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Familie

Interview

Expertin: Das Muttersein wird immer noch sehr verklärt




Christina Mundlos
epd-bild/Christina Mundlos/privat
Eine Mutterschaft zu bereuen, ist nach wie vor nahezu tabu. Die Soziologin Christina Mundlos hat ein Buch über "Regretting Motherhood" geschrieben. Welche Reaktionen sie dafür erhielt und vor welchen strukturellen Problemen Mütter heute stehen, erklärt sie im Interview.

Braunschwig (epd). Das Buch, so sagt Christina Mundlos im Gespräch mit epd sozial, hat ein unerschiedliches Echo ausgelöst. Viele Frauen begrüßten es, dass das Thema in die Öffentlichkeit gerückt wurde. Aber es gab auch weniger schöne Zuschriften. Die Fragen stellte Stefanie Unbehauen.

epd sozial: Frau Mundlos, Sie sind Autorin des Buchs „Wenn Mutter sein nicht glücklich macht - das Phänomen Regretting Motherhood“. Welche Resonanz erhielten Sie dazu?

Christina Mundlos: Die Resonanz zu meinem Buch ist ganz unterschiedlich. Es meldeten sich unzählige unglückliche Mütter bei mir. Viele waren erleichtert, zum ersten Mal zu merken, dass sie damit nicht allein sind. Einige hatten noch nie mit jemandem darüber gesprochen - die Älteste war inzwischen über 80 Jahre alt und hatte sich noch nie jemandem anvertraut. Darüber hinaus bekam ich aber auch Post mit Drohungen und Forderungen, zu dem Thema besser zu schweigen. Darunter waren auch fundamentalistische religiöse Schriften im Tenor „Frauen zurück an den Herd“.

epd: Frauen, die das Muttersein bereuen, berichten oft davon, dass sie sich das Leben mit Kind anders vorgestellt haben. Wird das Muttersein Ihrer Einschätzung nach in der Gesellschaft und auch in Medien oft zu sehr romantisiert und nicht realistisch genug dargestellt?

Mundlos: Das Muttersein wird immer noch sehr verklärt - auch wenn die damit einhergehenden Belastungen und Einschränkungen oder auch Gefahren hier und da mal thematisiert werden. Es bleibt letztlich auch bei der Thematisierung der negativen Seiten bei einem Kratzen an der Oberfläche, ohne dass nachhaltige Lösungen angeboten werden. So nach dem Motto: Muttersein kann auch anstrengend sein, aber ein bisschen Me-Time mit einem Tee und etwas Yoga gleichen das aus.

Einmal die Woche in Ruhe duschen zu können, ist aber kein Selfcare oder Me-Time. Und solange jede dritte Frau häusliche Gewalt erlebt, bei gemeinsamen Kindern die Gefahr besteht, bei einer Trennung die Kinder an den Täter zu verlieren, und 75 Prozent der Alleinerziehenden keinen oder zu wenig Unterhalt zur Versorgung der Kinder erhalten, solange lassen sich die Belastungen und Risiken der Mutterrolle nicht mit einem Namaste wegatmen. Da braucht es politische Maßnahmen.

epd: Die Gesellschaft hat oft hohe Erwartungen an Mütter. Viele Frauen versuchen, diesen gerecht zu werden, und haben dadurch häufig ein erhöhtes Stresslevel. Hat die gesellschaftliche Erwartungshaltung Ihrer Meinung nach einen Einfluss darauf, wieso manche Mütter ihre Mutterschaft bereuen?

Mundlos: Es gibt sowohl die Erwartungshaltung, überhaupt Kinder zu bekommen, und dann auch noch alle möglichen Erwartungen daran, wie Mütter zu sein haben. Dadurch haben wir zum einen Mütter, die ganz unabhängig von den Rahmenbedingungen ihre Mutterschaft bereuen. Die Vorstellung, dass jede Frau Mutter werden will und soll, ist falsch. Dennoch wird auf Frauen ohne Kinder sehr viel Druck ausgeübt, sie müssten Kinder bekommen wollen. Eine andere Gruppe von Müttern bereut ihre Mutterschaft, da sie unter den damit einhergehenden Belastungen, Diskriminierungen und Erwartungshaltungen an die Mutterrolle leiden.

epd: Das Phänomen Regretting Motherhood ist noch relativ neu. Denken Sie, dass das daran liegt, dass Frauen heutzutage häufiger berufstätig sind und dadurch eine Doppelbelastung haben? Oder liegt es daran, dass sich erst jetzt mehr Frauen trauen, darüber zu sprechen?

Mundlos: Die Debatte über Regretting Motherhood wird erst seit rund zehn Jahren geführt. Dabei waren die Bedingungen für Mütter auch früher schon sehr schlecht. Die Problemlagen haben sich nur verschoben. Während es früher Frauen zum Beispiel nicht erlaubt war, ohne Einverständnis des Ehemanns erwerbstätig zu sein und es insbesondere in Westdeutschland auch fast keine Möglichkeiten der Kinderbetreuung gab, können Mütter heutzutage zwar erwerbstätig sein, zahlen dafür aber einen hohen Preis, da die Mehrfachbelastung größtenteils an ihnen hängen bleibt. Außerdem sind finanzielle und strukturelle Benachteiligungen damals wie heute ein großes Problem für Mütter.

Darüber zu sprechen, ist ein erster wichtiger Schritt. Jedoch müssen nun politische Maßnahmen folgen wie beispielsweise die Verbesserung der finanziellen Absicherung - ganz besonders auch von Alleinerziehenden - oder die Umsetzung der Istanbul-Konvention, damit Gewaltschutz für Mütter und Kinder kein reines Lippenbekenntnis bleibt.

epd: Welchen Rat haben Sie für Frauen, die bereits Mutter sind, aber mit ihrer Rolle oder ihren Aufgaben zu kämpfen haben? Woran können sich diese Frauen wenden?

Mundlos: Früher habe ich Müttern geraten, Mitarbeit und Entlastung vom Partner einzufordern. Inzwischen berate ich Mütter seit fast 17 Jahren und muss resignierend feststellen: Viele Väter weigern sich rigoros, sich für die Bedürfnisse ihrer Kinder verantwortlich zu fühlen. Wir haben zudem eine hohe Scheidungsquote, sodass viele Mütter früher oder später alleinerziehend sind. Die Diskriminierung von Alleinerziehenden nimmt seit Jahren immer größere Ausmaße an. Das Risiko, in Armut zu landen, oder Nachtrennungsgewalt und auch institutionelle Gewalt durch Familiengerichte und Jugendämter zu erleben, ist bei einer Trennung enorm. Daher kann ich Frauen nur noch raten, keine Kinder zu bekommen. Für Mütter bleibt mir nur der Tipp, sich mit anderen Müttern zusammenzuschließen und die Politik in die Pflicht zu nehmen.



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