

Frankfurt a.M. (epd). DHV-Präsidiumsmitglied Ursula Jahn-Zöhrend findet klare Worte: „Die rund 22.000 Mitglieder des DHV sichern die Hebammenversorgung in Deutschland. Es ist desaströs, dass wir als größter Berufsverband in der Schiedsstelle mit unseren Forderungen unterlagen.“ Sie beklagt, dass im Schiedsspruch „partikulare Interessen von Teilen der Hebammen“ fixiert wurden. Die gesamte Berufsgruppe sei nicht gebührend in diesem Vertrag berücksichtigt worden. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Frau Jahn-Zöhrens, Schiedssprüche haben selten einen guten Ruf, sie werden oft als schlechte Kompromisse gesehen. Auch Ihr Verband rügt das Resultat in scharfen Worten, vor allem mit Blick auf die Beleghebammen. Warum sind Sie mit dem Schiedsspruch nicht einverstanden?
Ursula Jahn-Zöhrens: Der Beschluss der Schiedsstelle vom 2. April birgt einige Nachteile. Das gilt, wie Sie ansprechen, vor allem für die Beleghebammen, die in rund einem Viertel aller Geburten die Gebärende begleiten. Diese werden mit dem neuen Vertrag finanziell schlechter gestellt, trotz der großen Verantwortung, die sie für die flächendeckende Geburtshilfe in Deutschland tragen. Das liegt unter anderem daran, dass nicht in Betracht gezogen wird, dass ein Kreißsaal niedrige und hohe Auslastungen abdecken muss und auch immer die erste Anlaufstelle für Schwangere mit Beschwerden oder Risiken ist. Diese oft beratungsaufwendigen Tätigkeiten werden im nun festgesetzten Vertrag nicht berücksichtigt. Auch die Stundenvergütung für Hebammen in der aufsuchende Wochenbettbegleitung ist hinter unserer Erwartung zurückgeblieben.
epd: Der DHV ist im Sommer vergangenen Jahres aus dem Verhandlungsprozess ausgestiegen? War das im Rückblick nicht doch ein Fehler?
Jahn-Zöhrens: Nein, im Gegenteil. Wir haben uns über Wochen an den Themen zum Belegsystem und zur Vergütungshöhe mit dem Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-SV) abgearbeitet. Beide Bereiche wurden mehr oder weniger von den Kassen mit dem Stand August 2024 der Schiedsstelle vorgelegt und nun auch so abgestimmt. Wären alle Vertragspartner ehrlich gewesen, hätte die Schiedsstelle bereits im Herbst 2024 entscheiden können.
epd: Musste jetzt nicht eine, wenn auch nicht optimale, Entscheidung her, sonst wären vier Jahre Verhandlung umsonst gewesen und die Probleme weiter ungelöst?
Jahn-Zöhrens: Die vielen Monate der Verhandlungen haben mehrere Gründe. Im neuen Vertrag wurde ein Paradigmenwechsel weg von Pauschalvergütungen hin zu einer Vergütung nach tatsächlichem Zeitaufwand umgesetzt. Diesen Paradigmenwechsel umzusetzen, hat einen hohen Zeitaufwand erfordert. Zudem kam ein neuer Verein als Vertragspartner ins Spiel. Der GKV-Spitzenverband hat sich damit vorrangig mit zwei deutlich kleineren Institutionen auseinandergesetzt, die partikulare Interessen von Teilen der Hebammen vertreten, während die Interessen der 22.000 Hebammen aus allen Berufsfeldern, die wir vertreten, in den Hintergrund gedrängt wurden. Hätte es diese Vermengung von berufspolitischen Themen mit den Vergütungsverhandlungen nicht gegeben, hätte dieser Vertrag schon vor zwei Jahren geschlossen werden können.
epd: Können Sie zur Klarstellung die Arbeit und Einsatzgebiete der Beleghebammen kurz beschreiben, damit man versteht, was sie von anderen Hebammen unterscheidet?
Jahn-Zöhrens: Beleghebammen sind freiberufliche Hebammen, die die Geburtshilfe in einer Klinik sicherstellen. Dazu schließen sie einen Vertrag mit dem Klinikträger, organisieren ihre Anwesenheits- und Bereitschaftszeiten selbst und rechnen die erbrachten Leistungen direkt mit den Krankenkassen ab. Neben der Begleitung der tatsächlichen Geburt kümmern sie sich auch um die Diagnostik und Überwachung von Risikoschwangeren im Kreißsaal. Geburten und Risiken sind unplanbar. Vorhaltekosten sind aber in diesem System nicht vorgesehen.
epd: Offenbar halten sie das Schiedsverfahren für fragwürdig, denn in einer Presseinformation von Ihnen heißt es: „Die rund 22.000 Mitglieder des DHV sichern die Hebammenversorgung in Deutschland. Es ist desaströs, dass wir als größter Berufsverband in der Schiedsstelle mit unseren Forderungen unterlagen.“
Jahn-Zöhrens: Ja, es ist dem GKV-Spitzenverband gelungen, mit dem kleinen Hebammenberufsverband BfHD und der Interessenvertretung der Träger von Geburtshäusern, Netzwerk der Geburtshäuser, also zwei kleinen Verbänden, deren Vertretung sich nur auf einen Teilbereich der Hebammenarbeit fokussiert, wortgleiche Anträge in die Schiedsstelle einzureichen und durch eine Klausel keine Änderungen in diesem Antrag zuzulassen. Damit war klar, dass die gesamte Berufsgruppe nicht gebührend in diesem Vertrag berücksichtigt werden konnte. Damit wurde die Aufgabe einer Schiedsstelle, einen Ausgleich zwischen den Bedarfen der Parteien zu finden, ad absurdum geführt.
epd: Der von Ihnen genannte Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands kommt zu einer völlig anderen Bewertung des Schiedsspruches. Er spricht von einem Durchbruch bei der Hebammenvergütung. Ist da nicht doch etwas dran?
Jahn-Zöhrens: Der BfHD sieht alleine seine Klientel, die Hausgeburts- und Geburtshaushebammen, die auch mehrheitlich vom DHV vertreten werden, wenn er diese Aussage trifft. Noch vor dem Austritt des DHV aus den Verhandlungen haben beide Verbände zusammen die Forderung aufgestellt, dass deren Geburtshilfe zwingend als Pauschale honoriert werden muss. Diese Forderung wurde zwischendurch vom GKV-Spitzenverband in Frage gestellt. Nun blieb es bei den Pauschalen und damit ist der BfHD in seiner Hauptforderung befriedigt und kann dies auch so erklären. Damit verschweigt er jedoch, das andere Bereiche der Hebammenarbeit das Nachsehen haben. Wir als Verband setzten uns seit jeher dafür ein, dass alle Tätigkeitsfelder einer Hebamme so gut vergütet werden müssen, dass ihre wirtschaftlichen Interessen ausreichend berücksichtigt sind.
epd: Für Außenstehende liest sich die BfHD-Aussage doch vernünftig: „Mit dieser Entscheidung gelingt nun endlich der von allen Verbänden lange angestrebte Systemwechsel, weg von den pauschalen Vergütungen hin zu einem zukunftsfähigen und modernen Vergütungssystem, das auf Stundenvergütung basiert und die wirtschaftlichen Interessen aller freiberuflich tätigen Hebammen berücksichtigt.“ Zumindest für diese Berufsgruppe, oder?
Jahn-Zöhrens: Ja, der Systemwechsel ist vollzogen. Der war jedoch bereits vor der der Entscheidung der Schiedsstelle fixiert und wurde von uns maßgeblich mit ausgearbeitet. Aber es wurden eben ausdrücklich nicht die wirtschaftlichen Interessen aller freiberuflich tätigen Hebammen berücksichtigt.
epd: Kommen wir noch einmal zu den klinisch tätigen Hebammen zurück. Dort gibt es mit dem sogenannten 1:1-Zuschlag doch mehr Geld. Warum droht dann womöglich doch ein Einkommensverlust? Und wie hätte Ihre Alternative ausgesehen?
Jahn-Zöhrens: Die erste Leistung einer Beleghebamme in der Klinik erhält ab sofort nur 80 Prozent der Stundenvergütung gegenüber den anderen Leistungsbereichen. Und wenn sie zwei Gebärende begleitet, erhält sie für die zweite betreute Gebärende nur 30 Prozent als Honorar. Auf der anderen Seite trägt sie die volle Verantwortung und Haftung für beide Versicherte. Sie muss sich ständig fragen: Wer braucht mich dringender? Dieser Aspekt wird nicht berücksichtigt, sondern er wird negiert. Es ist für uns nicht einsichtig, warum eine Beleghebamme im Vergleich zu den anderen Berufsfeldern einen verringerten Stundensatz erhalten soll.
epd: Wo liegen die Probleme?
Jahn-Zöhrens: Die Geburtshilfe ist nicht planbar, es ist also schwierig, immer zu wissen, wie viele Hebammen sich im Kreißsaal aufhalten müssen, um immer eine 1:1-Betreuung zu gewährleisten. Erstens gibt es noch nicht genügend Fachkräfte, zweitens gibt es kein „Wartegeld“ für die Hebammen, die gerade nicht gebraucht werden. Hebammen stellen ihre Arbeitskraft der Klinik zur Verfügung, werden aber nicht dafür bezahlt. Also wird es immer vorkommen, dass eine Hebamme die Verantwortung für mehrere Versicherte tragen muss, weil eine weitere Kollegin erst aus der Bereitschaft geholt werden muss, oder es gar keine weitere Hebamme im Team gibt. Wir werfen dem GKV-Spitzenverband vor, hier etwas durchzusetzen, was er im klinischen Bereich mit angestellten Hebammen noch nie gefordert hat.
epd: Die Geburtenzahlen sinken, immer mehr Geburtshilfestationen in Kliniken schließen. Bietet hier der beschriebene Systemwechsel hin zu sogenannten Hebammenambulanzen eine brauchbare Lösung an?
Jahn-Zöhrens: Die Hebammenambulanz gibt es schon heute. Hebammensprechstunden an Kliniken werden seit 2012 gefordert. Das Kliniksterben verschärft zum einen die Raumnot in den verbleibenden Einrichtungen, außerdem werden Wege für Schwangere immer länger, was eine große Verunsicherung bei den betroffenen Familien auslöst. Verlegungen aus Geburtsklinken ohne Risikoversorgung, hin in die Maximalversorger, werden schwieriger. Haus- und Geburtshaushebammen können diese Lücken nur teilweise ausgleichen, denn auch sie müssen die Überleitungswege berücksichtigen. Das heißt, die Versorgung in der Fläche durch Hebammen ist herausgefordert. Die Klinikstandorte aber müssen immer mehr Schwangere mit weiteren Anfahrtswegen „hüten“. Hebammenambulanzen können als Anlaufstelle zur Entlastung im System beitragen. Sie sind aber nicht die Antwort, wenn es darum geht, ein flächendeckendes und hochwertiges Netz für die Betreuung unter der Geburt sicherzustellen.