

Bochum, Bielefeld. „So soll mein Tag sein“ und „So soll meine Freizeit sein“ - das sind zwei Themen aus dem Gesprächsleitfaden, der seit 2020 in der Eingliederungshilfe in NRW vorgeschrieben ist, um die individuellen Ziele von Menschen mit Beeinträchtigung zu erheben. Der Leitfaden adressiert - dem rechtlichen Auftrag der UN-Behindertenrechtskonvention und dem Bundesteilhabegesetz für Teilhabe und Selbstbestimmung folgend - die individuellen Wünsche und Bedürfnisse des Einzelnen. In vielen Gesprächen zur Teilhabeplanung bleiben diese Fragen in der Praxis jedoch unbeantwortet, weil die Klientinnen und Klienten nicht in der Lage sind, sie sprachlich zu beantworten.
Die Bedeutung von Kommunikation als menschlichem Grundbedürfnis ist für die individuelle Lebensqualität und Teilhabe unbestritten. Der Landesrahmenvertrag und das Sozialgesetz setzen für Assistenzkräfte in der Eingliederungshilfe die Fähigkeit zur Kommunikation mit den Leistungsberechtigten in einer angemessenen Form voraus. Wie kann diese Form für Menschen, die nicht oder nur eingeschränkt sprechen, aussehen, damit sie in ihrem Alltag andere verstehen und selbst verstanden werden und selbstbestimmt ihre Ziele definieren?
Im Oktober 2023, dem internationalen Monat der Unterstützten Kommunikation, ist im Bereich Wohnen und Assistenz des Ev. Johanneswerks das von der Aktion Mensch geförderte Projekt „Kommunikation und Teilhabe“ gestartet. Sein Ziel: Die Implementierung von Unterstützter Kommunikation (UK) im Johanneswerk und der Aufbau einer Beratungsstelle für UK. Entsprechend dem UK-Leitsatz „Auch wer nicht sprechen kann, hat viel zu sagen“, wird allen Klienten die Möglichkeit gegeben, sich mithilfe von UK auszudrücken und so ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
Als Unterstützte Kommunikation (UK) beziehungsweise AAC (augmentative and alternative communication) bezeichnet man alle therapeutischen und pädagogischen Maßnahmen, die Menschen helfen, sich mitzuteilen. Sie soll Personen ermöglichen, sich besser auszudrücken, wenn sie nicht gut oder gar nicht (mehr) sprechen können. Dabei kommen verschiedene Materialien und therapeutische Methoden zum Einsatz, zum Beispiel Bilder, Gebärden und sprechende Tablets (sogenannte Talker).
Das Fachgebiet beinhaltet Methoden von der Basalen Kommunikation bis zur Leichten Sprache, alle Facetten der nicht-elektronischen bis zu komplexen technischen Hilfen zur Kommunikation sowie die Mittel und Techniken für die sprechenden Kommunikationspartnerinnen und -partner zur Gestaltung eines Settings, indem für UK-Nutzende eine erfolgreiche Kommunikation und Entwicklung möglich wird. Beispielsweise auch Hilfen, die den Nutzenden Struktur geben, wie Visualisierungshilfen für die zeitliche oder räumliche Orientierung.
„Kommunikation ist ein Wesensmerkmal des Menschen - und Menschen sind soziale Wesen“, erklärt Katja Mühlmann, Geschäftsleiterin des Bereichs „Wohnen und Assistenz“ im Johanneswerk. „Mit dem Projekt möchten wir für diesen Bedarf sensibilisieren und allen Klientinnen und Klienten und Mitarbeitenden passende Wege für Kommunikation eröffnen“, sagt die Teilhabe-Expertin.
Im Ev. Johanneswerk werden Methoden der UK bereits für einzelne Klientinnen und Klienten beziehungsweise in einzelnen Bereichen ganz praktisch eingesetzt. Einige der Bewohnerinnen und Bewohner setzen Gebärden oder Kommunikationsgeräte ein. Ein Klient etwa nutzt Allora, ein Gerät, das einer Schreibmaschine ähnelt. Über die Tastatur gibt er Buchstabe für Buchstabe seine Worte ein, die er anschließend auf Knopfdruck mittels Computerstimme vorlesen lässt. Seine unwillkürlichen Hand-Bewegungen erschweren ihm dabei das zielgenaue Treffen der einzelnen Buchstaben mit dem Finger auf der Tastatur. Eine Abdeckplatte auf dem Gerät verhindert, dass er trotz dieser motorischen Einschränkungen die umliegenden Buchstaben berührt.
Eine andere Klientin erzählt stolz mit Hilfe des Easytalkpads, einem tablet-basierten Gerät mit Symbolen, vom heutigen Einkauf. „Dienstag - Taschengeld - Einkaufen - selber“ sagt der Talker für sie, während sie zufrieden das eben gekaufte Erfrischungsgetränk genießt.
Tages- und Wochenpläne mit Symbolen an zentraler Stelle in den Wohnbereichen bieten Klientinnen und Klienten darüber hinaus Orientierung bezüglich der anstehenden Aktivitäten. Einen Überblick über die Tagesstruktur zu haben, ist für viele Klientinnen und Klienten wichtig. Es ist grundsätzlich notwendig, regelmäßig mit den Hilfsmitteln zu arbeiten, um den Umgang damit zu verfestigen - ähnlich wie beim Erlernen einer Fremdsprache. Deshalb muss für eine gelungene Kommunikation auch das Umfeld miteinbezogen werden.
In den kommenden fünf Jahren schafft das Projekt nun die Rahmenbedingungen und Strukturen, damit das Qualitätsmerkmal UK flächendeckend im Johanneswerk und seinem angrenzenden Sozialraum wirken kann. Beispielsweise durch Sicherung und Weitergabe von UK-Wissen an alle Mitarbeitenden und Etablierung und Sicherstellung eines definierten Prozesses zur individuellen Versorgung der Klienten mit UK.
Dazu entsteht gerade eine Beratungsstelle für UK. Die im Aufbau befindliche Anlaufstelle hilft Personen mit UK-Bedarf bei der Auswahl geeigneter Materialien und unterstützt bei der Beantragung von Hilfsmitteln. Sie berät und begleitet UK-Nutzende und ihr Umfeld bei der erfolgreichen Integration von UK in den Alltag.
Gelingende Kommunikation ist der zentrale Faktor für Teilhabe in allen Aktivitäten und Lebensbereichen. Unterstützte Kommunikation braucht daher bundesweit nachhaltige Finanzierungsstrategien in der Eingliederungshilfe - über vereinzelte Projektmaßnahmen von Trägern wie dem Johanneswerk hinaus, um zu verhindern, dass die aufgebauten, niedrigschwelligen Zugänge für Klientinnen und Klienten und deren Umfeld mit dem Ende der Projektförderung eingestellt werden müssen.