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Nürnberg, München (epd). Besonders an jedem ersten Montag im Monat herrscht vor und im Nürnberger Stadtteilzentrum Desi Hochbetrieb. Schon bevor in den Vereinsräumen der Kartentausch für Geflüchtete beginnt, warten bereits rund 100 Menschen vor dem Gebäude. Männer und Frauen, oftmals mit Kindern, haben zuvor in Supermärkten oder Discountern mit ihrer Bezahlkarte einen Einkaufsgutschein gekauft. Den wollen sie hier in Bargeld umtauschen. Das Geld wiederum kommt von Privatpersonen, die dafür die Einkaufsgutscheine mitnehmen. Hinter der wöchentlichen Aktion steht die „Initiative gegen die Bezahlkarte in Nürnberg“, in der sich unter anderem der Bayerische Flüchtlingsrat engagiert.
„Die Bezahlkarte ist eine symbolpolitische Gängelung und behindert Geflüchtete an der Teilhabe“, sagt Carolin Wabra, ehrenamtliche Beraterin beim Flüchtlingsrat. So höre sie immer wieder Klagen, dass Asylsuchende für ihre Kinder beispielsweise keine günstigen Klamotten auf Flohmärkten kaufen können. Auch viele kleinere Geschäfte würden die Bezahlkarte aus technischen Gründen nicht akzeptieren. Man könne auch mit der Karte in der Schule keine Brezen kaufen. „Erst, wenn man keine Münzen in der Tasche hat, fällt auf, wo man überall noch bar bezahlt.“
Seit vergangenem Jahr erhalten Asylbewerber in Bayern ihr Geld auf der Bezahlkarte und können monatlich nur 50 Euro in bar abheben. „Sachleistungen sind besser als Geldleistungen“, sagte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zur Einführung. Die Umstellung auf die Bezahlkarte habe aber gerade am Anfang zu Schwierigkeiten geführt, etwa bei Handyverträgen oder im Sportverein, sagt Wabra, denn auch Überweisungen sind mit der Karte nicht möglich.
Inzwischen hat das Tauschzimmer geöffnet. Hier tauschen Asylbewerber ihre Einkaufsgutscheine in bares Geld um. Helfer nehmen sie entgegen, prüfen die Gültigkeit und reichen dann das Geld über den Tisch. Pro Familienmitglied wird nur ein Gutschein akzeptiert, denn die Nachfrage ist groß. „Gerade zu Monatsbeginn kommen schon mal 200 bis 300 Personen“, weiß Wabra aus Erfahrung. Der Andrang flaue im Monatsverlauf ab.
Für die 24-jährige Lotta geht es um „Solidarität mit geflüchteten Familien“, sagt sie. Den Aufwand, vor dem Einkauf im Supermarkt in der Desi erst einen Gutschein zu besorgen, nimmt sie gern in Kauf: „Ich habe das Gefühl zu helfen.“ Die 40-jährige Elisabeth ist von Anfang an Unterstützerin der Nürnberger Tauschinitiative. Sie hat im Bereich Flucht und Integration gearbeitet und ist sich sicher: „So wenig Bargeld reicht nicht aus.“ Daher sei sie zwei- bis dreimal im Monat da, um den Kartentausch zu unterstützen. In ihrem Bekanntenkreis sei die Initiative nicht überall bekannt, manche geben ihr aber Geld mit. Für den 63-jährigen Stefan gab die Zeitungslektüre den Ausschlag, nun zum dritten Mal an der Tauschaktion teilzunehmen. „Ich habe gelesen, dass Söder wegen der Aktion tobt. Das ist mein Grund, Geld zu geben.“
Bevor der Bund im letzten Jahr den Weg für die Bezahlkarte im Asylbewerberleistungsgesetz freimachte, hatte Bayern bereits eine eigene Regelung geschaffen. Auf diese Weise will der Freistaat irreguläre Migration verringern und Geldtransfers ins Ausland sowie an Schleuser und Schlepper verhindern. Die Bezahlkarte soll Zuzugsanreize senken und Kommunen entlasten. Initiativen wie die in Nürnberg werden von der Staatsregierung als ein Unterlaufen der demokratischen Verfahren kritisiert.
„Die CSU wird nicht müde, uns in eine kriminelle Ecke zu stellen“, konstatiert Matthias Weinzierl von der Münchner Kampagne „Offen!“. Die Initiative für eine offene Stadtgesellschaft hat im vergangenen Juli mit ihrer Tauschaktion begonnen. „Der Kartentausch ist legal und nicht strafbar“, hält er den Vorwürfen entgegen. Im vergangenen Dezember ist auch die Staatsanwaltschaft Regensburg zu dem Ergebnis gekommen, dass die Tauschaktionen keinen Straftatbestand erfüllen.
Stattdessen unterstreicht Weinzierl seine Überzeugung: „Die Bezahlkarte ist der falsche Weg.“ Mit den begrenzten Abhebungen komme man nicht über die Runden. Gerade zu Beginn der Tauschaktion hätten Geflüchtete Zugfahrten von bis zu drei Stunden in Kauf genommen, um ihren Bedarf an Bargeld zu decken. Mittlerweile habe sich die Lage entspannt, es gebe jeden Tag einen Ort in München, um Einkaufsgutscheine in Bargeld zu tauschen. Nürnberg startete im September die wöchentliche Tauschaktion, ähnliche Angebote gibt es auch in Regensburg und Erlangen.
Eine aktuelle Studie vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wertet Zahlen von Auslandsüberweisungen bis 2021 aus. Demnach sandten nur sieben Prozent der Geflüchteten in Deutschland überhaupt Geld ins Ausland. „Die politische Debatte spiegelt also überhaupt nicht die Realität wider“, schlussfolgert Studienautorin Adriana R. Cardozo Silva vom DIW.
Auch in Hessen gibt es Initiativen, die helfen, die Hemmnisse der Bezahlkarte zu umgehen. Die Linken in Hamburg und Halle organisieren selbst die Tauschzirkel. Hessen will einen Missbrauch der neuen Bezahlkarte für Flüchtlinge verhindern. Mit Blick unter anderem auf ein Austricksen der Bargeldbeschränkung der Karte teilte Innenminister Roman Poseck (CDU) der Deutschen Presse-Agentur in Wiesbaden mit: „Wir werden die weitere Entwicklung sehr sorgfältig beobachten und gegen Missbrauchsfälle auch mit den Mitteln des Strafrechts vorhergehen. Sollten sich dabei Strafbarkeitslücken zeigen, ist es Aufgabe des Bundesgesetzgebers, diese zu schließen.“
Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) sagte der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ kürzlich: „Es war zu erwarten und es ist zu begrüßen, dass eine aktive und solidarische Zivilgesellschaft Wege sucht, die Integrationshemmnisse, die von der niedersächsischen Bezahlkarte ausgehen, zu umgehen.“
Grundsätzliche Kritik an der Bezahlkarte kommt auch aus NRW. Der Städte- und Gemeindebund NRW rügte am 13. Februar eine fehlende landesweit einheitliche Regelung bei der Einführung der Bezahlkarte. Durch die Einführung einer sogenannten Opt-Out-Regelung, die den Städten und Gemeinden die Entscheidung über eine Bezahlkarte überlasse, sei eine politisch heikle Frage „auf die Kommunen abgewälzt“ worden, sagte der Präsident des kommunalen Spitzenverbandes, Christoph Landscheidt. Damit entstehe ein „Flickenteppich an Einzelregelungen“.
Schon heute zeige sich, dass etliche Kommunen von der Einführung absehen werden. „Ein landesweit einheitliches Verfahren ist damit obsolet, und die Bezahlkarte kann ihren eigentlichen, ohnehin umstrittenen Zweck kaum noch erfüllen“, betonte Landscheidt, der auch Bürgermeister der Stadt Kamp-Lintfort (Kreis Wesel) ist. Die Bezahlkarte in der aktuellen Form reduziere weder Anreize zur irregulären Einreise, noch entlaste sie die Kommunen.