offenbach. „Es ist unsere ureigenste Aufgabe, für Menschen ohne Obdach da zu sein“, betonte er.
Die Diakoniekirche wird für Kunst und für Kulturveranstaltungen, für Tagungen und auch für die diakonische Arbeit genutzt. Nachdem einige Monate Kultur im Vordergrund stand, ist die Kirche nun sechs Monate lang für Menschen reserviert, die kein Dach über dem Kopf haben. Die Männer schlafen auf Feldbetten, die an den langen Seiten des Kirchenschiffs aufgereiht sind. Im Kopfbereich sind sie durch Stellwände voneinander abgetrennt, damit ein wenig Privatsphäre entsteht.

Hannover (epd). Der promovierte Theologe erklärt, warum die Bibel keine Langeweile kennt, Menschen damals ein anderes Maß für Glück hatten und was daran heute noch attraktiv sein kann.
epd: Herr Claussen, welche Vorstellungen hatten Menschen zu biblischen Zeiten von der Zeit, und wonach haben sie diese bemessen?
Johann Hinrich Claussen: In biblischen Zeiten war eine religiöse Ordnung der Zeit von großer Bedeutung. Sie wurde geprägt durch die Sieben-Tage-Woche und durch den Rhythmus, den die Jahreszeiten und die religiösen Hauptfeste vorgegeben haben. Es gibt Theorien, wonach die Menschen in der biblischen Zeit eher zyklisch gedacht haben, also in Zeitkreisen. Im Gegensatz dazu hat die Moderne einen linearen Zeitbegriff geprägt, der mit einem Fortschrittsgedanken verknüpft ist. Das vormoderne Denken kennt die Vorstellung, dass das Voranschreiten von Zeit zugleich Fortschritt bedeutet, hingegen nicht.
Eines jedoch verbindet das alte mit dem neuen Zeitdenken: Das apokalyptische Denken scheint wieder auf dem Vormarsch, also die Vorstellung, dass man auf ein Unheil zugeht, auf eine letzte Katastrophe.
epd: Da klingt etwas Schicksalsergebenes an.
Claussen: Schicksalsergebenheit würde ich nicht als Stichwort aufrufen. Aber es gibt ein gesteigertes Krisenbewusstsein. Viele Krisen verbinden sich und haben eine erstaunliche Dynamik. Das löst Gefühle von Wehr- und Hilflosigkeit aus. Es gibt die Erwartung, dass die Prozesse nicht einfach so weiterlaufen, sondern auf eine krisenhafte Entscheidung zulaufen, die am Ende von Gott aufgelöst wird. Dabei kommen zum Teil befremdliche Vorstellungen zum Ausdruck, etwa dass dann ein Gericht die Guten von den Bösen trennt. Für dieses Denken gibt es zwar biblische Vorbilder. Aber in einer derart massiven politischen Zuspitzung, wie wir das etwa in den USA nach der Ermordung von Charles Kirk gesehen haben, ist das schon problematisch.
epd: Welche Rolle hat Gott im biblischen Zeitempfinden gespielt, zum Beispiel als Zeitenlenker?
Claussen: Er hat eine ganz zentrale Rolle gespielt. In vormodernen, biblischen Zeiten ist man nicht nur unter Christen, sondern auch in angrenzenden religiösen Kulturen fest davon überzeugt gewesen, dass die menschliche Geschichte von Gott geführt wird. Gerade in der biblischen Tradition ist das Wirken Gottes in Heil und Unheil von großer Bedeutung. Dabei geht es um den Glauben, dass der Gott Israels zugleich der eine Gott der ganzen Welt ist.
epd: Berichtet die Bibel auch von Zeitdruck oder Langeweile?
Claussen: Langeweile in unserem heutigen Sinne kannten die Menschen der Bibel nicht, weil sie auch die Ablenkung und die Schnelligkeit und Dynamik unseres Lebens nicht kannten. Ganz zentral für das biblische Glücksdenken ist die Vorstellung von Beständigkeit. Wir verbinden ja häufig Glück und Zufriedenheit mit Wechsel, mit Veränderung. Wenn man in der Bibel nachschaut, findet man eher so ein Bild wie im ersten Psalm: Das Glück des Menschen besteht darin, zu sein wie ein Baum, gepflanzt an Wasserbächen, der nicht vergeht und verweht, sondern Bestand hat. Es gibt in der Bibel eine ganz andere Wertschätzung von Dauer und Stabilität, von einem Verwurzeltsein, und eben nicht ein „Jetzt kommt gleich das nächste große Ding“.
epd: Wäre das etwas, was uns heute auch wieder guttäte?
Claussen: Ja. Dieses Nachdenken darüber, dass langfristige Zufriedenheit mehr wert ist als kurzfristige Bedürfnisbefriedigung, dass einem das selbst mehr gibt, aber auch besser für die Umwelt und für andere Menschen ist, das ist ein bis heute wichtiges Erbe des biblischen Weisheitsdenkens.
epd: Wer im Mittelalter anfing, eine Kirche zu bauen, wusste, dass er sie niemals fertig sehen würde. Könnte auch das ein Beispiel für ein solches Denken sein?
Claussen: Die Vorstellung im Mittelalter war: Wir bauen jetzt nicht nur für uns selbst, sondern wir beginnen ein Werk für die Ewigkeit. Die erste Generation hat den Altarbereich gebaut, die nächste und übernächste dann vielleicht das Kirchenschiff und den Turm. Heute denken wir in der Politik gerade mal in Legislaturperioden und in der Wirtschaft von Quartalsbericht zu Quartalsbericht. Demgegenüber finde ich das Bild einer mittelalterlichen Kathedrale, die das Werk vieler Generationen ist, äußerst bewegend und inspirierend.
epd: Ein modernes Projekt, das diesen Gedanken aufgreift, ist dann vielleicht das Orgelstück von John Cage in Halberstadt, das sich über einen Zeitraum von 639 Jahren erstrecken soll?
Claussen: Ja, ich habe die John-Cage-Kirche in Halberstadt letztes Jahr endlich mal angeschaut und war hingerissen. Anfangs dachte ich, das ist nur eine spinnerte Idee. Nein, das ist ein wunderbares Kirchenkunstwerk, das einen demütig werden und über den Tellerrand der Aktualität hinausschauen lässt.

Hannover (epd). In der laufenden Debatte über den künftigen Wehrdienst mahnt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), Sicherheit nicht auf die militärische Verteidigungsfähigkeit zu reduzieren. Alle freiwilligen Dienste, die zur Stärkung der Gemeinschaft beitrügen, seien unverzichtbar, erklärte die EKD-Ratsvorsitzende und Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs am 16. Oktober in Hannover vor der ersten Debatte über das Thema im Bundestag.
Fehrs verwies auf die Sorgen vieler junger Menschen, was der künftige Wehrdienst für sie persönlich bedeute. „Zugleich sind viele bereit, sich zu engagieren - in Freiwilligendiensten, in Pflege, Katastrophenschutz oder digitaler Sicherheit“, zählte die EKD-Ratsvorsitzende auf. Ein kluges Gesetz müsse sowohl die Besorgnis als auch das Engagement der jungen Leute ernst nehmen. „Deshalb sind Wehrdienst und Friedensdienst zusammenzudenken“, unterstrich die EKD-Ratsvorsitzende.
Zudem pochte sie auf „so viel Freiwilligkeit wie irgend möglich“. Wer sich an geeigneter Stelle freiwillig für andere einsetze, „stärkt das Gemeinwesen nachhaltiger als jeder, der dazu verpflichtet wurde“, erklärte Fehrs. Sie erneuerte zudem die EKD-Forderung nach einem „Recht auf Freiwilligendienst“.
Die EKD will auf ihrer diesjährigen Synodentagung im November in Dresden eine neue Friedensdenkschrift veröffentlichen. Sie soll den theologischen und ethischen Rahmen skizzieren, in dem die aktuellen Fragen von Wehrdienst, Sicherheit und Frieden eingeordnet werden.
Bonn (epd). In der Diskussion über die Verbesserung der Wehrhaftigkeit der Bundeswehr sollte die Bundesregierung nach Auffassung der katholischen Bischöfe am Prinzip eines freiwilligen Wehrdienstes festhalten. Pflichtdienste und in besonderer Weise der Wehrdienst stellten schwere Eingriffe in die verfassungsmäßigen persönlichen Freiheitsrechte dar, die in hohem Maße begründet werden müssten, heißt es in einer Erklärung der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, die am 13. Oktober in Bonn veröffentlicht wurde.
Die Bischöfe befürworten das Vorgehen der Bundesregierung, eine Wehrpflicht erst wieder einzuführen, wenn nicht genügend freiwillige Wehrdienstleistende rekrutiert werden können. Dabei müssten aber Fragen der Generationen- und Geschlechtergerechtigkeit diskutiert werden. Denn die Perspektiven junger Menschen würden in der Debatte derzeit nicht ausreichend berücksichtigt, mahnen die Bischöfe. Junge Menschen trügen die Hauptlast und seien zudem mit der Aufrechterhaltung des Sozialsystems und den Folgen des Klimawandels konfrontiert.
Die Bischöfe fordern, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ungeschmälert erhalten bleibt. Zudem warnen sie davor, das Thema Sicherheit infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine rein militärisch zu denken.
Ende August hatte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Änderung des Wehrdienstes im Kabinett verabschiedet. Dieser sieht vor, dass volljährige junge Menschen künftig einen Fragebogen zu ihrer Dienstbereitschaft in der Bundeswehr erhalten. Der neue Wehrdienst basiert auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ist derzeit nicht geplant, bleibt jedoch als Option bestehen, falls sich nicht genügend Freiwillige melden.

Stuttgart (epd). Die Willkommenskultur von 2015 ist nach Ansicht des württembergischen Landesbischofs Ernst-Wilhelm Gohl einem „Überbietungswettbewerb der Abschottung“ gewichen. „Dabei verlassen Menschen nie ohne Not ihre Heimat“, sagt er am 15. Oktober im Eröffnungsgottesdienst der Konferenz für Diakonie und Entwicklung (EWDE) in Stuttgart. Wenn Menschen in ihrer Heimat keine Überlebensperspektive sähen, hielten sie auch keine Zäune zurück.
Die Herausforderungen, die durch die Migration entstünden, könnten nur gelöst werden, wenn die Lösungsansätze das Wohl aller im Blick hätten, sagte der Landesbischof. Der evangelische Theologe dankte zugleich den vielen Kirchengemeinden, die sich „mit einem langen Atem“ um Flüchtlinge vor Ort kümmerten. Das Schwerpunktthema der zweitägigen Zusammenkunft in Stuttgart ist „Flucht und Migration“.
Stuttgart (epd). Die Diakonie und die evangelischen Hilfswerke „Brot für die Welt“ und Diakonie Katastrophenhilfe fordern die Politik auf, Migration stärker als Chance und nicht nur als Problem zu verstehen. „Die migrationspolitischen Herausforderungen sind uns seit vielen Jahren bewusst, aber auch die Chancen“, erklärte Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch am 16. Oktober zum Ende der in Stuttgart tagenden Konferenz für Diakonie und Entwicklung. Schon heute übernähmen mehr als fünf Millionen ausländische Beschäftigte systemrelevante Aufgaben und Jobs in Deutschland, heißt es in einer Mitteilung zum Fazit der zweitägigen Konferenz.
Insbesondere im Pflege- und Gesundheitssektor spielten sie eine wichtige Rolle. Schuch sagte, den ankommenden Menschen müsse Teilhabe an der Gesellschaft ermöglicht werden. „Wenn wir in Kitas, mehr Wohnraum und Gesundheitsversorgung investieren, profitieren wir alle davon“, sagte er.
Die Präsidentin der Hilfswerke „Brot für die Welt“ und Diakonie Katastrophenhilfe, Dagmar Pruin, appellierte an die Bundesregierung, die starke Rolle Deutschlands beim Flüchtlingsschutz nicht aufzugeben. Diese Unterstützung drohe „massiv wegzubrechen“, sagte sie und verwies auf die Kürzungen bei der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit.
Die drei Organisationen sind unter dem Dach des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung zusammengeschlossen. Die Konferenz für Diakonie und Entwicklung ist das höchste Beschlussorgan der Organisation.
Sie beschloss bei ihren zweitägigen Beratungen die Annahme der sogenannten Anerkennungsrichtlinie der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die im Kern die Entschädigung von Opfern sexualisierter Gewalt in der Kirche regelt. Missbrauchsopfer sollen danach eine pauschale Entschädigung in Höhe von 15.000 Euro erhalten, wenn es sich um eine nach heutigen Maßstäben strafrechtlich relevante Tat handelt. Dazu soll eine individuelle Leistung kommen, über deren Höhe Kommissionen entscheiden.
Der Beschluss macht die Anerkennungsrichtlinie bindend für das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung, noch nicht aber für die 17 diakonischen Landesverbände. Die Richtlinie soll für alle evangelischen Kirchen und Werke zum 1. Januar 2026 in Kraft treten.
Hannover (epd). Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Kirsten Fehrs, hat die Bedeutung der vor 80 Jahren veröffentlichten „Stuttgarter Schulderklärung“ gewürdigt. Das Dokument „verpflichtet uns auch heute, entschieden aus unserem christlichen Glauben heraus zu widersprechen, wenn die Würde des einzelnen Menschen und das friedliche Zusammenleben aller bedroht sind“, erklärte die Hamburger Bischöfin am 13. Oktober in Hannover. Die Erklärung sei „mutig und lückenhaft zugleich“ gewesen.
Leitende Kirchenmänner hatten am 19. Oktober 1945 die „Stuttgarter Schulderklärung“ unterschrieben. Mit ihr bekannte sich die evangelische Kirche stellvertretend für das deutsche Volk zu ihrer Mitverantwortung für die Verbrechen des Nazi-Regimes.
Heute sieht die Geschichtsforschung die Erklärung überwiegend kritisch. Sie verweist darauf, dass die deutschen Protestanten von sich aus kaum eine solches Papier formuliert hätten. Es sei nur auf Druck ausländischer Kirchenvertreter zustande gekommen. Der Massenmord an den Juden kommt in der Erklärung gar nicht vor.
Auch Fehrs wies auf diese Defizite der Erklärung hin. Es sei aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar, dass das Papier das unermessliche Leid des Holocaust mit keinem Wort erwähne, erklärte sie. Der Satz „Durch uns ist unendliches Leid über viele Länder und Völker gebracht worden“ sei hingegen mutig gewesen, weil er der deutschen Bevölkerung die Wahrheit über die Kriegsschuldfrage zugemutet habe, trotz erwartbar heftiger Reaktionen.
Rom (epd). Papst Leo XIV. hat mit deutlichen Worten das Leiden hungernder Menschen angeprangert. Die große Zahl unterernährter Kinder sei kein Zufall, „sondern ein deutliches Zeichen einer vorherrschenden Gefühllosigkeit, einer seelenlosen Wirtschaft, eines fragwürdigen Entwicklungsmodells und eines ungerechten und unhaltbaren Systems der Ressourcenzuteilung“, sagte der Papst am 16. Oktober in einer Rede vor der Generalversammlung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen in Rom. Anlass für die Ansprache war der Welternährungstag und das 80-jährige Bestehen der FAO.
Der Papst rief dazu auf, von Slogans zum Handeln überzugehen. „Es reicht nicht aus, Solidarität zu fordern: Wir müssen Ernährungssicherheit, Zugang zu Ressourcen und eine nachhaltige ländliche Entwicklung gewährleisten“, sagte Leo. In einer Zeit, in der die Lebenserwartung der Menschen durch wissenschaftlichen Fortschritt verlängert sei, sei es ein „kollektives Versagen, eine ethische Verirrung und eine historische Schuld, Millionen von Menschen hungern und sterben zu lassen“.
Es sei notwendig und „äußerst traurig“, daran zu erinnern, dass trotz der technologischen, wissenschaftlichen und produktiven Fortschritte weltweit 673 Millionen Menschen ohne Essen zu Bett gingen, sagte der Papst weiter. Seiner Ansprache vor der FAO wohnten zahlreiche Staats- und Regierungschefs und Monarchen bei. Unter ihnen waren die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, König Letsie von Lesotho, Königin Letizia von Spanien und ein Gesandter des chinesischen Präsidenten Xi Jinping.
An die Mächtigen der Welt gerichtet prangerte Leo die Verschwendung von Tonnen von Lebensmitteln, soziale Ungleichheit und Kriege an, in denen „Felder noch vor Städten“ zerstört würden. Statt beim Anblick des gegenwärtigen Weltpanoramas, das der Papst als „schmerzhaft und trostlos“ bezeichnete, nur apathische Zeugen zu sein, sollten die „wohlbekannten humanitären Tragödien“ die Menschen dazu antreiben, Friedensstifter zu sein.

Leipzig (epd). Das Leipziger Stadtleben hat er über Jahrzehnte mitgeprägt. Der evangelische Theologe Friedrich Magirius war in Kirche und Kommunalpolitik aktiv. Er zählt zu den wichtigsten und zugleich umstrittensten Protagonisten der friedlichen Revolution. Jetzt ist der gebürtige Dresdner im Alter von 95 Jahren gestorben.
Nach Leipzig war er 1982 gekommen. Er wurde Pfarrer an der Nikolaikirche und zugleich Superintendent des Kirchenbezirkes Leipzig Ost. Seine Person ist mit dem Beginn der montäglichen Friedensgebete in der DDR verbunden, aus denen die Montagsdemonstrationen hervorgingen. Seine Rolle in der friedlichen Revolution ist jedoch umstritten. Einige sehen in ihm den Vermittler zwischen staatlichen Instanzen und kirchlichen Basisgruppen.
Andere werfen ihm vor, sich für die Abschaffung der Montagsdemonstrationen eingesetzt und sich öffentlich von DDR-Bürgerrechtsgruppen distanziert zu haben. Der Theologe selbst beschrieb es in seiner 2017 erschienenen Biografie so: „Ich befand mich zunehmend in einem inneren Konflikt zwischen den sich anbahnenden, notwendigen politischen Veränderungen und der Loyalität zur Kirche.“
Friedrich Magirius wurde am 26. Juni 1930 in Dresden geboren und wuchs bis zu seinem Abitur in Radebeul auf. Er studierte an der Kirchlichen Hochschule Berlin-Zehlendorf und an der Universität Greifswald Theologie. Seine erste Pfarrstelle trat er 1958 in Einsiedel (heute: Chemnitz-Einsiedel) an.
1974 wechselte er an die Dresdner Kreuzkirche, wurde aber im selben Jahr für die Leitung der Aktion Sühnezeichen in der DDR freigestellt. Bis heute setzt sich die Organisation in den ehemals von Nazi-Deutschland besetzten Ländern für die Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg ein.
Magirius blieb bis zu seiner Pensionierung 1995 Pfarrer und Superintendent in Leipzig. Dort lebte er auch im Ruhestand. Er hinterlässt seine Ehefrau und drei Kinder.
Der Theologe war ein Friedensarbeiter. Als Pfarrer in der DDR kannte Magirius die alltägliche Gratwanderung zwischen Anpassung und Aufbegehren. Er sei „keiner, der stürmt und drängt“, sagte er einmal: „Aber wo die Herausforderung am größten ist, wollte ich gern dabei sein.“
1990 gestaltete er wohl auch deshalb als Moderator des Runden Tisches in Leipzig die neuen, demokratischen Strukturen in der Stadtgesellschaft mit. In einer Zeit des Umbruchs übernahm er als Stadtpräsident von 1990 bis 1994 auch politische Verantwortung. Von der Partei Bündnis90/Die Grünen wurde er 1994 als Kandidat zur Leipziger Oberbürgermeisterwahl aufgestellt. Für seine Verdienste hat ihm die Stadt Leipzig 2022 die Ehrenbürgerwürde verliehen.
Zu seinen herausragenden Lebensleistungen zählen die Verdienste um die deutsch-polnische Versöhnung. Wie ein roter Faden zieht sich das stete Bemühen um Versöhnung und Frieden, gegen Hass und Zwietracht durch sein Lebenswerk. 2005 erhielt er die Ehrenbürgerwürde der polnischen Stadt Krakau.
Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) sieht nach dem Tod von Magirius „eine große Lücke“. Der Ehrenbürger hinterlasse ein Vermächtnis, nämlich „Hilfe dort zu leisten, wo sie am meisten gebraucht wird“, erklärte der Kommunalpolitiker. Magirius habe „immer die Gerechtigkeit und das friedvolle, demokratische Miteinander im Blick zu behalten“.

Berlin (epd). In Nigeria und Pakistan nimmt die Verfolgung religiöser Minderheiten derzeit laut Menschenrechtlern zu. Nigeria sein ein "absoluter Schwerpunkt bei Menschen, die wegen ihrer religiösen Überzeugung getötet werden. Davon seien alle religiösen Richtungen betroffen, sagte der Präsident des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit, Thomas Schirrmacher, bei der Veröffentlichung der Jahrbücher Religionsfreiheit sowie Verfolgung und Diskriminierung von Christen 2025 am 15. Oktober in Berlin.
In Pakistan sei der Missbrauch von Blasphemiegesetzen zur Verfolgung von Minderheiten zu beobachten, sagte Schirrmacher weiter. In diesem Land ebenso wie im Nachbarland Indien seien staatliche und gesellschaftliche Verfolgung kombiniert. Auch weltweit seien religionsfeindliche Gesetze auf dem Vormarsch. Anti-Bekehrungsgesetze gebe es beispielsweise auch in Algerien und Myanmar. Solche Gesetze, die gegen das Menschenrecht auf religiöse Selbstbestimmung gerichtet seien, würden zunehmend moderne Technik und Künstliche Intelligenz nutzen, um Gläubige zu überwachen.
Laut dem Beauftragten der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Thomas Rachel (CDU), müsse die Förderung von Religions- und Glaubensfreiheit Teil deutscher Außenpolitik sein. Daher sei es gut, dass sein Amt nunmehr im Bundesaußenministerium angesiedelt sei. Sein Vorgänger Frank Schwabe (SPD) hatte noch unter dem Dach des Entwicklungshilfeministeriums gewirkt. Rachel nannte die Religionsfreiheit einen „Indikator für die Freiheit in einer Gesellschaft“.
Der Bundesgeschäftsführer des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, Christian Meißner, wies darauf hin, dass in Russland die Kirche selbst zum Unterdrückungsinstrument geworden sei. Die Russisch-Orthodoxe Kirche unter Patriarch Kyrill suche den Schulterschluss mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und legitimiere dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit pseudoreligiösen Motiven. Wer aus religiösen Gründen Widerstand gegen diesen Kurs leiste, müsse mit Repression rechnen, sagte er.
Nach den Worten des Historikers und Politologen Martin Lessenthin spielt auch die Koptisch-orthodoxe Kirche in Ägypten eine zunehmend fragwürdige Rolle. Sie schweige zu Entführungen und Zwangsislamisierungen von koptischen Mädchen aus Angst, Christen würden noch härter verfolgt, sollte die ägyptische Militärregierung stürzen.
Auf Kuba drohe Menschen, die aus religiösen Gründen den Wehrdienst verweigern, Repressionen, sagte Lessenthin weiter. Darunter seien auch Juden. Diese Minderheit verlasse derzeit zunehmend die Insel. Wehrdienstverweigerungen seien zahlreicher geworden, auch aus Angst, in den Ukrainekrieg geschickt zu werden, in dem bereits rund 3.000 Kubaner auf russischer Seite kämpften.
Die Jahrbücher zur Religionsfreiheit und zur Verfolgung und Diskriminierung von Christen erscheinen regelmäßig, zuletzt Ende 2024. Die Standardwerke werden von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, dem Internationalen Institut für Religionsfreiheit und der Evangelischen Allianz herausgegeben.

Leer (epd). Der frühere Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Reinhold Robbe (SPD), hält ein Losverfahren für die Rekrutierung von Wehrdienstleistenden für gänzlich ungeeignet. Es berge die Gefahr, dass die Rekruten sich als Verlierer betrachteten und entsprechend wenig motiviert ihren Dienst verrichten, sagte Robbe dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Sie haben das Gefühl, sie hätten die Niete gezogen. Das ist katastrophal.“
Die Politik sollte zunächst abwarten, ob das von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorgelegte Modell zum gewünschten Erfolg führe und sich genügend Freiwillige zum Wehrdienst melden, schlug der aus Ostfriesland stammende ehemalige Bundestagsabgeordnete vor. Immerhin sei der Dienst mit neuen Ausbildungsinhalten und einer Bezahlung von monatlich mehr als 2.000 Euro deutlich attraktiver als in der Vergangenheit.
Er habe als Mitglied eines Beratergremiums des Verteidigungsministeriums gerade die Streitkräfte in Schweden besucht, berichtete der 71 Jahre alte Robbe. An deren Modell habe sich Pistorius orientiert. Dort bestehe eine Wehrpflicht für Männer und Frauen. Allerdings hätten sich bislang immer ausreichend Freiwillige zum Wehrdienst gemeldet. Das Auswahlverfahren beruhe auf einem Fragebogen, wie ihn auch Pistorius plane. Für den Fall, dass nicht genügend Freiwillige zur Verfügung stünden, suche der schwedische Staat diejenigen Menschen für den Dienst aus, deren Qualifikation benötigt werde.
Langfristig sprach sich Robbe für die Wiedereinführung einer Wehrpflicht in Deutschland aus. Diese sollte dann für Männer und Frauen gleichermaßen gelten. Allerdings gebe es dafür derzeit weder die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag noch genügend Ausbildungs- und Unterbringungskapazitäten.
Das Argument, die Wehrpflicht nur für Männer sei der gerechte Ausgleich dafür, dass Frauen die größeren Lasten etwa in der Care-Arbeit zu tragen hätten, verdiene zwar Beachtung, sagte der SPD-Politiker, der von 2005 bis 2010 Wehrbeauftragter war. Er sehe allerdings die junge Generation auf einem guten Weg zu echter Gleichberechtigung. Zudem sei zu befürchten, dass Frauen eine Wehrpflicht für sich einklagen, falls sie nicht gesetzlich festgeschrieben werde.
Darüber hinaus forderte Robbe eine breite gesellschaftliche Debatte über die Rolle der Bundeswehr. Daran sollten sich auch die Kirchen beteiligen, sagte Robbe, der berufener Synodaler der Evangelisch-reformierten Kirche mit Sitz in Leer ist: „Wir müssen noch einiges tun, um mehr Akzeptanz für die Landes- und Bündnisverteidigung zu bekommen.“
Berlin (epd). Angesichts der Debatte um die Wehrdienstreform wendet sich eine wachsende Zahl von Menschen an Beratungsstellen für Kriegsdienstverweigerung. „Wir werden gerade nahezu überflutet von Anfragen“, sagte der politische Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen, Michael Schulze von Glaßer, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (18. Oktober).
Die Aufrufzahlen auf der Website der Friedensgesellschaft hätten im September die Marke von 125.000 überschritten. Im Mai habe die Zahl noch bei 24.000 gelegen. „Darunter sind mittlerweile ein Viertel besorgte Eltern. Ihr Anteil wächst“, erklärte Schulze von Glaßer.
Auch die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kriegsdienstverweigerung und Frieden (EAK) verzeichnet mehr Zulauf. „Bei der EAK melden sich Eltern und Großeltern, junge Menschen, die wehrpflichtig wären, Reservistinnen und Reservisten sowie aktive Soldatinnen und Soldaten“, sagte EAK-Sprecher Dieter Junker dem Redaktionsnetzwerk. Auffällig sei dabei der Anstieg an Beratungsanfragen von Eltern, die sich wegen ihrer minderjährigen Söhne und Töchter besorgt zeigten über eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht.
Derzeit ringt die schwarz-rote Koalition um eine Reform des Wehrdienstes. Gestritten wird dabei auch über eine mögliche Verpflichtung junger Menschen zum Dienst an der Waffe, falls sich nicht genügend Freiwillige finden.
Berlin (epd). Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wegen seiner Äußerung über vermeintliche Probleme im „Stadtbild“ durch Migration zu einer Entschuldigung aufgefordert. „Der Kanzler täte gut daran, sich für diese Äußerung zu entschuldigen“, erklärte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel am 19. Oktober. Unterstützung bekam Merz von Unions-Fraktionschef Jens Spahn.
Die Gewerkschafterin Piel kritisierte: „Menschen allein wegen ihrer Herkunft oder Nationalität als Störfaktor im Stadtbild zu bezeichnen, geht nicht, egal, was einem dabei gerade durch den Kopf gegangen ist.“ Sie betonte: „Deutschland ist ein Einwanderungsland. Menschen mit Migrationshintergrund haben bei uns Platz.“
Bundeskanzler Merz hatte am 14. Oktober bei einer Frage nach der Strategie gegen die AfD auf die Migrationspolitik verwiesen. Dort sei man „sehr weit“, sagte er: „Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem, und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen.“ Die Äußerung wurde kritisiert, weil sie als Ablehnung von Migranten gewertet wurde.
Spahn erklärte hingegen: „Der Bundeskanzler hat doch eigentlich etwas ausgesprochen, was jeder sieht, wenn er durch Duisburg geht, aber übrigens auch, wenn er durch manche mittelgroße deutsche Stadt geht.“ Der CDU-Politiker sagte der „Bild am Sonntag“: „Das hat auch was mit irregulärer Migration zu tun, wie es in unseren Innenstädten, auf dem Marktplätzen ausschaut“.
„Schauen Sie sich einen Hauptbahnhof an, in Duisburg, in Hamburg, in Frankfurt. Verwahrlosung, Drogendealer, junge Männer, meistens mit Migrationshintergrund, meistens Osteuropa oder arabisch-muslimischer Kulturraum“, sagte der Fraktionschef: „Irreguläre Migration hat was verändert.“
Köln (epd). Die früheren Geiseln der Terrororganisation Hamas werden nach Einschätzung des Psychologen Jan Ilhan Kizilhan längere Zeit mit einer traumatischen Störung konfrontiert sein. Dazu könnten Einschlafstörungen, Ängste und Unruhe zählen, sagte der Leiter des „Institute for Transcultural Health Science - Institut für transkulturelle Gesundheitsforschung“ der Dualen Hochschule Baden-Württemberg am 14. Oktober im WDR. „Der größere Kampf wird jetzt darum gehen, wie sie mit den Erinnerungen dieser Erlebnisse in der letzten Zeit umgehen werden.“
Es gebe immer wieder die Möglichkeit von Rückfällen, bei denen die Menschen plötzlich Ängste auf der Straße empfinden, weil sie beispielsweise einen Knall hören oder glauben, noch in Gefangenschaft zu sein, oder wenn sie nachts im Dunkeln aufwachen. „Sie brauchen professionelle Unterstützung durch Psychiater, Psychologen, vielleicht auch Sozialarbeitende, sie müssen begleitet werden“, unterstrich der Diplom-Psychologe. Die ehemaligen Geiseln seien nicht mehr die gleichen Menschen wie vor ihrer Geiselnahme. „Aber wir haben die Resilienz und die Kraft, als Menschen zu lernen, damit umzugehen.“
„Das Leben geht weiter und sie können lernen, diese Ereignisse für sich zu integrieren, sogar auch daraus zu wachsen und sagen: Jetzt nehme ich das Leben viel mehr wert, weil ich weiß, was es bedeutet, in der Hölle gewesen zu sein so lange Zeit“, sagte Kizilhan. Auch die Familie könne sie begleiten, müsse aber auch selbst lernen, damit umzugehen, wenn sich die früheren Geiseln sozial isolierten oder plötzlich mal aggressiv seien. „Das ist eine schlimme Extremsituation gewesen“, betonte der Experte. Für die Überlebenden und die Familien beginne nun eine lange Reise: „Es wird immer was bleiben.“
Die Hamas hatte am 7. Oktober 2023 mehrere Orte in Israel überfallen, etwa 1.200 Menschen getötet und mehr als 240 in den Gaza-Streifen verschleppt. Im darauffolgenden Krieg zwischen der Hamas und Israel wurden mehrere zehntausend Menschen getötet. Nach der von den USA vermittelten Waffenruhe ließ die Hamas am 13. Oktober die noch lebenden Geiseln frei.
Genf (epd). Die Konzentration der klimaschädlichen Treibhausgase in der Atmosphäre hat laut der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) im vergangenen Jahr einen neuen Rekord erreicht. Der Erde drohe somit ein anhaltender Anstieg der Temperaturen, heißt es in einem Expertenbericht, den die UN-Organisation am 15. Oktober in Genf veröffentlichte.
Laut dem Beobachtungsnetzwerk der WMO lag der Jahresdurchschnitt des Kohlenstoffdioxid-Gehalts in der Atmosphäre 2024 bei 423,9 Teilchen pro eine Million Teilchen (ppm). Im Jahr 2004 habe der Wert noch bei 377,1 ppm gelegen.
Von 2023 bis 2024 sei die globale durchschnittliche Kohlenstoffdioxid-Konzentration um 3,5 Teilchen pro eine Million Teilchen ppm gewachsen, was den größten Anstieg seit Beginn der modernen Messungen im Jahr 1957 darstelle.
Der Bericht gab an, dass die anhaltenden CO2-Emissionen aus menschlichen Aktivitäten und ein Anstieg durch Waldbrände dafür verantwortlich seien. Ebenso sei eine verringerte CO2-Absorption durch „Senken“ wie Landökosysteme und Ozeane zu verzeichnen.
Mannheim (epd). Auf den Spuren von Bertha Benz hat der Unternehmer und Erfinder Frank Obrist die nach eigenen Angaben „erste klimapositive Autofahrt der Menschheitsgeschichte“ von Mannheim nach Wiesloch unternommen. Dafür baute sein deutsch-österreichisches Unternehmen Tesla-Fahrzeuge um und betankt sie mit einem flüssigen Treibstoff, der als „Sub Zero Methanol“ bezeichnet wird.
Für die Herstellung des farblosen flüssigen Treibstoffs wird der Umgebungsluft Kohlendioxid und Wasser entzogen und mit Solarenergie zu Methanol und festem Kohlenstoff verarbeitet. Insgesamt werde mit dem patentierten Verfahren aus der Atmosphäre mehr Kohlendioxid entfernt als bei der späteren Verbrennung ausgestoßen werde, sagte Obrist.
Ergebnis der 104 Kilometer langen Autoffahrt am 14. Oktober: Mit den drei Autos seien insgesamt rund drei Kilogramm Kohlenstoff aus der Atmosphäre entfernt worden, sagte Obrist am Abend vor Journalisten in Anwesenheit eines Notars, der die Daten der Autofahrt beglaubigte.
Vor 137 Jahren hatte Bertha Benz, die Frau des Automobilerfinders Carl Benz, die weltweit erste Autoreise von Mannheim nach Pforzheim unternommen. Am 3. August 1888 steuerte sie ohne Wissen ihres Mannes den neu erfundenen Motorwagen mit ihren 13 und 15 Jahren alten Söhnen von Mannheim nach Pforzheim und schrieb damit Geschichte.
Weil ihr der Treibstoff unterwegs ausging, kaufte sie mehrere Liter Ligroin, auch Waschbenzin genannt, in der Wieslocher Stadt-Apotheke. Diese gilt seitdem als erste Tankstelle der Welt und ist heute ein Museum. Am Dienstag wurde dort zur Demonstration auch einer der blauen Teslas mit der Aufschrift „World's First Climate-Positive Vehicle“ (erstes klimapositives Fahrzeug) betankt - allerdings mit „Sub Zero Methanol“.
Obrist bezeichnete die Technologie als revolutionär und nachhaltig. „Jeder gefahrene Kilometer verbessert also das Klima“, ist er überzeugt. Das stelle das Thema „Autofahren und Klima“ geradezu auf den Kopf. Herkömmliche Fahrzeuge stoßen mit einem Verbrennermotor Kohlendioxid aus oder sind mit einem Elektromotor CO2-neutral unterwegs.
Die Produktion des „Sub Zero Methanols“ soll konkurrenzfähig zu fossilen Brennstoffen sein und Erdöl, Gas und Kohle ersetzen können, sagte der Erfinder, der nach eigenen Angaben rund 250 Patente in diesem Bereich hält. Die Technologie könnte künftig nicht nur in Autos, sondern beispielsweise auch in Schiffen oder in Kraftwerken eingesetzt werden.
Dem Argument von Kritikern, dass die Herstellung von grünem Methanol nicht wirtschaftlich sei, widerspricht das Unternehmen. Mittels Solarenergie könnten im Sonnengürtel der Erde, etwa den Wüsten in Australien oder Afrika, riesige Methanolfabriken errichtet werden. Damit könnten die Kosten deutlich unter allen fossilen Brennstoffen liegen, auch wenn man die Transportkosten einrechne, sagte Pressesprecher Thorsten Rixmann.
Pannen gab es bei der rekordverdächtigen Autofahrt am Dienstag keine. Vor dem Start hatten jedoch Marder im Motorraum eines Testfahrzeugs Schäden angerichtet, es musste ausgetauscht werden.
Ein Ersatzfahrzeug hatte Bertha Benz vor 137 Jahren nicht. Sie musste unterwegs die verstopfte Benzinleitung mit einer Hutnadel reinigen, benutzte ihr Strumpfband zur Reparatur und ließ die Bremsen bei einem Schmied mit Leder beschlagen. Und bergauf mussten ihre Söhne den dreirädigen „Patent-Motorwagen Nummer 3“ schieben.

Frankfurt a.M. (epd). Wolfsschützer kritisieren die Meldung eines „günstigen Erhaltungszustandes“ des Wolfs an die EU durch die Bundesregierung als politisch motiviert. Noch im März sei das Bundesumweltministerium selbst davon ausgegangen, dass es für die Meldung des günstigen Erhaltungszustandes keine wissenschaftlich nachvollziehbaren Gründe gebe, sagte die Vorsitzende der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe, Nicole Kronauer, am 14. Oktober in Essen.
Das Ministerium habe sich geweigert, die der Meldung zugrundeliegenden Referenzwerte etwa zur Population und dem Verbreitungsgebiet der Wölfe bekanntzugeben. „Das lässt nur den Schluss zu, dass es sich um eine rein politisch motivierte Entscheidung handelt“, sagte die Leiterin des Umweltverbandes: „Man wollte von Beginn an einen günstigen Erhaltungszustand melden, um künftige Tötungen zu erleichtern.“ Wissenschaftliche Fakten hätten dabei keine Rolle gespielt.
Der „günstige Erhaltungszustand“ des Wolfs ermögliche den Bundesländern künftig eine „leichtere Handhabe im Umgang mit Wölfen, die beispielsweise Weidetiere reißen“, heißt es in einer Mitteilung des Bundesumweltministeriums vom 13. Oktober. Minister Carsten Schneider (SPD) erklärte, der Wolf habe sich in zahlreichen Gebieten Deutschlands gut entwickelt und sei wieder zu einem festen Teil der Natur geworden. Das werde auch so bleiben. „Zugleich werden die Länder ab jetzt Probleme, die es vor Ort gibt, leichter lösen können“, sagte Schneider.
Schafzüchter begrüßten die Meldung an die EU als „wichtigen und überfälligen Schritt hin zu einem faktenbasierten Wolfsmanagement“. Damit seien nun fast alle fachlichen und rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, um den im Koalitionsvertrag angekündigten nächsten Schritt endlich umzusetzen: die Einführung eines regional differenzierten Bestandsmanagements über das Jagdrecht.

Speyer (epd). Das Grab von Altbundeskanzler Helmut Kohl (1930-2017) in Speyer erhält ein Grabmal. Derzeit arbeiten Friedhofsgärtner an der durch einen Sichtschutz abgedeckten Grabstelle. Dort steht auf einer Schotterfläche ein in Plastikfolie verhüllter Grabstein. Ein Schild informiert, dass die Grabumgestaltung noch im Oktober fertiggestellt sein soll. Die Stadt Speyer und das Bistum Speyer verwiesen auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) darauf, dass die Gestaltung der Grabes in den Händen der Witwe Maike Kohl-Richter liege. Diese kündigte in einer Erklärung ein schlichtes und würdiges Grabmal mit „Denkmal-Charakter“ an: „Ich habe lange nachgedacht, was meinem Mann gerecht wird. Es war ein intensiver Reifeprozess. Ich bin sicher, dieses Grabdenkmal würde ihn freuen, und das ist für mich das Entscheidende.“
Der Zustand des Kohl-Grabes hatte in der Bevölkerung in den vergangenen acht Jahren für Diskussion gesorgt: Der „Kanzler der Einheit“ liegt in einem umzäunten Grab auf dem Friedhof des Speyerer Domkapitels am Rande des Adenauerparks bestattet. Das verwitternde Holzkreuz mit der Inschrift „Helmut Kohl 3.4.1930 -16.6.2017“ sowie einige Büsche und ein Vogelhäuschen wurden mittlerweile entfernt.
„Wir hoffen, dass mit der finalen Grabgestaltung Ruhe in die Diskussionen um Ort und Form des Grabes kommt und die Menschen im Adenauerpark einen würdigen Ort finden, wo sie des verstorbenen Altkanzlers gedenken und für ihn beten können“, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung des Bistums Speyer und des Domkapitels. Bei einem Vor-Ort-Termin mit der Stadt Speyer sei die Abgrenzung zwischen der Grabfläche und der Fläche des eigentlichen Domkapitelfriedhofs besprochen worden. Das Domkapitel sei einst dem Wunsch Kohls für ein Begräbnis in Speyer nachgekommen und habe für einen Teil seines Friedhofs die Nutzungsrechte an die Stadt Speyer übertragen.
Kritiker wie die beiden Kohl-Söhne Walter und Peter warfen der Witwe Maike Kohl-Richter als Nachlassverwalterin in der Vergangenheit vor, sich nicht angemessen um das Grab zu kümmern. Die Grabstätte sei „beschämend, absurd und unwürdig“ für den ehemaligen Kanzler, CDU-Vorsitzenden und europäischen Staatsmann, kritisierte Walter Kohl. Ein Streit zwischen der Stadt Speyer und dem Bistum Speyer mit der Kohl-Witwe über die Grabgestaltung und den Betrieb einer Überwachungskamera sorgte zudem für öffentliches Aufsehen.
Am 1. Juli 2017 war Helmut Kohl nach einer Trauerfeier im Speyerer Dom unter der Teilnahme von Staatsgästen aus aller Welt bestattet worden. Seine Söhne hätten ihn lieber im Familiengrab in Ludwigshafen-Friesenheim bestattet gesehen, wo auch seine erste Ehefrau Hannelore begraben liegt.

Berlin (epd). Nach monatelangem Gezerre in der Koalition hat das Bundesarbeitsministerium den Gesetzentwurf zur Bürgergeldreform ausformuliert. Angestrebt wird ein Kabinettsbeschluss vor Jahresende, wie am 17. Oktober aus Ministeriumskreisen in Berlin verlautete. Der Evangelische Pressedienst (epd) gibt einen Überblick über die zentralen Punkte der künftigen Grundsicherung:
SANKTIONEN: Leistungskürzungen wegen mangelnder Kooperation betreffen derzeit weniger als ein Prozent der Bürgergeldbeziehenden. Dennoch standen sie in den vergangenen Monaten oft im Fokus der politischen Debatte. Bisher beginnen die Sanktionen bei einer Kürzung des Regelsatzes um zehn Prozent und enden bei dessen Streichung. Miet- und Heizkosten werden stets weiter bezahlt. Künftig wird Menschen, die ein Jobangebot ablehnen, der Regelsatz für einen Monat gestrichen. Die Miete wird direkt an den Vermieter überwiesen. Wer eine andere Pflichtverletzung begeht, etwa keine Bewerbungen schreibt oder eine Fördermaßnahme abbricht, bekommt drei Monate lang nur 70 Prozent des Regelsatzes.
Härter können die Sanktionen ausfallen, wenn jemand Termine beim Jobcenter versäumt. Nach dem zweiten grundlosen Terminversäumnis ist eine Kürzung des Regelsatzes um 30 Prozent vorgesehen. Bei drei versäumten Terminen hintereinander wird der Regelsatz komplett gestrichen und die Miete ebenfalls direkt an den Vermieter überwiesen. Wird ein weiterer Termin versäumt, gibt es gar kein Geld mehr, auch nicht für Wohn- und Heizkosten. Es soll aber Schutzvorkehrungen geben, damit „es nicht die Falschen trifft“, wie es aus dem Ministerium hieß. Zum Beispiel ist vorgesehen, die Wohnkosten weiterzuzahlen, wenn andere Menschen mit den Betroffenen zusammenleben, etwa Kinder.
WOHNKOSTEN: Bisher wird erst nach einem Jahr geprüft, ob die Miete als angemessen eingestuft und somit komplett vom Staat bezahlt wird. Jede Kommune legt eigene Grenzwerte für die Angemessenheit fest. In der Regel ist das eine bestimmte Summe pro Haushaltsmitglied. Künftig soll im ersten Jahr das Anderthalbfache dieser kommunalen Werte akzeptiert werden, mehr aber nicht. Für die Zeit danach gilt wie bisher, dass Menschen, deren Miete als überhöht eingestuft wird, zur Kostensenkung aufgefordert werden. Klappt das nicht, müssen sie einen Teil der Miete aus eigener Tasche zahlen. Für die Höhe der Heizkosten gibt es schon heute keine Karenzzeit.
Künftig sollen die Kommunen zusätzlich zu den Pro-Kopf-Werten auch maximale Mietpreise pro Quadratmeter festlegen. So soll „Mietwucher in Form von überteuerten Kleinstwohnungen“ verhindert werden. Neu ist zudem, dass die Miete in Gebieten mit Mietpreisbremse dieser Vorgabe entsprechen muss und sonst als zu hoch gilt. Die Grundsicherungsbeziehenden müssen sich dann an den Vermieter wenden und eine Senkung fordern. Geht der Eigentümer nicht darauf ein, übernimmt das Jobcenter die weitere Auseinandersetzung bis hin zur Klage gegen den Vermieter.
SCHONVERMÖGEN: Bevor jemand Bürgergeld bekommt, muss er in einem gewissen Rahmen sein Vermögen aufbrauchen. Derzeit gilt dies im ersten Jahr des Bezugs für Vermögen über 40.000 Euro für die Leistungsbeziehenden und 15.000 Euro für jeden weiteren Menschen in der Bedarfsgemeinschaft. Später sind es einheitlich 15.000 Euro. Die Karenzzeit soll nun wegfallen und die Höhe des Schonvermögens „an das Lebensalter anknüpfen“. Vorgesehen sind vor dem 20. Geburtstag 5.000 Euro. Von 20 bis 39 Jahren sind es 10.000 Euro, von 40 bis 49 Jahren sind es 12.500 und ab 50 dann 15.000 Euro.
WEITERE REGELUNGEN: Wie im früheren Hartz-IV-System soll Vermittlung in Arbeit in der Regel Vorrang vor einer Ausbildung oder Qualifizierung haben. Um die Jobchancen von Landzeitarbeitslosen zu verbessern, soll es einen breiteren Anspruch auf ein staatlich gefördertes Arbeitsverhältnis geben. Auch die Förderung junger Menschen ohne Berufsabschluss soll verbessert werden. Arbeitslose Eltern sollen bereits dann vom Jobcenter betreut werden, wenn ihr Kind ein Jahr alt ist. Bisher gilt eine Grenze von drei Jahren. Sofern die Kinderbetreuung gesichert ist, gilt es dann als zumutbar, dass die Mütter und Väter eine Arbeit annehmen oder zum Beispiel einen Deutschkurs besuchen.
Berlin (epd). Die geplante Reform des Bürgergeldes stößt weiter auf Kritik. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, nannte das Vorhaben am Wochenende „ein populistisches Ablenkungsmanöver“. Der Chef der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Werneke, äußerte die Erwartung, dass die Änderungen „mehr Schaden anrichten als Nutzen bringen“. Der Sozialverband Deutschland warnte vor einer verschärften Wohnungsnot der Leistungsempfänger.
Das Bundesarbeitsministerium hatte am 17. Oktober Details zur Reform ausformuliert. Geplant sind demnach deutlich strengere Regeln für Menschen, die die Sozialleistung bekommen. Unter anderem soll es künftig möglich sein, alle Leistungen inklusive der Mietzahlungen zu streichen, wenn Meldetermine wiederholt nicht wahrgenommen werden. Zudem heißt das Bürgergeld künftig Grundsicherung.
DIW-Chef Fratzscher bezweifelte, dass die Reform ihr Ziel erreichen werde, mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Es gebe nur sehr wenige Bürgergeld-Beziehende, die das System missbrauchten, sagte der Wirtschaftsforscher der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Die meisten Bürgergeld-Empfänger haben jedoch keine Qualifikationen oder gesundheitliche Probleme“, erläuterte er. Dann jedoch helfe „auch die strengste Sanktion nicht dabei, sie in Arbeit zu bringen“. Es gehe der Bundesregierung darum, „vermeintlich Faule“ zu bestrafen, „damit der Rest der Bevölkerung sich besser fühlt“.
Gewerkschaftschef Werneke warnte in den Zeitungen des „RedaktionsNetzwerks Deutschland“ (Samstag) davor, unverschuldet in Not geratene Menschen zu stigmatisieren. Das Reformvorhaben werde zulasten von Betroffenen, Beschäftigten in Jobcentern und Gerichten gehen, kritisierte Werneke. In den Jobcentern würden „künftig noch mehr Konflikte ausgetragen“ und die Gerichte „viele Verschärfungen wieder kassieren“.
Die Vorstandsvorsitzende des Sozialverbandes Deutschland, Michaela Engelmeier, kritisierte insbesondere, dass es künftig möglich sein soll, die Mietzahlungen für Menschen im Sozialleistungsbezug komplett zu streichen. Dies sei angesichts des Fehlens von ausreichend bezahlbaren Wohnraum verantwortungslos, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Es treffe nicht nur diejenigen, die mit dieser Maßnahme gerügt werden sollten, mahnte Engelmeier. Menschen im Leistungsbezug dürften es grundsätzlich noch schwerer haben, eine Wohnung zu finden. „Denn auch die Vermieter wissen nun: Bürgergeld-Beziehenden eine Wohnung zu überlassen, birgt die Gefahr, dass das Amt die Miete womöglich nicht mehr bezahlt.“
Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) betonte noch einmal, dass auch neu ankommende Flüchtlinge aus der Ukraine wie im Koaltionsvertrag vereinbart kein Bürgergeld mehr bekommen sollen. „Wir wollen das, soweit es auch praktisch umsetzbar ist, auch rückwirkend zum 1. April noch machen“, sagte Spahn der „Bild am Sonntag“.
„Bürgermeister und Landräte sagen, die Zahl der neu ankommenden ukrainischen Flüchtlinge steige gerade in diesen Tagen. Das zeigt mir, es macht Sinn, dass wir dieses Gesetz schnell beschließen“, erklärte Spahn. Flüchtlinge aus der Ukraine sollen dann Leistungen nach dem Asylbwerberleistungsgesetz erhalten.

Berlin (epd). Trotz Milliardenlücken in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung verspricht Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) stabile Beiträge im nächsten Jahr. Damit werde die politische Zusage an Beitragszahlende und Unternehmen eingehalten, sagte sie am 15. Oktober in Berlin. Den Krankenkassen soll ein Sparpaket helfen, das im Kabinett beschlossen wurde. Wie es bei der Pflegeversicherung weitergeht, ist hingegen offen.
Das im Kabinett verabschiedete Sparpaket hat ein Volumen von zwei Milliarden Euro. Der größte Einzelposten bezieht sich auf die Krankenhäuser. Für den Anstieg ihrer Vergütung durch die Kassen soll eine andere Rechengröße herangezogen werden als bisher. Laut Gesundheitsministerium sorgt das 2026 für Einsparungen von bis zu 1,8 Milliarden Euro im Vergleich zur bisherigen Berechnung.
Außerdem wird der Anstieg der Verwaltungskosten bei den Krankenkassen auf acht Prozent im Vergleich zu 2024 gedeckelt. Hier geht es dem Ministerium zufolge vor allem um Sachkosten, etwa für Mobiliar und Werbemaßnahmen. Der Deckel soll 100 Millionen Euro einsparen. Die gleiche Summe soll beim sogenannten Innovationsfonds gekürzt werden: In diesen Topf fließen normalerweise rund 200 Millionen Euro pro Jahr aus dem Budget der Krankenkassen. Der Fond fördert vor allem Projekte für Innovationen in der Patientenversorgung.
Der durchschnittliche Zusatzbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung „dürfte damit auf dem heutigen Niveau liegen von 2,9 Prozent“, sagte Warken mit Blick auf das kommende Jahr. Das Sparpaket werde in die Empfehlung des Schätzerkreises für die gesetzlichen Krankenkassen einfließen. Das Gremium wollte noch im Laufe des Mittwochs seine Prognose für die Entwicklung der Kassenfinanzen und den dadurch rechnerisch nötigen durchschnittlichen Zusatzbeitrag bekanntgeben.
Der Zusatzbeitrag wird wie der allgemeine Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenkasse von 14,6 Prozent hälftig von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen. Für 2025 hatte das Gesundheitsministerium einen Wert von 2,5 Prozent festgelegt. Da die Kassen den Zusatzbeitrag aber eigenständig bestimmen und mehrere Krankenkassen ihn im Jahresverlauf auch erhöhten, liegt der tatsächliche Durchschnittswert nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums bereits bei 2,9 Prozent.
Angesprochen auf die Sorge, dass sich diese Entwicklung im kommenden Jahr fortsetzt, verwies Warken auf den Wettbewerb zwischen den Kassen. „Da wird sich dann eben zeigen, welche Kassen mit diesem Zusatzbeitrag zurechtkommen und welche nicht.“ Ihr sei vor allem wichtig, dass die „Deckungslücke“ von zwei Millliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung geschlossen werde. Dies gelinge durch das Sparpaket.
Auch für die soziale Pflegeversicherung (SPV) gelte: „Die Beiträge werden im Jahr 2026 stabil bleiben“, versicherte Warken. Konkrete Maßnahmen, um dies sicherzustellen, nannte die CDU-Politikerin nicht. Sie wolle der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Pflege nicht vorgreifen, die im Dezember Vorschläge vorlegen soll. Möglich seien unter anderem Leistungskürzungen und weitere Darlehen für die Pflegeversicherung, sagte Warken. Es gehe 2026 um eine Finanzlücke von 1,7 Milliarden Euro.
Die Vorsitzende des BKK-Dachverbands, Anne-Kathrin Klemm, zog Warkens Zusicherungen in Zweifel. „Zahlreiche Kassen werden auch 2026 wieder ihre Beiträge erhöhen müssen, um ihre Rücklagen aufzufüllen“, sagte sie dem Nachrichtenmagazin „Politico“. „Das Versprechen von stabilen Beiträgen wird die Koalition deswegen sehr wahrscheinlich nicht halten können.“

Frankfurt a.M. (epd). Die ganzen Kalamitäten begannen im Januar. „Ich stürzte und brach mir den Oberschenkelhals“, erzählt Johanna P., 94 Jahre alt. In der Klinik wurde der Oberfränkin versichert, dass sie Pflegegrad 2 bekäme. Dem war nicht so. Johanna. P erhielt nur Pflegegrad 1. Dadurch kann sie einmal in der Woche mit jemandem einkaufen.
Pflegegrad 1 bedeutet, dass man einen Entlastungsbeitrag von 131 Euro im Monat für den Einkauf kleinerer Tätigkeiten wie Hilfe im Haushalt oder Begleitung zum Arzt beantragen kann. Zugesprochen wird er bei körperlichen, psychischen oder kognitiven Einschränkungen.
Die Bundesregierung überlegt nun im Zuge der Pflegereform, Pflegegrad 1 zu überarbeiten. Im Gespräch ist eine Anhebung des Schwellenwerts, was bedeuten könnte, dass der Pflegegrad 1 erst bei größeren Einschränkungen als bislang anerkannt wird. Die Bund-Länder-Kommission, die derzeit über eine Reform des Pflegesystems berät, hatte sogar laut darüber nachgedacht, den Pflegegrad 1 ganz abzuschaffen. Das immerhin scheint vom Tisch zu sein.
Aber die Diskussion hat viele verunsichert. „Es kümmert sich sowieso kein Schwein um mich“, bricht es aus Johanna P. heraus. Sie bräuchte eigentlich viel mehr Unterstützung, sagt sie. Dass sie die nicht erhält und wie sie ihren Lebensabend bestreiten muss, verbittert die Rentnerin: „Ich hab den Eindruck, dass man denkt, die Leute werden bei uns zu alt, das will man nicht, man will uns Alte nicht, darum kümmert sich keiner um uns.“
Pflegegrad 1 statt 2 erhielt Johanna P., weil sie aus dem Katalog der Fragen bei der Begutachtung einige zu positiv beantwortete. Bis heute regt sie das Gutachten auf: „Da steht, dass ich die Haustür geöffnet habe, so groß könne also mein Hilfebedarf nicht sein, aber ich bin doch allein, wer soll die Haustüre sonst öffnen?“ P. betont, dass sie ihre Ansprüche weit nach unten geschraubt habe. Aber sie brauche unbedingt weiterhin jemanden, der mit ihr kommt, um einzukaufen und die Sachen zu verstauen.
Die aktuellen Entwicklungen machten auch ihr sehr große Angst, sagt Alina Buschmann aus Niedersachsen. Die 32-jährige Autorin und Behindertenrechtsaktivistin mit Pflegegrad 1 beobachtet ebenfalls, dass Pflegebedürftige und Menschen mit Handicap stärker ausgegrenzt werden. Das gehe weit über das Nachdenken über eine Abschaffung von Pflegegrad 1 hinaus. „Ich kenne keinen Menschen mit Behinderung, der keine Angst hat“, sagt sie mit Blick auf die angekündigten Sozialdemontagen.
Die Diskussion um eine mögliche Abschaffung von Pflegegrad 1 hat in ihren Augen neuerlich Öl ins Feuer gegossen. Buschmann, die an einer Autoimmunerkrankung leidet, ist auf den Entlastungsbetrag dringend angewiesen: „Dadurch kann ich mir eine Haushaltshilfe leisten, die alle zwei Wochen für 75 Minuten kommt.“ Buschmann gehe es oft so schlecht, dass sie kaum die Kraft habe, das Bett zu verlassen: „Es gibt Tage, da ist das einzige, was ich fertigbringe, die Wäsche zusammenzulegen.“
Größere Unternehmungen sind kaum drin. Die wären sowieso nur mit Assistenz möglich. Die müsste sie privat bezahlen. Da Buschmann nicht über eine prall gefüllte Brieftasche verfügt, muss sie oft auf Teilhabe verzichten. Zumal sie nicht dauernd Freunde, Bekannte oder Nachbarn bitten möchte, ihr zu helfen. Alle seien zwar freundlich und hilfsbereit: „Dennoch belastet dies die Beziehung.“
Der Entlastungsbetrag, sagt hingegen Mario de Haas, Pflegeexperte aus dem Rhein-Erft-Kreis, werde nicht selten als Schlupfloch missbraucht, um an kostenlose Putzhilfen zu kommen. Mitarbeiterinnen von Sozialstationen, die eigentlich für Betreuung eingestellt wurden, müssten häufig „im Akkord putzen“. De Haas weiß von Diensten, die ihr hauswirtschaftliches Angebot für alte Menschen aus diesem Grund deutlich zurückschrauben wollen.
Sylvia Fieber, die den Pflegedienst der Diakonie in Würzburg leitet, findet die Diskussionen wegen der geringen Summe des Entlastungsbetrags absurd: „Das wird unsere Pflegeversicherung nicht retten, zumal der Entlastungsbetrag oft nicht abgerufen wird.“ Der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge teilt mit, dass gerade präventive Angebote kaum genutzt werden. Deshalb sollte geprüft werden, ob die Leistungsansprüche im Pflegegrad 1 stärker auf Gesundheitsförderung und auf Prävention ausgerichtet werden könnten.
Das Kuratorium deutsche Altershilfe (KDA) verweist darauf, dass mithilfe des Entlastungsbetrags tatsächlich nur selten Pflege, Betreuung und Begleitung organisiert werden. Zu weit über 80 Prozent fließt der Betrag in Haushaltshilfe. Das KDA fordert deshalb einen Ausbau unabhängiger Beratungsangebote und die Förderung der Inanspruchnahme von Pflegegrad 1.
München (epd). Der Münchner Ethik-Professor Marcello Ienca hält eine europaweit einmalige Gehirnoperation an der Technischen Universität München (TUM) bei einem querschnittsgelähmten Patienten für ethisch geboten. Ienca sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd) am 15. Oktober in München, jede Forschung müsse „die Würde, Freiheit und Integrität des Menschen achten. Aber solange diese Grundprinzipien gewahrt bleiben, ist es nicht nur vertretbar, sondern geradezu eine moralische Verpflichtung, solche Entwicklungen voranzutreiben.“ Das TUM-Team treffe nach dem Prinzip „patient first“ alle Entscheidungen im engen Austausch mit dem Patienten, erklärte er.
Ein 25 Jahre alter Patient, der seit einem Verkehrsunfall mit 16 Jahren vom Hals abwärts gelähmt ist, hatte in München eine Hirn-Computer-Schnittstelle erhalten, ein laut TUM in Europa bislang einmaliger Eingriff. Damit soll er künftig sein Smartphone und einen Roboterarm steuern. Die Operation führte ein Forscherteam des Klinikums Rechts der Isar der TU durch, das nun weitere Betroffene für eine Studie sucht.
Der Ethik-Professor der Uni, der das Projekt eng begleitet, bescheinigte der Studie einen außergewöhnlich gründlichen Aufklärungsprozess. Die Betroffenen müssten nachvollziehen können, was die Operation bedeute, welche Chancen realistisch seien und welche Risiken bestünden. „Nur wenn diese Informationen transparent und verständlich vermittelt werden, kann man von echter Selbstbestimmung sprechen“, hob Ienca hervor. Die Forschenden führten zudem regelmäßig Gespräche mit dem Patienten über seine Erfahrungen und sein Wohlbefinden.
Der Patient dürfe nie Mittel zum Zweck der Forschung sein, sondern die Forschung stehe im Dienst des Menschen. „Ziel ist es immer, seine Lebensqualität und Selbstständigkeit zu verbessern“, sagte Ienca. Aktuell gibt es nach seinen Worten keine sicheren Hinweise, dass Brain-Computer-Interfaces die Persönlichkeit „verändern“. Sie könnten beim Patienten jedoch ein neues Gefühl von Kontrolle oder Abhängigkeit von Technik hervorrufen. Neben der psychologischen Betreuung achte das Team auch darauf, „wie sich das Erleben des Patienten im Alltag verändert. Ziel ist, die Autonomie zu stärken, und nicht, sie zu gefährden.“
Wichtig seien zudem klare Sicherheitsstandards und ein kontinuierliches Monitoring. Patienten dürften mit möglichen Fehlfunktionen nicht alleingelassen werden, sagte Ienca. „Ehrlichkeit ist hier der beste Schutz vor Enttäuschung“, erklärte der Ethik-Professor, der die gewonnen neuronalen Daten „hochsensibel“ nannte. „Sie müssen daher mit derselben Sorgfalt behandelt werden wie genetische oder medizinische Hochrisikodaten“, verlangte er.

Frankfurt a.M. (epd). Der diesjährige Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, Karl Schlögel, sieht Europa in einer „neuen Vorkriegszeit“. Es falle einer friedensgewohnten Generation schwer, sich in einer solchen Situation zurechtzufinden, sagte der Osteuropa-Historiker am 19. Oktober bei der Preisverleihung in der Paulskirche in Frankfurt am Main. Die ukrainisch-deutsche Schriftstellerin Katja Petrowskaja lobte, der Historiker wolle in seiner Arbeit nie die menschliche Dimension aus den Augen verlieren.
Schlögel rief dazu auf, von den Erfahrungen der Menschen in der Ukraine zu lernen. Die Ukrainer hätten gelernt, dass sich Aggressoren nur mit Worten nicht aufhalten ließen, und dass es nur den Appetit der Aggressoren steigere, wenn man ihnen entgegenkäme, sagte der Historiker: „Sie bringen uns bei, dass Landesverteidigung nichts mit Militarismus zu tun hat.“ Europa sei heute nicht nur mit einem imperialen Russland konfrontiert, sondern auch mit einem unberechenbaren Amerika „in einer Situation, in der alles offen ist“.
Deutschland habe erstaunlich lange gebraucht, um zu verstehen, womit man es mit dem Russland unter Präsident Wladimir Putin zu tun habe. „Es gibt in Deutschland viele Russland-Versteher, aber zu wenige, die von Russland etwas verstehen“, sagte er. Er gab zu, dass auch er sich nicht habe vorstellen können, „dass Russland zurückfallen könnte in Zeiten, die in vielem den Praktiken des Stalinismus gleichen“. Doch spätestens mit der Annexion der Krim 2014 habe Putin das „Tor zu einer neuen Vorkriegszeit aufgestoßen“.
Die russische Kriegsführung nannte Schlögel einen „Urbizid“: Städte würden zum Terrain, wo mit Drohnen und Raketen Jagd auf Menschen gemacht werde. Dem Volltreffer auf ein Wohnhaus folge der Volltreffer auf die Rettungskräfte. „Wenn man ein Land nicht erobern kann, muss man es zerstören“, charakterisierte der Preisträger das russische Vorgehen.
Autorin Petrowskaja erinnerte in ihrer Laudatio daran, dass Schlögel sich kurz nach dem russischen Vollangriff auf die Ukraine 2022 dafür um Verzeihung gebeten habe, dass er diesen Krieg nicht habe kommen sehen. Auf eine solche Bitte um Entschuldigung von Politikern und Politikerinnen, die Putin auch nach der Krim-Annexion weiter hofiert hätten, warte sie bis heute, sagte Petrowskaja.
Schlögel habe das Anliegen, „die menschliche Dimension nicht aus den Augen zu verlieren“, erklärte die Schriftstellerin. Seine Forschungsethik sei, nie ohne genaue Anschauung zu schreiben, die er sich durch Reisen verschafft habe. Er glaube an eine „Aufklärung durch Schreiben“.
Der Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) sagte, Schlögel gehe anders vor als die meisten Historiker. Er lese Geschichte aus Städten, spreche mit Menschen, reise zu Schauplätzen. Er sei auch bereit, seine Standpunkte zu ändern, wenn sie sich als unzutreffend erwiesen hätten.
Der Friedenspreis wird seit 1950 vergeben und ist mit 25.000 Euro dotiert. Die Auszeichnung wird traditionell am letzten Tag der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche verliehen. Im vergangenen Jahr wurde die amerikanisch-polnische Journalistin und Historikerin Anne Applebaum ausgezeichnet.

Frankfurt a.M. (epd). Der beste deutschsprachige Roman des Jahres ist „Die Holländerinnen“ von Dorothee Elmiger. Er wurde am 13. Oktober in Frankfurt am Main mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet. Die Vergabe der mit 25.000 Euro dotierten Auszeichnung bildete den Auftakt der Frankfurter Buchmessen-Woche. In der Finalrunde fiel die Entscheidung zwischen sechs Werken.
Elmigers Roman „Die Holländerinnen“, der im Carl Hanser Verlag erschienen ist, handelt von einem monströsen Theaterprojekt im südamerikanischen Urwald. Gemeinsam soll eine Künstlergruppe den Spuren von zwei Holländerinnen nachgehen, die dort vor einigen Jahren auf ungeklärte Weise verschwunden sind. Der Roman sei ein „faszinierender Trip ins Herz der Finsternis“, urteilte die Jury. Die Beteiligten an dem von Elmiger geschilderten Theaterprojekt würden vom Urwald nahezu „eingeschluckt“, gerieten in eine milde Form des Wahnsinns und erzählten sich verstörende Geschichten aus ihrer Vergangenheit.
Die Schweizerin Elmiger lebt als Autorin und Übersetzerin in New York. Bereits ihre Bücher „Einladung an die Waghalsigen“ (2010), „Schlafgänger“ (2014) und „Aus der Zuckerfabrik“ (2020) wurden nach Angaben des Hanser-Verlages in zahlreiche Sprachen übersetzt, für die Bühne adaptiert und vielfach prämiert.
Mit dem Deutschen Buchpreis zeichnet die Stiftung Buchkultur und Leseförderung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels seit 2005 jährlich den besten deutschsprachigen Roman des Jahres aus. Erst am Abend der Preisverleihung im Frankfurter Rathaus erfahren die sechs Autorinnen und Autoren, an wen von ihnen der Deutsche Buchpreis geht. Im vergangenen Jahr hatte der Roman „Hey, guten Morgen, wie geht es dir?“ von Martina Hefter das Rennen gemacht.
In diesem Jahr hatten die sieben Jurymitglieder 229 Titel gesichtet. Die weiteren Finalisten waren Kaleb Erdmann mit „Die Ausweichschule“, Jehona Kicaj mit „ë“, Thomas Melle mit „Haus zur Sonne“, Fiona Sironic mit „Am Samstag gehen die Mädchen in den Wald und jagen Sachen in die Luft“ und Christine Wunnicke mit „Wachs“. Sie erhielten jeweils 2.500 Euro.
Die fünftägige Frankfurter Buchmesse öffnete am 15. Oktober ihre Pforten. Aussteller aus mehr als 90 Ländern waren angemeldet. Ehrengast der Buchmesse sind in diesem Jahr die Philippinnen.

Berlin (epd). Die Chefredaktion der in Berlin erscheinenden „tageszeitung“ (taz) geht davon aus, dass bei der Umstellung von der täglichen gedruckten Zeitung auf E-Paper rund 20 bis 30 Prozent der Abonnenten verloren gehen. Dennoch stehe die „taz“ im Vergleich der vergangenen Jahre „besser denn je“ da, sagten die beiden Chefredakteurinnen Barbara Junge (57) und Ulrike Winkelmann (54) dem Evangelischen Pressedienst (epd). Am 17. Oktober erschien die werktägliche „taz“ zum letzten Mal als Printausgabe, nur die Wochenendausgabe („wochentaz“) wird künftig noch gedruckt.
Die Umstellung auf E-Paper sei ein schon seit mehreren Jahren laufender Prozess unter dem Titel „Seitenwende“. Junge und Winkelmann betonten, sie wollten „nicht erst auf die Krise warten, wenn einzelne Druck-Abos nicht mehr bezahlbar sind“. Derzeit habe die „taz“ noch eine tägliche Abo-Auflage von 14.000 Abonnentinnen und Abonnenten. Die „taz“ ist die erste überregionale Tageszeitung in Deutschland, die diesen Schritt geht.
Mittlerweile befürworteten auch die allermeisten Redakteurinnen und Redakteure die Entscheidung, erklärten die beiden Chefredakteurinnen. Mit mehreren Aktionen, unter anderem einer „Seitenwende-Tour“ durch mehrere Städte, hatte die „taz“ in den vergangenen Monaten versucht, auch die Leserschaft von der Notwendigkeit der digitalen Umstellung zu überzeugen. Vor allem ältere Leserinnen und Leser verliere man dennoch, sagte Winkelmann, etwa ihre eigene Mutter, die nur noch die gedruckte „wochentaz“ lesen werde.
Das Kombi-Abo, bestehend aus dem täglichen E-Paper und der gedruckten „wochentaz“, soll trotz der wegfallenden Papier-, Druck- und Vertriebskosten genauso viel kosten wie bisher. Die Kundinnen und Kunden zahlten jedoch „für den Journalismus, nicht für das Papier“. Die taz setze weiterhin auf ihr „solidarisches Preismodell“. Zudem werde es weiterhin keine Bezahlschranke für Texte auf der Website geben.
Die Gründung eines linken Tagesblattes war auf dem „TUNIX-Kongress“ 1978 in Berlin beschlossen worden. Die erste Ausgabe der taz, die „Nullnummer“, erschien am 27. September 1978. Seit dem 17. April 1979 gab es die Zeitung täglich gedruckt.

Leipzig (epd). Die Klage einer Frau aus Bayern gegen den Rundfunkbeitrag könnte die Justiz noch weitere Jahre beschäftigen. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verwies den Rechtsstreit am 15. Oktober zur Klärung des Sachverhalts an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurück. Der Vorsitzende Richter Ingo Kraft sagte, das Berufungsurteil sei aufgehoben, der Verwaltungsgerichtshof müsse erneut verhandeln und entscheiden. (AZ: 6 C 5.24) Geklagt hatte die Frau 2022 gegen den Bayerischen Rundfunk wegen ihrer Ansicht nach mangelnder Programmvielfalt und fehlender Ausgewogenheit. Sie war mit ihrer Klage in beiden Vorinstanzen gescheitert.
Nun ist die Frage gerichtlich zu klären, ob und in welchem Ausmaß Mängel bestehen. Zum Nachweis von möglicherweise „evidenten und regelmäßigen Defiziten“ sei eine Zeitspanne von mindestens zwei Jahren in den Blick zu nehmen. Die Verfassungsmäßigkeit des Rundfunkbeitrages in Höhe von monatlich 18,36 Euro je Haushalt sei aber erst dann infrage gestellt, wenn das mediale Gesamtangebot aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten über einen längeren Zeitraum grobe und regelmäßige Defizite erkennen lasse, sagte Kraft.
Der ARD-Vorsitzende Florian Hager sagte auf Anfrage des Evangelischen Pressedienst (epd), er begrüße, dass das Gericht klargestellt habe, dass man den Rundfunkbeitrag nicht zurückbehalten kann, wenn einem einzelne Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht gefallen. „Perspektivenvielfalt und Ausgewogenheit sind journalistische Werte, um die wir täglich ringen müssen“, sagte Hager.
Richter Kraft verwies darauf, dass es schwierig sei festzustellen, „ob die gebotene Abbildung der Meinungsvielfalt und deren ausgewogene Darstellung im Gesamtprogrammangebot tatsächlich gelingt“. Programmvielfalt und Ausgewogenheit stehen laut dem Richter für einen „Zielwert, der sich stets nur annäherungsweise erreichen lässt“. Schließlich sei auch der grundrechtlich verbürgten Programmfreiheit Rechnung zu tragen. Ob die Klägerin eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht erreichen kann, erscheint laut Angaben des Bundesverwaltungsgerichtes nach dem „bisherigen tatsächlichen Vorbringen derzeit überaus zweifelhaft“.
Der Rechtsanwalt der Klägerin, Harald von Herget, sagte zur Entscheidung des Bundesgerichts, seine Mandantin habe für alle Beitragszahler etwas erreicht. „Wir haben einen Erfolg erzielt“ sagte der Anwalt: „Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist aufgehoben worden.“
Allerdings sei „noch nicht gesichert, dass bei einer weiteren Tatsachenaufklärung vor dem Verwaltungsgerichtshof die Offenkundigkeit der Verletzung der Meinungsvielfaltspflicht“ bestätigt werde, räumte von Herget ein. Das sei jetzt noch "ein hartes Stück Arbeit. Die Hürde sei zu Recht hoch, weil die Rundfunkfreiheit ein hohes Verfassungsgut sei.

Dresden (epd). Nach mehr als viereinhalb Jahren Bauzeit ist der Innenhof des berühmten Dresdner Zwingers fertig saniert. Mit einem Festakt wurde das barocke Ensemble am 14. Oktober wiedereröffnet. Rund 17 Millionen Euro hat der Freistaat Sachsen in die seit Februar 2021 laufenden Modernisierungsarbeiten investiert, wie der Verbund Schlösserland Sachsen mitteilte.
Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) erklärte: „Der Dresdner Zwinger ist ein Symbol für Sachsens einzigartiges kulturelles Erbe.“ Seine Strahlkraft reiche weit über die Grenzen des Freistaates hinaus.
Der Zwinger gilt als eines der bedeutendsten europäischen Baudenkmale des Barocks und ist ein Wahrzeichen Dresdens. Erbaut wurde er Anfang des 18. Jahrhunderts nach Plänen von Matthäus Daniel Pöppelmann (1662-1732) und Balthasar Permoser (1651-1732) - als ein Ort rauschender Feste und Symbol kurfürstlicher Macht.
In den vergangenen Jahren erhielt er unter anderem einen neuen Wegebelag, neue Rasenflächen und eine moderne Beleuchtung. Zudem wurde ein zeitgemäßes Netz zur Entwässerung, für Wasser- und Elektroversorgung und für Datenleitungen installiert.
Zwischen 1991 und 2024 flossen den Angaben zufolge rund 222 Millionen Euro in den Erhalt des Zwingers mit der Sempergalerie. Das barocke Ensemble beherbergt Museen wie die Gemäldegalerie Alte Meister und die Porzellansammlung
Das Verschwinden des Josef Mengele
Der Nazi-Massenmörder Josef Mengele wurde nie gefasst. Der „Todesengel von Auschwitz“ floh, wie viele Nazis, über die „Rattenlinie“ nach Argentinien. Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov, bekennender Putin- und Ukrainekriegsgegner, adaptiert den gleichnamigen Tatsachenroman des französischen Autors Olivier Guez. Der Film setzt mit dem Sturz von Präsident Juan Perón 1955 ein, als es für Mengele nicht mehr sicher war in Argentinien. August Diehl spielt ihn mit kalter Präzision als Getriebenen und Fanatiker, der sich auf Geldzuwendungen aus der Bundesrepublik und auf ein Netzwerk aus untergetauchten Nazis in Südamerika stützt. Der Film betreibt keine Täterpsychologie, eine Identifikation verhindert Serebrennikov durch die Kälte seiner Inszenierung und den Verzicht auf Thrillerelemente. Man mag dem Film keinen allzu hohen Erkenntnisgewinn bescheinigen, aber als Beispiel über das Fortleben faschistischer Ideologie und Strukturen in der Nachkriegszeit funktioniert er.
Das Verschwinden des Josef Mengele (Frankreich/Mexiko/Deutschland/Großbritannien/Spanien 2025). Regie: Kirill Serebrennikov. Buch: Olivier Guez. Mit: August Diehl, Max Bretschneider, Dana Herfurth, Friederike Becht, Mirco Kreibich, David Ruland, Annamária Lang, Tilo Werner, Burghart Klaußner. Länge: 135 Min.
Franz K.
Franz Kafka ist seit jeher ein Faszinosum für Agnieszka Holland. Gemeinsam mit ihrem bewährten Co-Autor Marek Epstein widmet sie ihm nun ein Biopic, das keines sein will. Ungeachtet der erzählerischen Ökonomie packen sie alles in ihren Kafka-Film hinein, was einem nur zu dieser Gestalt einfallen kann. Etappen aus Kindheit, Jugend und Erwachsenenleben lassen sie Revue passieren, visualisieren Szenen aus seinem Werk in künstlerischen Sequenzen, rekapitulieren knapp das Schicksal seiner jüdischen Familienmitglieder und blenden schließlich vor auf seinen Nachruhm. Einzig Kafkas spätes Liebesglück mit Dora Diamant sparen sie aus. Brav inszenierte, klassische Biopic-Elemente wechseln sich so mit fidelen Bravourstücken ab. An Fantasie fehlt es dem Film nicht, kurioserweise aber an der Neugierde, ungekannte Aspekte des Menschen und Künstlers zu entdecken.
Franz K. (Tschechien/Polen/Deutschland/Frankreich/Türkei 2025). Regie: Agnieszka Holland. Buch: Marek Epstein. Mit: Idan Weiss, Peter Kurth, Katharina Stark, Sebastian Schwarz, Carol Schuler, Jenovéfa Boková, Ivan Trojan, Sandra Korzeniak, Aaron Friesz, Josef Trojan. Länge: 127 Min. FSK: ab 16.
Frankenstein
Mary Shelleys Roman stand bei Guillermo del Toro, Meister des fantastischen Kinos, seit langem oben auf der To-do-Liste und man sieht, es ist ein Werk der Liebe. Da gibt es hinreißende visuelle Einfälle und dieser Drang zum Schönen erstreckt sich selbst auf das „Monster“, besetzt mit dem idealschönen Jacob Elordi. Der hat nicht nur eine Seele, sondern eine eigene Erzählung, auch wenn seine Subjektwerdung trotzdem an Vorurteilen scheitert. Die etwas überladene Inszenierung zelebriert auch Victor Frankensteins (Oscar Isaac) Erfindungsreichtum, indem sie sein Experiment als kreativen Rausch in Szene setzt. Victors Schuld besteht weniger darin, an die Grenzen des menschlich Machbaren zu gehen; das Problem ist, dass er sein Baby im Stich lässt - der Film zeigt Victor fast komisch überfordert mit der Care-Arbeit. Alles hübsche Verschiebungen, aber keine Umwälzungen im Frankenstein-Universum. Trotzdem empfiehlt es sich, den Film im Kino zu schauen, bevor die Netflix-Produktion im November ins Streaming geht.
Frankenstein (USA 2025). Regie und Buch: Guillermo del Toro. Mit: Oscar Isaac, Jacob Elordi, Mia Goth, Felix Kammerer, Charles Dance, Christoph Waltz, Lars Mikkelsen, David Bradley, Christian Convery, Sofia Galasso. Länge: 149 Min. FSK: ab 16.
Ab morgen bin ich mutig
Der zwölfjährige Karl (Jonathan Köhn) hat sich verliebt. Ausgerechnet in die wunderschöne Lea (Cheyenne Aaliyah Roth), die gut einen Kopf größer ist als er. Trotzdem gibt er nicht auf. Er hat auch schon einen Plan, sich Lea zu offenbaren, bei dem Plateauschuhe eine Rolle spielen. Ein Liebesfilm für Kinder ist selten im Kino, dabei gibt es für diese Art von Gefühlen kein Alter. Es ist nur schwierig, authentisch darüber zu erzählen, ohne Klischees zu bemühen, kitschig oder belehrend zu werden. Bernd Sahling hat seine Protagonisten ernst genommen, mit ihnen und nicht über sie gesprochen und seine Kamera auf Augenhöhe positioniert. Da es im Kinderfilm nicht darum gehen kann, ob sie sich kriegen oder nicht, stehen die Abgrenzung von der Erwachsenenwelt und der Übergang von der Kindheit in die Pubertät im Zentrum. Ein schmunzelnder Film über die Leidenschaft, der niemanden bloßstellt.
Ab morgen bin ich mutig (Deutschland 2025). Regie und Buch: Bernd Sahling. Mit: Jonathan Köhn, Darius Pascu, Cheyenne Aaliyah Roth, Anna Bahners, Elijas Amerein, Tamino Gottlebe. Länge: 83 Min.
Nairobi/Antananarivo (epd). In Madagaskar ist der General Michael Randrianirina als neuer Präsident vereidigt worden. Wie der französische Sender RFI berichtete, wurde er am 17. Oktober in einer Zeremonie vor dem Verfassungsgericht ins Amt eingeführt, nachdem das Militär am Dienstag die Macht im Land übernommen hatte. Nach wochenlangen Protesten, bei denen der Rücktritt des Präsidenten Andry Rajoelina gefordert wurde, hatte dieser das Land verlassen. Das Parlament stimmte am 14. Oktober für eine Amtsenthebung Rajoelinas.
UN-Generalsekretär António Guterres verurteilte am16. Oktober in New York die Machtübernahme durch das Militär. Die Afrikanische Union (AU) setzte die Mitgliedschaft von Madagaskar vorläufig aus. Die Suspendierung werde so lange dauern, „bis die verfassungsmäßige Ordnung wiederhergestellt ist“, heißt es in der Entscheidung der Union. Außerdem schickte die AU eine Delegation auf die Insel.
Das Verfassungsgericht hat Randrianirina damit beauftragt, innerhalb von 60 Tagen Wahlen abzuhalten. Der General hat erklärt, sich daran halten zu wollen. Er wolle vorher aber die Wahlkommission neu aufstellen. In seiner Rede zum Amtsantritt erklärte er, der Tag sei ein Wendepunkt in der Geschichte des Landes, er wollte mit der Vergangenheit brechen, dem Land einen Neustart ermöglichen und den Zugang zu Grundrechten sichern.
Gegen die Regierung des geflüchteten Präsidenten Rajoelina gab es seit Wochen massive Proteste. Am Wochenende hatte die Spezialeinheit Capsat dazu aufgerufen, sich dem Befehl, auf die Protestierenden zu schießen, zu widersetzen und sich den Protesten anzuschließen. Auslöser für die Protestbewegung waren andauernde Strom- und Wasserausfälle.
Die Bewegung wird von der sogenannten Generation Z, den Unter-30-Jährigen, angeführt, die sich vor allem über Facebook organisieren. Die Regierung stand auch wegen des Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die Demonstrantinnen und Demonstranten mit Wasserwerfern, Gummigeschossen und scharfer Munition in der Kritik. Dabei wurden laut den Vereinten Nationen alleine in den ersten Protesttagen Ende September mindestens 22 Menschen getötet und mehr als 100 verletzt.
Nairobi/Antananarivo (epd). Madagaskar ist die viertgrößte Insel der Welt und bekannt für Artenvielfalt. Die Insel vor der ostafrikanischen Küste löste sich vor 150 Millionen Jahren vom afrikanischen Kontinent und beherbergt fünf Prozent der Tier- und Pflanzenarten weltweit. 80 Prozent davon finden sich nur dort, zum Beispiel Lemuren. Ein Fünftel der Insel ist von Wald bedeckt. Auch für seine Baobab-Bäume ist Madagaskar bekannt.
Knapp 32 Millionen Menschen leben auf einer Fläche mehr als eineinhalb mal so groß wie Deutschland, mit einem Durchschnittsalter von 19 Jahren. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt jährlich bei etwa 550 US-Dollar. Der Großteil der Wirtschaftsleistung kommt aus der Landwirtschaft, dazu kommen auch vermehrt Bergbau, eine wachsende Textilindustrie und Tourismus. Die Insel ist unter anderem Ziel von Kreuzfahrten. In der Wirtschaft spielen noch immer die Beziehungen zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich eine große Rolle.
1896 erklärte Frankreich die Insel nach Kriegen gegen das herrschende Königtum zum Teil seiner Kolonien und kontrollierte das Leben der Menschen dort bis 1960. Nach der Unabhängigkeit ähnelte das politische System dem Frankreichs, bis 1975 eine sozialistische Republik errichtet wurde. Mit den Wahlen 1992 fand das Land in ein demokratisches System zurück.
2009 gelangte Andry Rajoelina nach Protesten und einem Putsch an die Macht, damals stand er für Aufbruch. Der zunehmende Verfall der Infrastruktur führte jedoch zu wachsender Unfzufriedenheit im Land. Infolge von Protesten hat er Anfang der Woche das Land verlassen, das Militär übernahm die Macht.
2023 gingen acht Prozent der Exporte aus Madagaskar - vor allem Vanille und Kaffee - nach Deutschland. Deutschland engagiert sich in der Zusammenarbeit mit Madagaskar für den Erhalt der Artenvielfalt und die Bekämpfung der Klimafolgen. Besonders der Süden der Insel war in den vergangenen Jahren verstärkt von extremen Dürren und Zyklonen betroffen. Immer mehr Menschen ziehen in die Stadt, aktuell leben etwa 40 Prozent der Menschen in Städten.
Madagaskar wurde in den vergangenen Jahrhunderten als Handelsstation auf Seerouten zwischen Asien und Europa zu einem kulturellen Schmelztiegel, was sich unter anderem in der Sprache zeigt. Madagassisch ist verwandt mit den Sprachen der Inseln im Ostpazifik rund um Australien.
Nairobi (epd). Der kenianische Oppositionsführer und ehemalige Premierminister Raila Odinga ist tot. Kenias Präsident William Ruto würdigte Odinga als „furchtlosen Freiheitskämpfer“. Er sei ein „Mann des Mutes“ und einer der „Väter unserer Demokratie“ gewesen, sagte Ruto in einer auf der Internetplattform X übertragenen Ansprache. Odinga starb Medienberichten zufolge am 15. Oktober im Alter von 80 Jahren in Indien, wo er zur medizinischen Behandlung war. Seit den 1980er Jahren war er eine der wichtigsten Figuren in der Politik des ostafrikanischen Landes.
Präsident Ruto verhängte eine siebentägige Staatstrauer und erklärte, alle öffentlichen Auftritte für die kommenden Tage abgesagt zu haben. Würdenträger und Beamte rief Ruto dazu auf, sich ihm anzuschließen. Der Vorsitzende der Kommission der Afrikanischen Union, Mahmoud Ali Youssouf, würdigte Odinga ebenfalls als „herausragende Persönlichkeit“ im politischen Leben Kenias.
Geboren wurde Odinga, der von seinen Anhängern respektvoll „Baba“ genannt wurde, 1945 in Maseno im Westen des Landes, als Kenia noch britische Kolonie war. Er gehörte zur Volksgruppe der Luo und vertrat diese in der Politik. Er trat damit in die Fußstapfen seines Vaters Jaramogi Oginga Odinga, der nach der Unabhängigkeit 1963 der erste Vizepräsident Kenias war.
Sein Vater war Kommunist - und so machte Raila Odinga in den 1960er Jahren eine Ausbildung in Magdeburg in der damaligen DDR. Nach seiner Rückkehr gründete er eine Firma und wurde später Manager der kenianischen Normbehörde. Zunächst engagierte er sich ehrenamtlich für politische Reformen in Kenia.
Unter dem autoritär regierenden Präsidenten Daniel Arap Moi saß Odinga in den 1980er Jahren mehr als sechs Jahre im Gefängnis, weil ihm vorgeworfen wurde, sich an einem Putschversuch beteiligt zu haben. Nach seiner Freilassung setzte er sich für ein Mehrparteiensystem in Kenia ein. In den 1990er Jahren wurde er Parlamentsabgeordneter. Von 2008 bis 2013 war Odinga Premierminister. 2010 spielte er eine wichtige Rolle bei der Entwicklung einer neuen Verfassung.
Mehrmals versuchte Odinga Präsident in seiner Heimat zu werden. Fünf Mal trat er bei Wahlen an - und verlor, oft knapp. Nach der Niederlage bei der Wahl im Jahr 2007 war sein Lager mitverantwortlich für ethnische Gewalt, die das Land erschütterte. Hunderte Menschen kamen dabei ums Leben. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag ermittelte in dem Fall. Odingas damaliger Verbündeter bei der Wahl, Präsident Ruto, wurde angeklagt, später aber freigesprochen.
2022 konkurrierten Odinga und Ruto bei der Präsidentschaftswahl um das Amt an der Spitze des Staates. Gegen seine Niederlage zog Odinga vor Gericht. Nach Protesten im vergangenen Jahr stellte Ruto jedoch mit Unterstützung Odingas eine neue Regierung zusammen.
Odinga führte im Laufe seines Lebens mehrere Firmen und bekleidete diverse öffentliche Ämter. Mit seiner Frau Ida hatte er vier Kinder. Zuletzt hatte Odinga sich 2025 um den Vorsitz der Afrikanischen Union beworben, diesen aber nicht bekommen. Noch am Mittwochvormittag versammelten sich laut Medienberichten trauernde Bürgerinnen und Bürger rund um seine Häuser in Nairobi und Kisumu.
Berlin/Lima (epd). In Bolivien hat der Christdemokrat Rodrigo Paz mit 54,6 Prozent der Stimmen die Stichwahl um das Präsidentenamt für sich entschieden. Das teilte die Wahlbehörde (TSE) nach Auszählung von 97,8 Prozent der abgegebenen Stimmen am 19. Oktober mit. Paz rechter Gegenkandidat Jorge Quiroga landete bei 45,4 Prozent der Stimmen. Bei obligatorischer Wahlbeteiligung gaben rund fünf Prozent der Wählerinnen und Wähler ungültige Stimmen ab. Diese werden allerdings nicht mitgezählt.
Paz lud bei seiner Siegesrede alle politischen Akteure dazu ein, Teil seiner Regierung zu werden. „Wir bauen das Vaterland mit Liebe wieder auf, nicht mit Hass und Ausgrenzung“, sagte Paz laut der Zeitung „La Razón“.
Der unterlegene Quiroga gratulierte Paz bereits am Sonntagabend. Obwohl seine Parteienallianz Libre gewisse Beschwerden über Unstimmigkeiten bei der Wahl habe, wolle er das Ergebnis nicht anfechten. „Bolivien geht es schon schlecht genug, da wollen wir nicht weitere Schwierigkeiten erzeugen“, sagte Quiroga laut der Zeitung „El Deber“. Der scheidende Präsident Luis Arce, der sich nicht erneut zur Wahl stellte, gratulierte ebenfalls und erklärte auf der Plattform X, man wolle Paz bei der Übernahme der Regierungsgeschäfte unterstützen.
Der 58-jährige Paz ist der Sohn des von 1989 bis 1992 amtierenden sozialdemokratischen Präsidenten Jaime Paz. Er war der Favorit vieler enttäuschter Wähler der bisherigen Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS). Unter dem Slogan „Kapitalismus für alle“ verspricht er eine Liberalisierung der Wirtschaft „von unten“. Trotz starker staatlicher Kontrolle arbeiten rund 84 Prozent der Bevölkerung im informellen Sektor. Paz möchte diesen Sektor stärken und besser einbinden. Er erklärte, das sei der Weg aus der aktuellen Wirtschaftskrise des Landes. Er wird am 8. November offiziell das Amt des Präsidenten übernehmen.
Berlin, Otavalo (epd). Nach 24 Tagen Generalstreik haben sich in Ecuador am 15. Oktober der Dachverband der indigenen Nationalitäten Ecuadors (Conaie) und die Regierung auf einen Kompromiss in strittigen Punkten geeinigt. Die Zeitung „Primicias“ berichtete, dass in Gesprächen in der nördlichen Kantonshauptstadt Otavalo sich beide Seiten darauf verständigten, über Maßnahmen gegen die Erhöhung der Spritpreise zu sprechen und den Tod von Demonstrierenden aufzuklären. Festgenommene Demonstrierende sollen in den nächsten Tagen freigelassen werden, berichtete die Zeitung. Als Vermittlerin war die katholische Kirche beteiligt.
Ecuadors Innenminister John Reimberg verkündete daraufhin auf der Plattform X: „Ecuador hat Frieden.“ Man sei eine Regierung des Dialogs, die ihre Versprechen einhalte, erklärte der Minister. Nach dem Treffen bedankte sich Martha Tuquerres von der Conaie bei den Protestierenden für ihre Aufopferung. Laut dem Radiosender Pichincha erklärte Tuquerres bei einer Pressekonferenz: „Wir werden wieder auf die Straße gehen, sollte die Regierung ihre Versprechen nicht einhalten.“
Seit Mitte September hatte die Conaie zu einem Generalstreik aufgerufen, der vor allem im Norden Ecuadors einzelne Provinzen lahm legte. Hauptforderungen waren die Wiedereinführung von Preissubventionen auf Treibstoffe und eine allgemeine Verbesserung der öffentlichen Bildung und Gesundheit. Präsident Noboa bezeichnete die Protestierenden zwischenzeitlich als „Terroristen“, rief den Ausnahmezustand aus und schickte das Militär, um Straßenbarrikaden zu räumen. Dabei wurden laut der Zeitung „El Mercurio“ drei Demonstrierende von der Polizei tödlich verletzt.
22.10. Evangelische Akademie Sachsen
Online Die Gefühlsgemeinschaft der Neuen Rechten. Hauptsache laut, schlicht und mit einer nationalen Prise! Zurückliegende Wahlkämpfe, aber auch der Blick in die Social-Media-Kanäle von Parteien und Politiker:innen verdeutlichen, dass eine Zunahme des Rechts-Populismus stattfindet. Auch junge Menschen sind direkt oder indirekt Adressat:innen dieses Populismus, nehmen dessen Argumente wahr und womöglich auf. Mit Prof. Dr. Florian Spissinger (Politikwissenschaftler und Sozialarbeiter).
28.10. Evangelische Akademie Hofgeismar
Online Demokratie verteidigen: Ein AfD-Verbotsverfahren? Welche juristischen und zivilgesellschaftlichen Möglichkeiten bestehen, um ein Verbotsverfahren der AfD vor dem Bundesverfassungsgericht anzustoßen? Welche Chancen und Herausforderungen sind damit verbunden?
14.-15.11. Evangelische Akademie Villigst
Krisen, Kriege, Konflikte: Zukunft - zwischen Angst und Hoffnung. Eine Tagung zum 75-jährigen Bestehen der Ev. Akademie Villigst Wie gehen wir mit den Phänomenen der Polykrise unserer Zeit um? Was bestimmt unser Handeln: „Angst/Panik“ oder „Hoffnung/Zuversicht“? Welche Schritte führen zu einer resilienten Gesellschaft? Welche Rolle spielen hierbei Theologie und Kirche?