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"Der Dienstplan passt sich den Menschen an, nicht umgekehrt"




Ludmila Rogowski, Mitarbeiterin im Diakonischen Pflege- und Wohnstift "Lebensbaum" in Hessisch Oldendorf nahe Hameln, betreut eine Bewohnerin.
epd-bild/Jens Schulze
Morgens zur Arbeit, acht Stunden später nach Hause, fünf Tage die Woche. Dieser Rhythmus prägt den Alltag vieler, doch die Berufswelt verändert sich. Flexible Arbeitszeiten sind nur ein Beispiel für den rasanten Wandel. Auch in der Pflege.

Hessisch Oldendorf, Hannover (epd). Ljudmila Rogowski ist die Sache klar: „Die 'Muttidienste' sind ein Privileg - ohne sie könnte ich nicht arbeiten“, sagt die Pflegerin. Die dreifache Mutter ist im Seniorenheim „Lebensbaum“ in Hessisch Oldendorf nahe Hameln tätig. Ihr Mann arbeitet bei der Bahn im Schichtdienst, Rogowski kümmert sich um die Kinder, das jüngste geht noch in den Kindergarten.

Die „Muttidienste“ in dem diakonischen Pflegeheim liegen werktags im Zeitraum von 7.30 bis 14.30 Uhr. In diesem Zeitfenster kommen die Frauen zu individuell vereinbarten Zeiten zur Arbeit, manche für drei Stunden, andere für vier oder sechs. Die flexiblen Arbeitszeiten erlauben ihnen, mit ihren Kindern zu frühstücken und für sie da zu sein, wenn sie aus Kita oder Schule kommen. „Muttidienste“ heißen sie aller Gleichberechtigung zum Trotz, denn Väter, die das Angebot nutzen, gibt es nicht.

Pflegekräfte wollen oft keine Vollzeit

Grund für den „Muttidienst“ ist der Fachkräftemangel in der Pflege. „Wir müssen uns auf die Bewerber einstellen, viele wollen nicht Vollzeit arbeiten, gerade jüngere“, sagt Heimleiterin Karin Raestrup. „Wir sprechen bei der Bewerbung über Bedürfnisse und Vorstellungen und suchen passgenaue Lösungen.“

Auf individuelle Lebenssituationen zugeschnittene Arbeitszeiten - das war lange undenkbar. Wer Kinder zu betreuen oder Eltern zu pflegen hatte, musste sich selbst um Lösungen kümmern. Belastungen wie diese galten als privat. Das sieht heute anders aus. Work-Life-Balance, der Wunsch, Beruf und Privates gut zu vereinbaren, hat an gesellschaftlicher Akzeptanz gewonnen.

Laut Statistischem Bundesamt waren 2024 rund 46 Millionen Menschen in Deutschland erwerbstätig. Eine Untersuchung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin ergab: Rund 86 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die angaben, Einfluss auf ihre Arbeitszeit nehmen zu können, sind zufrieden damit, wie sie Arbeit und Privates ausbalancieren können. Unter denjenigen, die wenig Einfluss auf ihre Arbeitszeit nehmen können, sind es rund 70 Prozent. „In der Gestaltung flexibler Arbeitszeitmodelle liegen große Potenziale“, schreiben die Arbeitsexperten. Das gelte sowohl für die Wettbewerbsfähigkeit als auch für Gesundheit und Zufriedenheit der Beschäftigten.

Mehrere Treiber der Entwicklung

Maßgeschneiderte Arbeitszeiten sind nicht das Einzige, das sich in der Arbeitswelt in den vergangenen Jahren geändert hat. Treiber des Wandels sind neben der demografischen Entwicklung - etwa durch den Renteneintritt der Babyboomer - die fortschreitende Digitalisierung sowie die klimafreundliche Transformation der Wirtschaft. Neue Jobs, neue Märkte entstehen. Dienstleistungsjobs nehmen zu, Industriearbeitsplätze ab. Homeoffice ist für viele Menschen möglich geworden.

„New Work“ ist ein häufig verwendeter Sammelbegriff für den Wandel. Was er genau bedeutet, ist Stefan Rief vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation zufolge schwer zu fassen. Jeder lese seine eigenen Wünsche hinein, so der Arbeitswissenschaftler dem Fraunhofer-Magazin „An die Arbeit“. Neben der Flexibilisierung von Arbeit gehe es in den Unternehmen um Themen wie Verantwortung, Führung und Kommunikation.

Diese Themen hält auch der Arbeitswissenschaftler Axel Haunschild von der Leibniz Universität Hannover für zentral. Projektbezogenes Arbeiten sei in diesem Zusammenhang ein wichtiges Stichwort. „Für den IT-Bereich gilt das schon lange, aber auch Behörden arbeiten inzwischen in Projekten“, sagt Haunschild. Von den Menschen erfordere das neue Fähigkeiten. Nicht mehr der Chef sagt, was zu tun ist, die Menschen müssen sich selbst steuern, koordinieren, Ziele setzen.

Möglichkeiten vor allem für Gebildete

Positiv sieht Haunschild bei dieser Form der Arbeit die höhere Selbstbestimmung, Kehrseite könnten Überforderung und Erschöpfung sein. Lebenslanges Lernen höre sich zwar gut an, könne aber auch das Gefühl auslösen, nicht zu genügen und daran auch noch selbst schuld zu sein, sagte Haunschild. „Ob Arbeiten in Projekten gut gelingt, hängt von den Rahmenbedingungen in den Firmen ab.“ Nicht alle neuen Möglichkeiten erreichten alle Arbeitnehmer. „Es sind vor allem die höher Gebildeten, die Mittelschicht, die sich Gehör verschaffen kann, die profitieren“, sagt der Professor.

Der „Muttidienst“ im Seniorenheim „Lebensbaum“ beweist, dass sich „New Work“ mit etwas gutem Willen auch in einem Bereich wie der Altenpflege umsetzen lässt. Dafür, dass die flexiblen Dienstzeiten „funktionieren“, sorgt Pflegedienstleiterin Elke Kühn. Eine komplexe Aufgabe. „Jede Mutter hat unterschiedliche Arbeitszeiten und Wochenstunden“, sagt Kühn. „Aber wir bekommen das hin, bei uns passt sich der Dienstplan den Menschen an, nicht umgekehrt.“

Davon profitiert auch Plamena Dimitrova. Sie arbeitet jedes zweite Wochenende sowie werktags von nachmittags bis in den Abend im „Lebensbaum“. Dann ist ihr Mann, der morgens ab sechs Uhr auf dem Bau arbeitet, zu Hause. „Oder meine Oma übernimmt ihre Urenkel“, sagt die 35-jährige Pflegerin, „es funktioniert gut.“

Julia Pennigsdorf


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