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Bundesregierung

Pflegerat: Ampel-Aus ist "Katastrophe für die Pflege"




Pflegekraft auf einer Wachkomastation in Bremen
epd-bild/Werner Krüper
Nach dem Scheitern der Ampel-Koalition in Berlin sind viele Fragen offen. Die Reformen für mehr Autonomie von Pflegekräften und die Vereinheitlichung der Ausbildung stehen auf der Kippe. Und nicht nur die: Sozialverbände sind mit Blick auch auf die Verabschiedung mehrerer anderer Gesetze alarmiert.

Berlin (epd). Nach dem Scheitern der Ampel-Koalition herrscht Unklarheit über gesetzliche Reformen zur Stärkung der Pflege. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sicherte den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Deutschen Pflegetags am 7. November in Berlin zu, er werde weiter an den geplanten Gesetzen arbeiten. Er sehe dafür auch Unterstützung in anderen demokratischen Parteien, sagte er. Wie die Gesetze zustande kommen sollen, die noch nicht in den Bundestag eingebracht worden sind, ließ Lauterbach offen.

Die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, bezeichnete das Scheitern der Ampel-Koalition „als Katastrophe für die Pflege“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) habe bei seiner Aufzählung der Gesetze, die vor Neuwahlen noch verabschiedet werden müssten, „die Pflege leider vergessen“, kritisierte Vogler. „Das wirft nicht nur die Pflege selbst - das wirft die Versorgung zurück“, warnte sie.

Pflegekompetenzgesetz ausgebremst

Vogler würdigte Lauterbachs Einsatz für die Pflege. Sie verlangte von der Regierung, die geplanten Regelungen zur Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten von Pflegekräften noch auf den Weg zu bringen. Die Pflege warte darauf seit Jahren. Das Pflegekompetenzgesetz sollte eigentlich am Mittwoch dieser Woche vom Bundeskabinett beschlossen werden. Es sieht erweiterte Kompetenzen und Entscheidungsmöglichkeiten für Fachkräfte im Pflegealltag vor, beispielsweise, dass sie Folgeverordnungen künftig selbst ausstellen können.

Vogler sagte, ebenso wichtig sei, dass die Ausbildung von Pflegeassistenzkräften bundesweit vereinheitlicht werde. Das Pflegeassistenzgesetz stehe aber nach dem Koalitionsbruch ebenfalls auf der Kippe und werde wohl nicht mehr kommen. Angesichts des Fachkräftemangels würden einheitlich und gut ausgebildete Assistenzkräfte überall gebraucht, mahnte Vogler. Die nächste Bundesregierung müsse die Pflege ganz oben auf ihre Agenda setzen.

Caritas-Präsidentin, Eva M. Welskop-Deffaa, sagte, noch vor der Auflösung des Bundestages müssten wichtige Entscheidungen getroffen werden, „die keinen Aufschub dulden“. Nach ihren Worten braucht es zeitnah noch in diesem Jahr eine moderate Beitragserhöhung für die Absicherung der Pflegeversicherung, um die Versorgungssicherheit für pflegebedürftige Menschen nicht zu gefährden. Und: „Zahlungsrückstände bei den Altenhilfeeinrichtungen gehören immer öfter zum Alltag, weil Pflegekassen und Sozialhilfeträger nicht pünktlich zahlen. Sozialversicherungen brauchen Perspektive und Puffer.“

Diakonische Arbeitgeber pochen auf Reformen

AWO-Präsident Michael Groß sagte in Berlin, das Aus der Koalition bringe in einer Zeit, die von Unsicherheiten geprägt ei, noch mehr Verunsicherungen. „Wir fordern deswegen alle demokratischen Kräfte auf, in dieser Zeit maß- und verantwortungsvoll zu agieren“, so Groß. Ziel müsse es sein, die soziale Ordnung zu gewährleisten. „Dabei spielen die Angebote und Dienste der freien Wohlfahrtspflege eine wichtige Rolle. Investitionen in die soziale Sicherheit müssen Vorrang vor ideologischen Diskussionen zur Schuldenbremse haben.“

Der Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD) richtete am 7. November nach dem Scheitern der Ampel-Regierung ebenfalls einen dringenden Appell an alle demokratischen Parteien, eine umfassende Pflegereform anzugehen. „Wir müssen uns dringend darauf einstellen, dass aufgrund der Alterung der Bevölkerung der Pflegebedarf in den kommenden Jahrzehnten stark steigt“, erklärte Vorstandsvorsitzender Ingo Habenicht. „Zu einem Neustart in der Bundespolitik gehört deshalb, die Pflege im Interesse von Millionen Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen nachhaltig abzusichern.“ Es werde Zeit, die längst vorliegenden Lösungsvorschläge für das Pflegeproblem politisch umzusetzen.

Die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser (ZIF) mahnte indes an, das Gewalthilfegesetz schnell zu verabschieden. Die Regierung sei nicht aus ihrer Verantwortung für den Gewaltschutz zu entlassen, hieß es. Es gebe die zwar geringe, aber dennoch vorhandene Chance der Umsetzung dieses wichtigen Gesetzes. „In den gestrigen Statements des Kanzlers und anderer Regierungsmitglieder wurde deutlich: Nicht das Leben von Frauen, nicht das gewaltfreie Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen wird priorisiert, wenn es darauf ankommt“, so die ZIF. Deshalb bestehe der Status Quo fort, dass der Staat Frauen den Schutz vor Gewalt versage.

Kinderschutzbund für besseren Schutz vor sexualisierter Gewalt

Sabine Andresen, Präsidentin des Kinderschutzbundes, mahnte an, das Gesetz zur Stärkung der Strukturen zum Schutz vor sexualisierter Gewalt gegen Kinder zu verabschieden. Dieses Vorhaben sichere unter anderem das Amt der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs rechtlich ab und verstetige es. „Der Gesetzentwurf ist durch das Kabinett beschlossen und auch zwischen den Fraktionen unstrittig. Ich werbe daher dafür, dass die Abgeordneten sich an dieser Stelle noch einmal zusammenzuraufen und das Gesetz verabschieden“, sagte die Präsidentin. Das Gleiche gelte für die „bis zur Unkenntlichkeit zerredete Kindergrundsicherung“.

Tim Stefaniak aus dem Bundesvorstand des LSVD⁺ - Verband Queere Vielfalt, sagte, queerpolitische Belange dürften in der Übergangsphase der nächsten Wochen und Monate nicht unter die Räder geraten, sondern sie müssen jetzt besonders berücksichtigt werden. Und weiter: „Die Reform des Abstammungsrechts muss bis Weihnachten durch den Bundestag gebracht werden. Alle Familien müssen diskriminierungsfrei als solche anerkannt werden.“ Viel zu lange schon seien die Bedarfe von Regenbogenfamilien hinten angestellt worden, sie dürften nicht länger aufgeschoben werden.

Bettina Markmeyer, Dirk Baas