sozial-Branche

Digitalisierung

Gastbeitrag

Soziale Innovationen messen und entwickeln




Caroline Rehner
epd-bild/Iveta Rysava
Was ist eine soziale Innovation, wie wird sie definiert? Darüber herrscht Unklarheit. Aber der Begriff ist in aller Munde, auch vor dem Hintergrund der oft geforderten Digitalisierung. Caroline Rehner vom KDA hat einen speziellen Index entwickelt, der hilft, die Innovationskraft von Projekten bereits in der Planungsphase einzuschätzen. Wie das gelingt und was es bringt, erläutert sie in ihrem Gastbeitrag für epd sozial.

Seit seiner öffentlichen Bereitstellung im Juni 2024 setzen erste Organisationen den Index Soziale Innovation für das Altern (PosIA-Index) in ihrer Arbeit ein. Das am Kuratorium Deutsche Altershilfe entwickelte und von der Deutschen Fernsehlotterie geförderte Tool ermöglicht es, die Innovationskraft von Projekten bereits in der Planungsphase einzuschätzen und zielgerichtet weiterzuentwickeln. Wir wollen auch zeigen, dass soziale Innovationen weder teuer noch extrem zeitaufwändig sein müssen. Mir als Entwicklerin des PosIA-Index ist es wichtig, dass ist ein kontinuierlicher Lernprozess, in den die Zielgruppen und vielfältige Perspektiven einbezogen sind, stattfindet. Gefördert wurde das Vorhaben aus Mitteln der Deutschen Fernsehlotterie.

Was ist eigentlich sozial innovativ?

Oder etwas provokanter müsste man fragen: Was ist wirklich sozial innovativ in einer Zeit, in der „soziale Innovationen“ als Megatrend gelten und von Politik, Stiftungen oder Sozial-Investoren verstärkt gefördert werden? Dieser Ansatz regte am Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) ein zweijähriges Rechercheprojekt (2021-2022) an. Es ließ sich beobachten, dass es trotz langjähriger Forschung noch keine einheitliche Definition für soziale Innovation gab - allgemein nicht und auch nicht bezogen auf das Feld des Alter(n)s. Dementsprechend viel Unklarheit besteht auch aktuell noch immer darüber, welche sozialen Innovationen den Zielgruppen wirklich zugutekommen, wie man sie erkennen und wie man sie entwickeln kann.

Der PosIA-Index ist ein Tool zur Auswertung des innovativen Potenzials einzelner Projekte oder Einrichtungen. In einem zweiten Projekt am KDA, dem „Portal für soziale Innovationen in der Alternshilfe“ (PosIA) (2023 bis 2024) wurde er für die Praxis aufbereitet, erprobt und öffentlich gemacht.

Der PosIA-Index besteht aus einem Katalog von 74 Fragen und zeigt in einer automatisierten Ergebnisgraphik an, in welchen Bereichen Projekte innovativ sind und wo noch Entwicklungspotenzial besteht. Der Index verfolgt dabei bewußts eine ganz bestimmte Richtung: die Grund- und Menschenrechte der Teilhabe, Selbstbestimmung und Selbstständigkeit. Er zeigt Kernaspekte auf, die zur Erfüllung dieser Vision gehören und regt damit einen Wandel sozialer Beziehungen, Systeme und bestehender Strukturen an.

In den „12 Merkmalen der sozialen Innovation für das Alter(n)“ - von der Gestaltung visionärer Altersbilder bis zur Stärkung des Zusammenhalts, vom Abbau von Barrieren im Alltag bis zur Gestaltung inklusiver, sozialer Räume, von gemeinsamen Lernprozessen bis zur Wissensverbreitung - wird diese Vision für die verschiedensten Anwendungskontexte konkret, messbar und planbar.

Die Entwicklung eines Messinstruments

Initiiert und wissenschaftlich begleitet wurde das Vorhaben von Frank Schulz-Nieswandt, Professor für Sozialwissenschaften an der Uni Köln. Kernstück bei der Entwicklung bildete eine Untersuchung von über 200 Projekten für das Altern, die auf Merkmale für innovative Praktiken hin analysiert wurden.

Im PosIA-Projekt wurde der PosIA-Index mit circa 60 Anwenderinnen und Anwendern aus der Freien Wohlfahrt, aus sozialen Projekten oder Unternehmen auf seine Praxistauglichkeit hin erprobt. Dabei wurden vielfältige Nutzungsszenarien sichtbar. Die Anwender sahen in dem Tool nicht nur das Potenzial, Projekte für die Projektförderung auszuwählen und Fördergelder im klassischen Sinne zu beantragen, sondern es auch als geeignete Gesprächsgrundlage zwischen Fördernden und Geförderten zu nutzen und damit eine innovative Förderstruktur zu etablieren, die auf ideelle Beratung und agile Weiterentwicklung von Projekten hin ausgerichtet ist.

Die Anwender schlugen außerdem vor, das Tool zur Qualitätsentwicklung einzusetzen oder es über Sektorengrenzen hinweg zur Diskussion, zum Wissensaustausch und als Grundlage für gemeinsame Lernprozesse zu nutzen. Um einen leichten Einstieg in das Tool zu ermöglichen, hat das PosIA-Team Begleitmaterialien entwickelt, etwa ein Übungsbuch oder Workshopkarten.

Bei der Anwendung wurde auch die Möglichkeit gesehen, den PosIA-Index nicht nur für die Zielgruppe des Alter(n)s, sondern auch für andere Zielgruppen, etwa Kinder- und Jugendliche oder Menschen mit Behinderung anzuwenden. Weil sich die Indikatoren in erster Linie von den Grund- und Menschenrechten ableiten, lässt er sich immer dann einsetzen, wenn es um Teilhabe, Selbstbestimmung und Selbstständigkeit geht. Bei Bedarf ermöglicht es die Creative Commons Lizenz, das Tool für andere Zielgruppen passgenau zu modifizieren.

Die ersten Schritte vor Ort

Oft stellt sich die Frage: Wie fängt man denn nun an? Wenn doch nie Geld und Zeit da ist, wenn man noch gar nicht genau weiß, ob dieses Werkzeug wirklich etwas bringt. Dazu kann ich sagen: Soziale Innovationen müssen nicht viel Geld kosten, und sie lassen sich auch in kleinen Schritten in alltägliche Prozesse einbinden und nach und nach entfalten. Es geht um echte Zusammenarbeit, um Menschen, die sich austauschen, reflektieren und an einem Strang ziehen.

Aus den Erfahrungen der ersten Anwendungen zeigt sich, dass der PosIA-Index als sinnhaft und wirkungsvoll erachtet wird, wenn er im eigenen Erfahrungskontext ausprobiert wird. Es kann sich nur im Alltag, in der Erfahrung der Beteiligten zeigen, dass es sich lohnt, einen solchen innovativen Prozess mit dem PosIA-Index anzustoßen.

Sozial innovativer Wandel kann nur gemeinsam gelingen. Was jetzt zählt ist, dass die Netze, die noch lose geknüpft sind, sich verstärken, in der Alternshilfe, aber auch darüber hinaus. Es braucht ein starkes Netzwerk für soziale Innovationen, damit sich diese Menschen finden, um gemeinsam weiterzumachen.

Caroline Rehner ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Kuratorium Deutsche Altershilfe und leitet das Projekt "Portal für soziale Innovationen in der Alternshilfe" (PosIA).