sozial-Branche

Jugend

Psychische Belastung bei Kindern und Jugendlichen bleibt hoch



Rostock (epd). Auch zwei Jahre nach der Covid-Pandemie ist die psychische Belastung bei Kindern und Jugendlichen nach Expertenansicht hoch. „Heute sind es Kriege, Klimakrise und Inflation, über die sich Heranwachsende Sorgen machen“, sagte Michael Kölch, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Rostock, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Anlässlich des am 18. September begonnenen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) bezeichnete er die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen als „besorgniserregend“. Auf dem Kongress, den Kölch leitet, tauschen sich Expertinnen und Experten unter dem Titel „Krise? Wandel!“ bis zum 21. September über neue Forschungsergebnisse aus.

Obwohl die Pandemie vorbei sei, habe sich die psychische Gesundheit nicht verbessert - im Gegenteil: Die Belastung von Familien, jungen Erwachsenen und Minderjährigen sei hoch geblieben, sagte der Wissenschaftler. Dies bestätigt auch eine aktuelle Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB): Demnach sei die Verschlechterungen in der mentalen Gesundheit, der körperlichen Aktivität und dem allgemeinen Wohlbefinden auch weiterhin spürbar. Während der Pandemie habe vor allem unter 11- bis 15-Jährigen die Häufigkeit von Angst- und Depressionssymptomen deutlich zugenommen. Gleichzeitig habe die körperliche Aktivität der jungen Menschen erheblich abgenommen. Eine Normalisierung lasse sich bis heute nicht feststellen, teilte das BiB am 18. September in Wiesbaden mit.

Multiple Krisen drücken auf die Gemüter

Eine Ursache sei das Gefühl, dass die Welt von multiplen Krisen beherrscht werde - sei es durch Krieg und Migration, Klimawandel und Naturkatastrophen. Vielen machten die äußere Unsicherheit und Belastung zu schaffen. „Verstärkt wird die Dauerbelastung oft durch hohen Social-Media-Gebrauch und falsche Informationen“, erklärte der 54 Jahre alte Mediziner. So könnten Influencerinnen über Instagram oder TikTok Essstörungen wie Magersucht fördern oder Falschinformationen über Migration Ängste schüren.

Zu den häufigsten psychischen Erkrankungen im Kinder- und Jugendalter zählten ADHS, depressive Störungen, Ess-, Angst- und Zwangsstörungen, selbstverletzendes Verhalten und Suchterkrankungen, sagte Kölch. Zwar könne theoretisch jeder erkranken, praktisch treffe es jedoch vor allem Heranwachsende aus ärmeren Familien: „Ihr Risiko zu erkranken ist dreimal höher als in besser gestellten Bevölkerungsschichten“, erklärte der Direktor. Es sei ein Skandal, dass sich daran in den vergangenen 20 Jahren nichts geändert habe. „Wir brauchen gezielte und niedrigschwellige Präventionsprogramme“, forderte Kölch. Denn je früher Belastungen erkannt und behandelt würden, desto besser. Nicht zuletzt sei auch die psychische Gesundheit entscheidend für gesundes Aufwachsen und eine gute Entwicklung des Heranwachsenden.

Schnelle Hilfe bekämen junge Menschen nicht immer: Gesundheits-, Schul- und Jugendhilfesysteme seien überlastet, die Wartezeiten auf einen Therapieplatz oft lang. Kölch: „'Aktuell werden die Schwächen unseres Hilfssystems sichtbar, jeder kocht nur seine eigene Suppe, wir müssen es dringend umbauen.“ Es brauche eine systemübergreifende Weiterentwicklung der Versorgung, eine bessere Vernetzung zwischen Kinder- und Jugendhilfe, Kliniken, Schulen und Therapeuten. „Nur so wird die Krise beherrschbar“, ist er überzeugt. Auch niedrigschwellige, digitale Präventionsprogramme könnten dabei eine größere Rolle spielen. Kölch: „Nicht jeder belastete junge Mensch braucht jahrelange Therapie.“

Evelyn Sander


Mehr zum Thema

Jakob hat sich nicht im Griff

Kinder, die Anzeichen einer Entwicklungsstörung oder einer Behinderung aufweisen, können vor ihrem Schuleintritt eine heilpädagogische Frühförderung erhalten. Sie ist in der Regel für die Familien kostenlos. Die Wartelisten der Frühförderstellen werden immer länger.

» Hier weiterlesen

Jung und einsam

Einsamkeit betrifft nicht nur ältere Menschen. Girls' Walks und Besuchspatenschaften zwischen Jung und Alt schaffen neue Begegnungen und können Einsamkeit entgegenwirken - auch und besonders bei jungen Menschen.

» Hier weiterlesen