sozial-Politik

Koalitionsverhandlungen

Verbände kritisieren Sondierungspapier von Union und SPD




SPD und die Union wollen koalieren.
epd-bild/Tim Wegner
Vor dem Start der offiziell von Union und SPD beschlossenen Koalitionsverhandlungen gibt es zum Teil deutliche Kritik an dem Papier mit den Ergebnissen der Sondierungsgespräche. Mehrere Sozialverbände meldeten sich zu Wort und mahnten aus ihrer Sicht vernachlässigte Themen an.

Berlin (epd). Die von CDU/CSU und SPD nach den Sondierungen in einem elfseitigen Papier fixierten Vorhaben lösten in der Sozialbranche überwiegend Kritik aus. Vor allem, weil einige Themen bereits recht konkret abgehandelt wurden, andere indes nur knappe Erwähnung fanden. Unter anderem sollen für Menschen im Bürgergeldbezug sämtliche Leistungen gestrichen werden, wenn sie „arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern“. Die sogenannte Mütterrente - ein Aufschlag auf die Rentenpunkte für Erziehungszeiten - soll künftig für mehr Menschen gelten.

VdK verweist auf Lücken

Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, kritisierte bestehende Lücken im Sondierungspapier. Es reiche beispielsweise nicht, einfach nur „eine große Pflegereform“ anzukündigen, erklärte Bentele am 10. März in Berlin. Angesichts der desaströsen Lage der Pflegeversicherung brauche es eine umfassende und gerechte Finanzreform, einen Pflegelohn für pflegende Angehörige und langfristige Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung. „Leistungskürzungen darf es nicht geben. Nur zu sagen, man wolle etwas tun, reicht nicht aus.“

Etwas konkreter sind laut VdK die Pläne zur Rente: Die angekündigte Stabilisierung des Rentenniveaus sei ein guter erster Schritt. Bentele: „Wir fordern jedoch die Erhöhung auf 53 Prozent. Die Aktivrente ist für diejenigen gut, die weiterarbeiten wollen und können.“ Es braucht aber aus Sicht des VdK deutlich mehr Unterstützung für diejenigen, die es aus gesundheitlichen Gründen nicht schaffen, so lange zu arbeiten. Der Gesetzgeber müsse dazu gezielte Maßnahmen gegen Altersarmut und für gesundheitlich belastete Ältere einführen, etwa Weiterbildungen, Gesundheitsprävention und flexible Arbeitszeitmodelle. Auch zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen finde sich im Sondierungspapier nur ein unverbindlicher Satz.

AWO sieht Mangel an guten Ideen

Der Präsident der Arbeiterwohlfahrt (AWO), Michael Groß, erklärte ebenfalls, beim Thema Sozialstaat „muss man gute Ideen mit der Lupe suchen“. Dass mehr in Integration investiert, Kitas gestärkt und das Sprach-Kita-Programm wieder aufgenommen werden soll, sei schön zu hören.

„Aber dass gleichzeitig das Bürgergeld de facto abgewickelt wird, spricht eine andere Sprache“, rügte Groß. Dass Menschen alle Bezüge gestrichen werden und die Vermittlung in prekäre Jobs wieder Vorrang gegenüber Qualifizierung erhalten soll, ist der letzte Sargnagel für die große Reform der Ampel-Koalition - nur drei Jahre später. Damit sei klar: „In den Koalitionsgesprächen müssen die Parteien ordentlich nacharbeiten und eine Vereinbarung vorlegen, die weder verfassungswidrige Entrechtung noch Abbau der sozialen Sicherheit enthält.“ Die zweite Präsidentin des Verbandes, Kathrin Sonnenholzner, sagte, das Papier von Union und SPD „liest sich wie eine Absage an sozialen Fortschritt und eine menschenwürdige Flucht- und Migrationspolitik“.

Pro Asyl kritisiert Ende von Programmen

Die Ankündigung, Programme wie die freiwillige Aufnahme gefährdeter Afghaninnen und Afghanen zu stoppen, nannte die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl eine „schäbige Entscheidung“. Sie kritisierte auch die weiteren geplanten Verschärfungen im Bereich der Asylpolitik. Der Kompromiss bei den Zurückweisungen an der Grenze werde in der Praxis zu mehr rechtswidrigen Zurückweisungen führen, fürchtet Pro Asyl. "Recht wird zur Seite geschoben, absehbare Rechtsbrüche werden teils mit Formelkompromissen kaschiert”, kommentierte Geschäftsführer Karl Kopp.

Und zur umstrittenen Bezahlkarte für Geflüchtete merkte er an: „Die stigmatisierende Bezahlkarte soll flächendeckend durchgesetzt werden. Umgehungen sollen unterbunden werden. Das klingt wie eine Warnung an die Zivilgesellschaft.“ Es drohe möglicherweise eine Kriminalisierung humanitärer Tausch-Initiativen, von denen es bundesweite bereits einige gibt.

Kitaverband sieht richtige Schritte

Der Deutsche Kitaverband begrüßte hingegen die in den Sondierungsergebnissen angekündigten Maßnahmen zur Förderung der frühkindlichen Bildung. Insbesondere die Wiederaufnahme des Bundesprogramms Sprach-Kitas sowie die Einführung eines Kita-Startchancenprogramms seien richtige Schritte, um Bildungsgerechtigkeit von Anfang an zu sichern, teilte der Kitaverband mit. Gleichzeitig forderte er eine nachhaltige und verlässliche Finanzierung für Kita-Träger, um die Betreuungsqualität langfristig zu sichern.

„Die Rückkehr der Sprach-Kitas ist ein wichtiger Schritt, um die frühkindliche Sprachförderung nachhaltig zu stärken. Das muss jedoch durch eine gezielte Qualifizierung von Fachkräften und eine angemessene Personalausstattung ergänzt werden“, erklärte Waltraud Weegmann, Bundesvorsitzende des Deutschen Kitaverbands. Sie warb dafür, beide angekündigte Programme strukturell abzusichern, um zu verhindern, dass sie von Legislaturperiode zu Legislaturperiode neu verhandelt werden müssen.

Der Sozialdienst katholischer Frauen mahnt, Frauen und Kinder in belasteten Lebenssituationen nicht aus dem Blick zu verlieren. Frauen brauchten Entlastung und Unterstützung bei der Sorgearbeit, um überhaupt arbeiten zu können. Das soziokulturelle Existenzminimum für Kinder müsse neu bemessen werden. Eine wichtige Voraussetzung für ein gutes Aufwachsen sei bezahlbarer Wohnraum. Zudem müssten die Vorgaben der Istanbul-Konvention zum Gewaltschutz in die Koalitionsverhandlungen Eingang finden.

Verbände machen auf Personalmangel aufmerksam

Drei bundesweite diakonische Verbände machten auf den Personalmangel in Eingliederungshilfe, Gesundheit und Pflege aufmerksam und fordern die Unionsparteien und die SPD auf, Maßnahmen gegen den Mangel zu ergreifen. Ohne entschlossenes politisches Handeln drohten erhebliche Versorgungslücken für Menschen mit Behinderung sowie pflegebedürftige Menschen, teilten der Bundesverband evangelische Behindertenhilfe (BeB), der Deutsche Evangelische Verband für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) sowie der Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD) mit. Der Zugang zum Beruf der Heilerziehungspflege müsse leichter und attraktiver werden. Für eine gesicherte pflegerische Versorgung brauche es die zügige Umsetzung des Pflegekompetenz- und Pflegeassistenzgesetzes und die refinanzierte Unterstützung von kompetenzorientierten Personalaufbaukonzepten. Zudem müssten die im Sondierungspapier angedachten Investitionen in Betreuungsstruktur und Krankenhäuser einhergehen mit einer Offensive zur Gewinnung von Arbeitskräften, insbesondere auch durch Zuzug aus dem Ausland.

Das Präsidium der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) legte ein krankenhauspolitisches 100-Tage-Sofortprogramm vor. Die Kliniken fordern unter anderem, sofort die seit 2022 inflationsbedingt stark gestiegenen Kosten auszugleichen, um die Kliniken wirtschaftlich zu sichern. In weiteren Punkten fordert die DKG, „die untaugliche Vorhaltefinanzierung“ des Noch-Gesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) sofort auszusetzen. Zudem fordern die Krankenhäuser, den Bundes-Klinikatlas abzuschalten.

Die Diakonie Deutschland appellierte an die Koalitionsverhandler, mutige Schritte hin zu einem starken Sozialstaat zu gehen. „Bei Investitionen muss die soziale Infrastruktur konsequent mitgedacht werden“, heißt es in einer Mitteilung des evangelischen Wohlfahrtsverbands. Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch warb erneut für die Umwandlung der sozialen Pflegekasse von einem Teilleistungssystem in eine Pflegevollversicherung mit begrenzter Eigenbeteiligung. Die Neugestaltung des Bürgergelds müsse die Arbeitsmarktintegration von Langzeitarbeitslosen aktiv fördern. Dazu sei es nötig, die Beschäftigungsförderung zu sichern, die Zuverdienstmöglichkeiten deutlich zu vereinfachen und die Menschen gezielt für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Schuch betonte zudem die Bedeutung von unbürokratischen Sicherungssystemen für Familien.

Christina Neuhaus, Dirk Baas


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