sozial-Politik

Behinderung

Beauftragte fordern Abbau von Sonderstrukturen




Jürgen Dusel
epd-bild/Christian Ditsch
In Deutschland leben etwa 12,7 Millionen Bürgerinnen und Bürger mit einer Behinderung. Trotz dieser großen Zahl gibt es noch viel Nachholbedarf auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft, sagen die Behindertenbeauftragten aus Bund und Ländern. In ihrem "Bremer Appell" geben sie die Marschrichtung vor.

Bremen (epd). Die Beauftragten von Bund und Ländern für die Belange von Menschen mit Behinderungen fordern in einem „Bremer Appell“ den Abbau von Sonderstrukturen wie Förderschulen und Werkstätten für behinderte Menschen. „Die Verfassung enthält einen Transformationsauftrag hin zu einer inklusiven Gesellschaft“, erklärte am 15. November am Ende der Herbstkonferenz des Kreises der Bremer Landesbeauftragte Arne Frankenstein als Gastgeber und Sprecher des zweitägigen Treffens. Dem komme Deutschland gegenwärtig nicht hinreichend nach.

„Es gibt immer noch eine Kultur von Benachteiligung“, sagte Frankenstein. Der Grundgesetzartikel, nach dem niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden dürfe, bedeute einen unmittelbaren Handlungsauftrag. Dabei gehe es insbesondere um passende Wohnangebote, um selbstbestimmtes Leben außerhalb von Einrichtungen und eine gemeindenahe psychiatrische Versorgung ohne Zwang.

„Vorhaben nicht auf die lange Bank schieben“

Den Abbau von Sonderstrukturen in diesen und weiteren Bereichen müsse Deutschland als politischen Handlungsschwerpunkt weiterverfolgen und hierfür die erforderlichen Haushaltsmittel bereitstellen. Bundesbeauftragter Jürgen Dusel kritisierte, die strukturelle Benachteiligung zeige sich auch daran, dass dringend notwendige inklusionspolitische Vorhaben von politisch Verantwortlichen oftmals auf die lange Bank geschoben würden: „Das gilt auch für diese Legislaturperiode. Damit wird Politik unglaubwürdig und verspielt Vertrauen.“

In Deutschland lebten etwa 12,7 Millionen Menschen mit einer Behinderung, also jeder sechste Bürger, betonte Dusel. Inklusion sei angesichts dieser Zahl kein „nice to have“: „Die Umsetzung der Inklusion ist ein urdemokratisches Prinzip.“ Vor dem Hintergrund der gescheiterten Ampel-Koalition fordern die Beauftragten von der neuen Bundesregierung und dem Parlament, dass die inklusionspolitischen Vorhaben aus der nun zu Ende gehenden 20. Legislatur des Deutschen Bundestages in der neuen Periode mit Priorität umgesetzt werden.

Warnung vor „parteipolitischem Gezerre“

Sie dürften keinem parteipolitischen Gezerre zum Opfer fallen, warnte Dusel. Dabei gehe es insbesondere um das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Behindertengleichstellungsgesetz, das Gesetz zur Ausgestaltung der inklusiven Kinder- und Jugendhilfe sowie um die Reform des Werkstattrechts.

Die Beauftragten verabschiedeten den „Bremer Appell“ genau 30 Jahre, nachdem das Benachteiligungsverbot von Menschen mit einer Behinderung in das Grundgesetz aufgenommen wurde. Mit seinem Titel ist die Erklärung auch als Reminiszenz an den „Düsseldorfer Appell“ gedacht, den der „Initiativkreis Gleichstellung Behinderter“ am 23. Oktober 1991 in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt veröffentlichte. Das Papier verlieh den Initiativen zur Aufnahme des Benachteiligungsverbotes in der Verfassung einen zentralen Schub.

Dieter Sell