sozial-Recht

Landessozialgericht

Tablettenholen steht nicht unter gesetzlichem Unfallschutz



Potsdam (epd). Tablettenholen ist auch während der Arbeitszeit Privatsache. Wer eine Arbeitspause macht, um vergessene Tabletten aus dem Auto zu holen, steht daher in der Regel nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wie das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg in Potsdam in einem am 29. Oktober bekanntgegebenen Urteil entschied.

Die aus dem Raum Neuruppin stammende Kläger war als Näherin in einem Unternehmen beschäftigt. An einem Tag im Juli 2020 trat die damals 60-Jährige kurz vor 6 Uhr ihre Frühschicht an. Um 9.30 Uhr merkte sie, dass sie die Tabletten, die sie regelmäßig gegen Epilepsie nehmen musste, im Auto liegengelassen hatte. Mit Erlaubnis ihres Vorgesetzten ging sie zu ihrem Auto. Auf dem Rückweg zur Arbeit stürzte sie und brach sich das rechte Handgelenk. Die Berufsgenossenschaft erkannte dies nicht als Arbeitsunfall an.

Medikamenteneinnahme war nicht zwingend nötig

Die dagegen eingelegte Klage hatte sowohl vor dem Sozialgericht Neuruppin als nun auch vor dem LSG keinen Erfolg. Die Einnahme von Medikamenten gehöre nicht zu den arbeitsvertraglichen Pflichten, sondern sei „dem nicht versicherten, persönlichen Lebensbereich zuzuordnen“. Ein „überwiegendes betriebliches Interesse“ und damit Versicherungsschutz könne ausnahmsweise nur bestehen, wenn Arbeitnehmer Gegenstände holen, „die zwingend benötigt werden, um die Arbeit fortzusetzen“, etwa eine Brille oder ein Schlüssel, urteilten die Potsdamer Richter.

Doch die Medikamenteneinnahme sei nicht zwingend notwendig gewesen, um die weitere Arbeitsfähigkeit zu sichern. Wie der behandelnde Arzt der Frau mitgeteilt habe, hätte sie die Tabletten auch nach Schichtende um 11 Uhr einnehmen können. Bei Sorgen und einem „bloß abstrakten Risiko“, dass es ohne pünktliche Tabletteneinnahme zu einem Epilepsie-Anfall kommen könnte, liege die Einnahme „vorrangig im privaten Interesse und damit im nicht versicherten Bereich“. Nur weil der Vorgesetzte erlaubt hatte, die Medikamente zu holen, bestehe ebenfalls kein Unfallschutz. Denn der Vorgesetzte habe ihr nur die Erlaubnis, aber keine bindende Weisung erteilt.

Az.: L 21 U 40/21