Berlin (epd). Für so manchen passen sie auf den ersten Blick nicht zusammen: Hier der evangelische Kirchentag, traditionell kritisch in Rüstungsfragen, fordernd, was Rettung und Aufnahme Asylsuchender angeht. Und dort der frühere Verteidigungs- und Innenminister Thomas de Maizière, der in seiner Amtszeit mit den Kirchen hart ums Kirchenasyl stritt. Der CDU-Politiker ist in diesem Jahr Präsident des 38. Deutschen Evangelischen Kirchentags, der in der zweiten Juniwoche in Nürnberg stattfindet.
Wer Kirchentage besucht, weiß allerdings, dass de Maizière nicht nur regelmäßiger Gast und diskussionsfreudiger Diskutant beim Christentreffen ist, sondern auch eng mit der Bewegung verbunden. Seit 20 Jahren ist er Mitglied des Präsidiums der Laienbewegung. Auch in seiner Zeit als Bundesminister war der Kirchentag fester Teil des Terminkalenders.
De Maizière selbst irritiert es daher gar nicht, als CDU-Politiker Präsident des Kirchentags zu sein, dem eher eine Nähe zur SPD und den Grünen nachgesagt wird. Selbst wenn es so wäre, „würde es höchste Zeit, dass jemand wie ich mal Präsident wird“, sagte de Maizière im Frühjahr in einem Gespräch mit dem epd. Er wolle „die Meinungsblase aufstechen“ und den Kirchentag öffnen, ergänzte der 69-Jährige, dessen zurückliegende Karriere zeigt, dass er Meinungsdifferenzen nicht aus dem Weg geht. Im Gegenteil: Demokratie bedeute Debatte, Streit, Auseinandersetzung, sagte de Maizière einmal als Innenminister. Für den Kirchentag könnte er also im buchstäblichen Sinne ein streitbarer Präsident sein.
Kanzleramtschef und Minister
Angefangen hat de Maizières Karriere als Mitarbeiter des damaligen Regierenden Bürgermeisters in Berlin, Eberhard Diepgen (CDU). 1985 machte dieser de Maizière zum Leiter des Grundsatzreferates der Senatskanzlei. Nach dem Fall der Mauer verhandelte er damals als Mittdreißiger den Einigungsvertrag mit, wurde Chef der Staatskanzlei in Mecklenburg-Vorpommern, dann in Sachsen. 2005 holte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) de Maizière als ihren ersten Kanzleramtschef nach Berlin.
In Merkels Regierungszeit war de Maizière später Innenminister, dann Verteidigungsminister, nachdem Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) wegen der Plagiatsaffäre zurücktreten musste. 2013 zog er wieder an die Spitze des Bundesinnenministeriums und mit dem Haus um, aus dem Provisorium in Berlin-Moabit in die unmittelbare Nachbarschaft des Kanzleramts.
Es ist das Jahr, in dem Hunderttausende Flüchtlinge aus Syrien Deutschland erreichen, nachdem Ungarn und Österreich die Flüchtlinge weiterleiteten. Schon seit dem Frühsommer ist die Fluchtbewegung das Hauptthema für den Innenminister. Es bereitet ihm im Herbst lange Arbeitstage, oft bis in die Nacht, wie Mitarbeiter sagen. Charakterisieren sie de Maizière, fallen vor allem solche Worte: fleißig, genau, ein „Aktenfresser“. Die Krise um die Unterbringung der Schutzsuchenden fordert den Innenminister sichtlich. Die anfängliche Willkommensstimmung kippt, das Thema polarisiert vermehrt.
Nach der Bundestagswahl 2017 und quälend langen Koalitionsverhandlungen beansprucht die CSU das Innenministerium für sich. Minister wird der damalige Parteichef Horst Seehofer, der die Flüchtlingspolitik Merkels und de Maizières scharf angegriffen hatte, gar von einer „Herrschaft des Unrechts“ sprach. Als „ehrabschneidend“ habe er diesen Vorwurf empfunden, bekennt der Jurist de Maizière rückblickend in seinem Buch „Regieren“.
„Getragen von tiefer Zuversicht“
Mit dem Ausscheiden aus dem Kabinett ist de Maizière weiter einfacher Bundestagsabgeordneter. Zuvor von Personenschützern umgeben, sieht man ihn nun auch mal allein mit dem Fahrrad durchs Regierungsviertel fahren. Bei der Wahl 2021 kandidiert de Maizière nicht mehr für den Bundestag.
Im selben Jahr wird er Kirchentagspräsident. Als Politiker hat er oft betont, wie ihm der Glaube an Gott bei Entscheidungen geholfen oder auch entlastet hat. Mit Blick auf das Treffen in Nürnberg, wo die großen Krisen dieser Zeit diskutiert werden sollen - Ukraine-Krieg, Klimawandel, Flucht - beschreibt er es so: „Wir sind getragen von einer tiefen Zuversicht, dass die Welt nicht untergeht.“ Dafür müsse man aber auch etwas tun.