Bonn (epd). Wird der Rotstift bei den Integrationskursen so angesetzt, wie es der Gesetzentwurf für den kommenden Haushalt der Bundesregierung vorsieht, wären die Folgen gewaltig, sagt DVV-Experte Sascha Rex: „Das bedeutet, dass rund 180.000 Personen 2025 keinen Kurs beginnen können. Die aktuell durchschnittlichen Wartezeiten von einem halben Jahr werden sich dann für diese Personen um ein Jahr auf dann rund 1,5 Jahre verlängern.“ Auch das geplante Aus für die Finanzierung von Wiederholungsstunden sei kontraproduktiv: Für das Ziel der beruflichen Integration von Geflüchteten sei das „genau das falsche Signal“. Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Kürzungen des Budgets für die Integrationskurse um über 50 Prozent stehen im Raum, auch wenn das Bundesinnenministerium Medienberichte dazu dementiert. Mit welchem Szenario rechnen Sie derzeit?
Sascha Rex: Im Haushaltsentwurf sind für die Integrationskurse 2025 Mittel in Höhe von 500 Millionen Euro eingeplant. Nach unseren Berechnungen würden diese Gelder ausschließlich dazu reichen, bereits seit diesem Jahr laufende Kurse zu Ende zu führen. Neue Kursangebote können nicht starten. Das wurde auch von der Bundesregierung bestätigt. Für Berufssprachkurse sind im nächsten Jahr 310 Millionen Euro eingeplant, damit können begonnene Kurse zu Ende gebracht, aber nur 30 Prozent der notwendigen Kurse neu gestartet werden.
epd: Wie viele Kurse bieten die VHS-Träger derzeit an? Wie viele Teilnehmer sind gemeldet? Und wie ist der tatsächliche Bedarf?
Rex: Die Volkshochschulen bieten rund 45 Prozent aller aktuell laufenden Integrationskurse an. Die genauen Teilnahmezahlen kann aber nur das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ausweisen, weil sie nicht trägerspezifisch erfasst werden. Der tatsächliche Bedarf geht schon jetzt weit über das hinaus, was angeboten werden kann. Insbesondere in ländlichen Räumen gibt es oft lange Wartezeiten, im Durchschnitt müssen sich Bewerber rund 20 Wochen gedulden. Auch hier sind die geplanten Kürzungen des Bundesinnenministeriums zur Fahrtkostenerstattung absolut kontraproduktiv. Wegen der Folgen des Ukraine-Krieges wurden die Kapazitäten von den Anbietern massiv ausgebaut haben, die Zahl der Kursplätze hat sich bundesweit in kürzester Zeit fast verdoppelt. Diese Situation würde sich natürlich weiter verschärfen, wenn aus budgetären Gründen keine neuen Kurse mehr starten könnten.
epd: Wie sehen die Kurserfolge aus?
Rex: Aktuell schließen über 90 Prozent der Teilnehmenden den Kurs mit Bestehen des Deutsch-Tests für Zuwanderer (DTZ) auf den Sprachniveaus A2 oder B1 ab - und das, obwohl der Anteil kriegstraumatisierter Teilnehmerinnen und Teilnehmer zuletzt deutlich angestiegen ist.
epd: Momentan stehen die Integrationskurse im Fokus, aber fehlt nicht auch Geld für spezielle, sich anschließende Sprachkurse?
Rex: Ja, es fehlen auch Mittel für die Berufssprachkurse. Angesichts des Fachkräftemangels sollte das Ziel B1 von möglichst vielen Zuwanderern erreicht werden, damit eine gelungene Integration in den Arbeitsmarkt auf vergleichbarem Qualifikationsniveau wie im Herkunftsland möglich ist. In vielen Berufen ist jedoch ein höheres Sprachniveau nötig, das durch Berufssprachkurse ebenfalls erreicht werden kann. Sie sind ein erfolgreiches Element, wie auch die OECD-Studie „Stand der Integration von Eingewanderten“ eindrucksvoll belegt. Laut dieser Erhebung ist Deutschland mit einer Erwerbstätigenquote von 70 Prozent bei Eingewanderten im Vergleich zu anderen OECD-Staaten sehr erfolgreich - durch seine staatlich geförderten Integrationsmaßnahmen, deren wesentlicher Bestandteil die Integrations- und Berufssprachkurse sind.
epd: Das Geld wird womöglich schon Ende dieses Jahres teilweise gestrichen. So sollen bereits im Dezember bisher übliche Wiederholungsstunden nicht mehr finanziert werden. Viele der 2024 gestarteten Teilnehmer werden ihre Kurse dann nicht abschließen können?
Rex: Es gibt Pläne, die sogenannten Wiederholungsstunden im Rahmen einer Änderung der Integrationskursverordnung zu streichen. Die sieht dann nur noch in wenigen Ausnahmefällen die Möglichkeit einer Wiederholung von Kursmodulen im Umfang von maximal 300 Unterrichtseinheiten vor. Dabei ist die Möglichkeit, Kursmodule zu wiederholen, ein wichtiges Instrument, damit so viele Teilnehmende wie möglich den Integrationskurs erfolgreich beenden können und das angestrebte B1-Niveau erreichen. Gerade vom Ziel der beruflichen Integration gedacht, wäre die Einstellung der Finanzierung von Wiederholungsstunden also genau das falsche Signal.
epd: Wenn es tatsächlich so kommt, werden für 2025 nur Mittel für rund 150.000 Teilnehmende da sein. Wie viele Personen stehen dann ohne Kurs da oder müssen lange auf die Schulung warten?
Rex: Die Bundesregierung spricht im Gesetzesentwurf für den Haushalt selbst von einem Bedarf von 326.000 Teilnehmern. Das bedeutet, dass rund 180.000 Personen keinen Kurs beginnen können. Die aktuell durchschnittlichen Wartezeiten von einem halben Jahr, werden sich dann für diese Personen um ein Jahr auf dann rund 1,5 Jahre verlängern.
epd: Betroffen von den Einsparungen wären auch viele Ukrainerinnen. Einerseits möchte man diese Flüchtlinge hier in Arbeit bringen, andererseits werden die Kurse gestrichen. Das klingt nach einem sehr merkwürdigen Verständnis von Integrationspolitik.
Rex: Ja, so sehen wir das auch.
epd: Welche Folgen hätten die Kürzungspläne für die Wirtschaft?
Rex: Gravierende. Denn Basissprachkenntnisse auf dem Niveau von A2 sind nach Rückmeldung von Arbeitgebern in vielen Fällen nicht ausreichend. Personen mit diesem Sprachniveau werden zwar häufig schnell eingestellt, und zwar zumeist unterhalb des Qualifikationsniveaus ihres Herkunftslands. Dann werden sie aber aufgrund fehlender Sprachfähigkeiten auch schnell wieder entlassen, wie Statistiken der Arbeitsagentur belegen. Ein planvolles Gegensteuern gegen den Fachkräftemangel in der deutschen Wirtschaft kann so nicht gelingen. Die Erfahrungen aus der sogenannten Gastarbeitenden-Generation belegen ja gerade, dass ein „Learning on the job“ nicht gelingt. Genau aus diesem Grund wurden die Integrationssprachkurse vor 20 Jahren erfolgreich eingeführt.
epd: Viele der Lehrenden sind Honorarkräfte. Die haben keine besonderen Arbeitnehmerrechte. Wie viel Personal steht bei den Kürzungen bundesweit bei Ihnen zur Disposition?
Rex: Das exakt zu beziffern, ist sehr schwierig. Aktuell sind in Integrations- und Berufssprachkursen der Volkshochschulen rund 10.000 freiberufliche und rund 250 festangestellte Lehrkräfte tätig. Wenn im kommenden Jahr keine Mittel für neu startende Kurse zur Verfügung stehen, dann können die Lehrkräfte keine neuen Verträge erhalten. Diese Personen werden vermutlich ab Sommer 2025 ohne Arbeit sein. Gerade freiberufliche Lehrkräfte werden dann nach neuen Tätigkeitsfeldern suchen, beispielsweise in Schulen. Doch die Kürzungen an den Volkshochschulen hätte auch Auswirkungen auf fest angestellte Mitarbeitende in der Organisation, Verwaltung und Lehre, die bislang im Integrationskursbereich an Volkshochschulen tätig sind. Wenn keine Kurse im Auftrag des Bundes mehr stattfinden könnten, wären Volkshochschulen wahrscheinlich gezwungen, für diese Personen, ähnlich wie in der Corona-Pandemie, spätestens ab Sommer 2025 Kurzarbeit anzumelden.
epd: Falls doch mehr Geld bereitstehen sollte, kann das Angebot dann nicht wieder ausgeweitet werden?
Rex: Die Volkshochschulen können die Kapazitäten nicht ständig auf- und wieder abbauen, denn dafür braucht es Strukturen und insbesondere Fachkräfte. Sollte nicht bereits in diesem Jahr klar sein, ob 2025 auch neue Kurse starten können, werden sich viele Lehrkräfte umorientieren und dauerhaft für die Kursangebote nicht mehr zur Verfügung stehen. Ab- und Aufbau solcher Strukturen bindet in den Einrichtungen ungeheure Kapazitäten, die sie nicht ständig neu einbringen können. Deshalb müssen dringend dauerhafte Finanzierungsstrukturen geschaffen werden, für die wir als Verband seit Jahren gegenüber der Politik eintreten.
epd: Was genau sind Ihre Forderungen mit Blick auf den Bundesetat 2025?
Rex: Damit die von der Bundesregierung selbst bezifferten Bedarfe in Integrationskursen umgesetzt werden können, sind nach unseren Berechnungen mindestens weitere 600 Millionen Euro notwendig. Für die Berufssprachkurse ist eine mindestens eine Verdopplung der Gelder auf 620 Millionen Euro notwendig. Insgesamt benötigen Integrations- und Berufssprachkurse also rund 910 Millionen Euro zusätzlich. Aus Sicht der Volkshochschulen ist es unverständlich, dass immer auf Kosten der Teilnehmenden, Lehrkräfte und Träger gespart werden soll. Ein erhebliches Sparpotenzial sehen wir insbesondere im Abbau der Bürokratie, und dafür setzt sich der DVV seit Jahren mit konkreten Vorschlägen ein. Nach unserem Verständnis haben die meisten Zugewanderten einen Rechtsanspruch auf eine Teilnahme am Integrationskurs. Das ist im Aufenthaltsgesetzes geregelt. Wenn die Bundesregierung das Kernelement deutscher Integrationspolitik unterfinanziert, dann ist das rechtlich bedenklich. Insofern sehen wir die Bundesregierung in der Pflicht, die entsprechenden Mittel für die Kurse zur Verfügung zu stellen.