sozial-Recht

Bundesarbeitsgericht

Negative Gesundheitsprognose kann Kündigung begründen




Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
epd-bild/Norbert Neetz
Häufige, ausgeheilte Kurzzeiterkrankungen eines Arbeitnehmers können auf seine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hinweisen. Besteht deshalb nachweislich eine negative Gesundheitsprognose, kann eine Kündigung gerechtfertigt sein, urteilte das Landesarbeitsgericht Rostock.

Rostock (epd). Häufige und unterschiedliche Kurzerkrankungen eines Arbeitnehmers können ein Hinweis für eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit sein und so eine negative Gesundheitsprognose begründen. Ist der Arbeitgeber mit den vor diesem Hintergrund zu erwartenden Kurzerkrankungen erheblich wirtschaftlich belastet, kann er dem Arbeitnehmer aus personenbedingten Gründen kündigen, stellte das Landesarbeitsgericht (LAG) Mecklenburg-Vorpommern in Rostock in einem kürzlich veröffentlichten Urteil vom 7. Mai 2024 klar. Das könne auch dann gelten, wenn die einzelnen Erkrankungen des Arbeitnehmers zwar ausgeheilt sind, aber dennoch in Zukunft mit einem erneuten Auftreten zu rechnen ist.

Im Schnitt 40 Tage jedes Jahr krank

Im konkreten Fall war der heute 50-jährige Kläger zuletzt als Maschinenbediener in einem Unternehmen der Brot- und Backwarenindustrie tätig. In den Jahren 2018 bis 2022 war er wiederholt kurzzeitig krank, häufig etwa an einer akuten Bronchitis, die er auf schlechte Lüftungsbedingungen am Arbeitsplatz zurückführte. Aber auch wegen regelmäßigen Gelenk- und Rückenschmerzen fiel er aus. Durchschnittlich fehlte er jedes Jahr an 40 Tagen im Betrieb. Wegen der Kurzzeiterkrankungen musste der Arbeitgeber jedes Mal Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten, meist zwischen 7.000 und knapp 8.500 Euro jährlich. Um den Arbeitsausfall auszugleichen, musste der Arbeitgeber zudem auf Leiharbeitskräfte zurückgreifen.

Das Unternehmen bot dem Kläger mehrfach ein betriebliches Eingliederungsmanagement an, welches der Beschäftigte aber nur einmal in Anspruch genommen hatte. Er war weiter häufig für kurze Zeit krank. Als der Mann nach einer Erkrankung im Oktober 2022 das Angebot eines betrieblichen Eingliederungsmanagements erneut ablehnte, kündigte der Arbeitgeber dem Kläger wegen der häufigen Kurzzeiterkrankungen ordentlich und fristgerecht zum 30. Juni 2023.

Negative Gesundheitsprognose

Wegen der Fehlzeiten von durchschnittlich 40 Tagen pro Jahr bestehe eine negative Gesundheitsprognose, so die Begründung. Es sei mit weiteren, häufigen Kurzzeiterkrankungen zu rechnen, die nicht nur teuer für die Firma seien, sondern auch die betrieblichen Abläufe erheblich stören, so das Unternehmen.

Der Kläger hielt die Kündigung dagegen für sozial ungerecht. Die Erkrankungen seien weitgehend ausgeheilt. Die Infektionen der oberen Atemwege gingen auf die Lüftungsverhältnisse am Arbeitsplatz und auf die Corona-Pandemie zurück, gab er an.

Das LAG erklärte die Kündigung für wirksam. Häufige Kurzerkrankungen könnten nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) eine personenbedingte Kündigung begründen. Voraussetzung sei eine negative Gesundheitsprognose, nach der künftig mit häufigen Kurzzeiterkrankungen und einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zu rechnen sei, so das LAG unter Verweis auf die BAG-Rechtsprechung.

Dem Arbeitgeber muss eine Weiterbeschäftigung unzumutbar sein

Die obersten Arbeitsrichter hatten bereits am 20. März 2014 entschieden, dass die Fehlzeiten in einem Zeitraum von mehr als sechs Wochen im Jahr zu Betriebsablaufstörungen oder zu Entgeltfortzahlungen führen müssten, um eine Kündigung begründen zu können. Dem Arbeitgeber müsse eine Weiterbeschäftigung unzumutbar sein, hieß es zur Begründung.

Die häufigen, verschiedenen Kurzzeiterkrankungen würden im vorliegenden Fall eine negative Gesundheitsprognose begründen, so das LAG. Zwar könne eine Erkrankung für die Prognose unberücksichtigt bleiben, wenn diese ausgeheilt sei. Das sei etwa bei einer Zahnerkrankung des Klägers der Fall gewesen.

Verweis auf hohe Kosten durch Ausfälle

Bestehe jedoch die Gefahr, dass bei einer ausgeheilten Krankheit mit einem erneuten Auftreten zu rechnen ist, könne das auf eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit hinweisen, wie etwa bei Atemwegsinfekten. Das künftige Auftreten verschiedener, kurzzeitiger Erkrankungen sei bei dem Kläger wahrscheinlich. Wegen der negativen Gesundheitsprognose und den hohen zu erwartenden Kosten für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und den Einsatz von Leiharbeitnehmern sei der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber nicht mehr hinnehmbar - und die Kündigung folglich wirksam.

Welcher Zeitraum der häufigen Kurzzeiterkrankungen berücksichtigt werden muss, um daraus eine Gesundheitsprognose erstellen zu können, hatte das BAG am 25. April 2018 entschieden. Danach ist regelmäßig ein Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich.

Das Arbeitsgericht Heilbronn urteilte am 21. März 2023, dass eine Kündigung wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen sozial ungerechtfertigt sein könne. Je länger ein Arbeitnehmer in der Vergangenheit ohne krankheitsbedingte Fehlzeiten beschäftigt war, desto eher sind vom Arbeitgeber häufige Kurzzeiterkrankungen in jüngster Zeit hinzunehmen. Das gilt umso mehr, wenn die Erkrankungen des Arbeitnehmers auf die schwere Arbeit zurückzuführen sind und der Beschäftigte kurz vor der Rente steht, befand das Arbeitsgericht.

Az.: 5 Sa 56/23 (Landesarbeitsgericht Rostock)

Az.: 2 AZR 825/12 (Bundesarbeitsgericht, Fehlzeiten pro Jahr)

Az.: 2 AZR 6/18 (Bundesarbeitsgericht, Referenzzeitraum)

Az.: 8 Ca 328/22 (Arbeitsgericht Heilbronn)

Frank Leth