Berlin (epd). Entwicklungsorganisationen beklagen eine zunehmende globale Gerechtigkeitslücke beim Impfen in der Corona-Pandemie und fordern die künftige Bundesregierung zum Handeln auf. Während 80 Prozent der bisher weltweit genutzten Impfdosen von reichen Ländern aufgekauft worden seien, gelangten nur rund zwei Prozent in ärmere Länder, sagte die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Verbands Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe (Venro), Maike Röttger, am 26. November in Berlin. Der Verband fordert, dass Deutschland sich stark macht für einen gerechten Zugang zu Covid-19-Impfstoffen für alle Menschen. Diesem Ziel werde der Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen nicht gerecht.
Im Koalitionsvertrag der sogenannten Ampel wird die Unterstützung des globalen Covid-19-Impfprogramms Covax betont, über das ärmere Länder mit Vakzinen versorgt werden sollen. Die künftige Regierung will das Programm demnach finanziell sowie durch die schnelle Lieferung von Impfstoffen stärken. Weiter heißt es: „Wir unterstützen freiwillige Produktionspartnerschaften und den Transfer von Know-how, um die Produktionskapazitäten für Medikamente und Impfstoffe weltweit auszubauen.“
Kritik an Freiwilligkeit
Mareike Haase, Referentin für internationale Gesundheitspolitik beim evangelischen Hilfswerk „Brot für die Welt“, bezeichnete diese von den Koalitionären vereinbarte Freiwilligkeit als „katastrophal“. Sie verwies darauf, dass zum Beispiel Pfizer und Biontech sowie Moderna ihre Verträge mit der Afrikanischen Union (AU) nicht erfüllten. Von den vereinbarten Dosen sei noch nichts angekommen. Auch von den von Deutschland für dieses Jahr zugesagten rund 100 Millionen Impfstoffdosen an Covax seien gerade einmal ungefähr 20 Millionen in den ärmeren Ländern angekommen.
Haase kritisierte, Deutschland habe weit über den eigenen Bedarf Impfstoff eingekauft, aber sich nicht rechtzeitig darum gekümmert, ihn weiterzugeben. Ein „Riesenproblem“ seien auch die Hürden für eine Weitergabe, die die Impfstoffhersteller in die Verträge eingebaut hätten. Moderna verlange beispielsweise eine Ausgleichszahlung von 19 Euro pro Dosis. Pfizer wiederum habe etwa Brasilien untersagt, Impfstoffspenden anzunehmen. Gleichzeitig würden in reichen Ländern Impfdosen vernichtet. Dies alles verdeutliche „das bisherige Versagen der globalen Kooperation“. Allein der gute Wille von Ländern und Unternehmen reiche nicht aus.
Aussetzung der geistigen Eigentumsrechte gefordert
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte jüngst in Bezug auf die späte Abgabe von Moderna-Impfstoff an Covax erläutert, dass die Verträge mit der Europäischen Union gemacht worden seien und deshalb auch die EU mit den Herstellern die Abgabe an Dritte vertraglich regeln müsse. Dies sei mit den verschiedenen Unternehmen „unterschiedlich schnell möglich“ gewesen und mit Moderna habe es am längsten gedauert - und zwar bis Ende Oktober. Zuletzt hatte das Ministerium bekanntgegeben, dass 32 Millionen Dosen des Moderna-Impfstoff Covax vertraglich zugesichert worden seien.
Um mehr Impfgerechtigkeit zu erreichen fordert Venro erneut die vorübergehende Aussetzung der geistigen Eigentumsrechte auf Impfstoffe und darüber hinaus auf alle medizinischen Technologien, die zur Eindämmung der Pandemie nötig sind. Zudem sei eine schnelle Weitergabe von Impfdosen an Länder mit niedrigem Einkommen dringend nötig.
Dem Bundesverband Venro gehören rund 140 private und kirchliche Organisationen in Deutschland an, die in der Entwicklungszusammenarbeit, der humanitären Hilfe oder der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit tätig sind.