Nürnberg (epd). Es geht darum, passenden Wohnraum zu bieten. Permanenter Schutz etwa vor dem gewalttätigen Partner kann das Übergangshaus den jungen Müttern oder Schwangeren nicht bieten. „In unserer Einrichtung verfolgen wir einen sehr niedrigschwelligen Ansatz. Die Frauen, die hier leben, dürfen und sollen ein selbstbestimmtes Leben führen“, sagt Sophie Willoughby. Die Fragen stellte Stefanie Unbehauen.
epd sozial: Frau Willoughby, das „Übergangshaus Mutter Kind“ feiert in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Wie ist die Idee für diese Einrichtung entstanden?
Sophie Willoughby: Die Notschlafstelle der Stadt Nürnberg, das „Haus für Frauen“ war in den Jahren 2013 und 2014 derart überbelegt, dass Familien teilweise im Speisesaal untergebracht werden mussten. Damals begab sich die Stadt Nürnberg auf die Suche nach einem geeigneten Partner und einem Ort, an dem die betroffenen Mütter und ihre Kinder passend untergebracht werden können. Wichtig war, dass alles kindgerecht und mehr auf die Bedürfnisse der Familien ausgelegt ist. So ist unser „Übergangshaus“ entstanden.
epd: Worin unterscheidet sich die Einrichtung von herkömmlichen Frauenhäusern?
Willoughby: In ein Frauenhaus geht eine Frau, wenn sie akut gefährdet ist, zum Beispiel durch häusliche Gewalt. Unser Haus ist eine Einrichtung für wohnungslose Mütter und setzt nicht voraus, dass die Frauen wegen einer Trennung oder Bedrohungslage zu uns ziehen. In einem herkömmlichen Frauenhaus haben Schutz und Anonymität der Frauen oberste Priorität. Dort sind Kameras an den Eingängen und es herrschen strikte Regeln darüber, wer die Adresse des Hauses kennen darf.
epd: Bei Ihnen ist das anders ...
Willoughby: Ja. In unserem Haus können wir die Frauen nicht vor Gewalt durch beispielsweise den Ex-Partner schützen, weil wir nicht rund um die Uhr besetzt sind. In unserer Einrichtung verfolgen wir einen sehr niedrigschwelligen Ansatz. Die Frauen, die hier leben, müssen einmal in der Woche einen verpflichtenden Termin bei unserer pädagogischen Beratung wahrnehmen, aber ansonsten sind sie sehr frei. Sie dürfen und sollen ein selbstbestimmtes Leben führen.
epd: Was heißt das konkret?
Willoughby: Jede Frau darf selbst entscheiden, ob sie über ihre Trennung und ihre Vergangenheit reden möchte oder nicht. Für die Frauen ist es oft eine große Umstellung und auch ein Stück weit demütigend, zum ersten Mal in so einer Einrichtung leben zu müssen, weil sie vorher eine eigene Wohnung hatten und die Kinder ihr eigenes Zimmer. Hier müssen sie sich dann plötzlich die Küche und das Bad mit anderen Familien teilen und das Schlafzimmer mit den Kindern - das ist alles eine große Veränderung. Wir lassen ihnen da erst einmal viel Freiraum. Frauen brauchen, wenn sie zur Ruhe kommen wollen, auch Freiheit.
epd: Wie kann man sich den Alltag hier vorstellen?
Willoughby: Die Frauen leben sehr selbstständig. Manche arbeiten, andere besuchen einen Deutschkurs, die Kinder gehen in die Kita und die Schule. Die Frauen müssen ihren Alltag selbst bewältigen: Lebensmittel einkaufen, kochen, Wäsche waschen, putzen. Man kann es sich vorstellen wie in einer Wohngemeinschaft. Unsere Einrichtung ist auch nicht immer besetzt. Das ist ein großer Unterschied zu Frauenhäusern. Dort ist immer jemand erreichbar.
epd: Wie nehmen die Kinder das Angebot an?
Willoughby: Das ist sehr unterschiedlich. Manche sind anfangs sehr schüchtern, andere spielen direkt mit den anderen Kindern und suchen Kontakt. Auch hier gilt dasselbe Prinzip: Sie haben viele Freiheiten und werden zu nichts gedrängt. Wir unternehmen häufig gemeinsam etwas. Manche wollen ein Rezept aus dem Internet nachkochen, andere wollen Minigolf spielen gehen oder auch mal ihre Ruhe haben.
epd: Wie viele Wohneinheiten beherbergt die Einrichtung?
Willoughby: Wir haben acht Apartments mit Wohnmöglichkeiten für jeweils zwei Familien. Wir können also insgesamt höchstens 16 Familien unterbringen.
epd: Wie ist die Auslastung aktuell?
Willoughby: Momentan sind wir voll. Das ist nicht immer so. Während der Corona-Pandemie war es eher ruhig, was wohl auch daran liegen kann, dass viele Behörden nur schwer zu erreichen waren wie beispielsweise das Jugendamt und viele Frauen aufgrund der unsicheren Lage in gewaltbehafteten Partnerschaften verblieben sind. Danach ist die Auslastung wieder deutlich angestiegen. Meistens sind alle 16 Plätze belegt.
epd: Ist die Zahl der Anfragen in letzter Zeit gestiegen?
Willoughby: Die Zahl der Frauen, die dieses Jahr aufgrund von häuslicher Gewalt hierherkamen, ist signifikant höher als in den Jahren davor. Woran das liegt, wissen wir nicht.
epd: Wie lange dürfen die Bewohnerinnen in der Einrichtung leben?
Willoughby: In der Regel bis zu sechs Monate. Danach wird der Bedarf noch einmal geprüft. Konnte trotz intensiver Suche keine Wohnung gefunden werden, kann gegebenenfalls verlängert werden.
epd: Was sind die häufigsten Gründe dafür, dass Frauen hier leben?
Willoughby: Bei den meisten ist es die Wohnungslosigkeit. Andere Frauen haben in ihrer Beziehung Gewalt erfahren und wissen nicht, wohin, wenn sie keine familiäre Unterstützung haben. Manche kamen in eine Notlage durch Wohnungsräumung, andere haben Schulden, einen Schufa-Eintrag oder ein laufendes Insolvenzverfahren, weswegen sie keine Wohnung bekommen.
epd: Was benötigen die Frauen, die hier wohnen?
Willoughby: Vor allem benötigen sie Unterstützung rund um Wohnungssuche, Finanzen und Stabilisierung.
epd: Wie sieht diese Unterstützung aus?
Willoughby: Wir helfen beim Erstellen von Accounts auf Wohnungssuchportalen, beim Ausfüllen von Unterlagen und dabei, sich wohnungssuchend zu melden. Wir geben Tipps, welche Wohnungsgröße passend ist, worauf sie achten müssen und was ein angemessener Preis ist. In seltenen Ausnahmefällen begleiten wir eine Wohnungsbesichtigung. Manchmal helfen wir dabei, die Anträge für eine Erstausstattung auszufüllen, da viele Frauen keine Möbel mehr haben. Wir sorgen in erster Linie dafür, dass die Frauen wieder alles haben, was sie zum Leben benötigen. Es gibt jedoch auch Frauen, die nicht in der Lage sind, allein zu wohnen. Da kann ein Mutter-Kind-Heim deutlich mehr Unterstützung leisten, inklusive klar definiertem Hilfeplan durch das Jugendamt.
epd: Kommen im „Übergangshaus Mutter Kind“ auch geflüchtete Frauen unter?
Willoughby: Nein, geflüchtete Frauen haben wir kaum. Das liegt vor allem daran, dass die Frauen, die hier wohnen, einen gesicherten Aufenthaltsstatus benötigen. Wir haben jedoch viele Frauen mit Migrationshintergrund aus den unterschiedlichsten Ländern. Ich denke, das liegt daran, dass diese Frauen häufiger in einer traditionellen Partnerschaft leben, in der der Mann das Geld verdient und sich um Verträge und Versicherungen kümmert und die Frau den Haushalt und die Kindererziehung übernimmt. Wenn sich die Frau dann trennen will, zieht sie oft den Kürzeren und steht ohne Geld, Wohnung und Arbeit da. Männer machen dann häufig auch Druck, drohen damit, den Frauen das Sorgerecht wegnehmen zu lassen.
epd: Wie geht es für die Frauen nach dem Auszug aus dem Übergangshaus weiter?
Willoughby: Viele können danach einen Neuanfang mit ihren Kindern machen, teilweise in eigenen Wohnungen und mit einem neuen Job. Manche versöhnen sich auch wieder mit ihren Männern und kehren zu ihnen zurück. Das ist nicht für jede die beste Lösung. Wenn Konflikte anhalten sind, ist es oft besser, sich zu trennen, weil sonst auch die Kinder darunter leiden.