sozial-Branche

Jugendhilfe

Gastbeitrag

Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe unter Druck




Daniela Surmann und Carsten Feltkamp
epd-bild/Caritas Münster
Die Leistungsfähigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe stößt in Teilen an Grenzen und das hat Konsequenzen - bis hin zur Sicherung des Kinderschutzes. Daniela Surmann und Carsten Feltkamp, beide hauptamtlich tätig in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe bei der Caritas für das Bistum Münster, thematisieren in ihrem Gastbeitrag für epd sozial, wie Kinderschutz trotz knapper Ressourcen gewährleistet werden kann.

Laut Artikel 19 der UN-Kinderrechtskonvention hat jedes Kind ein Recht darauf, vor Gewalt geschützt zu werden. Mit der Ratifizierung dieser Konvention hat sich Deutschland dazu verpflichtet, alle geeigneten juristischen, sozialen und pädagogischen Maßnahmen zu ergreifen, um Kinder vor jeglicher Form der Gewaltanwendung, Misshandlung und Verwahrlosung zu bewahren. In diesem Kontext hat die Kinder- und Jugendhilfe eine zentrale Rolle als Teil der Verantwortungsgemeinschaft.

Dieses Recht in der Kinder- und Jugendhilfe sicherzustellen, stellt die Träger und Mitarbeitenden in den Einrichtungen derzeit vor große Herausforderungen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Steigende Bedarfe, komplexere Hilfeverläufe, der Fachkräftemangel und unzureichende Finanzierungen in den verschiedenen Arbeitsbereichen seien hier beispielhaft genannt.

Hochspezifische Bedarfe

Im Bereich der Inobhutnahme ist die Situation besonders prekär. Von bis zu 40 Anfragen von Jugendämtern innerhalb einer Woche berichtet eine Einrichtung der Erziehungshilfe der Caritas im Bistum Münster. Fast alle muss die Einrichtung ablehnen, denn jeder Platz sei belegt. Hinzu kommen immer mehr herausfordernde Kinder und Jugendliche mit hochspezifischen Bedarfen, für die passende Anschlusshilfen fehlen.

Im Bereich der Kindertageseinrichtungen sorgen Personalausfälle dafür, dass Mitarbeitende in den Kitas an Belastungsgrenzen stoßen und ihr professionelles Handeln durch Überlastungssituationen gefährdet ist. Weil viele Stellen in den Beratungsdiensten der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe unbesetzt sind, können nicht alle Familien benötigte Unterstützungsangebote erhalten.

Zeugnis für die Relevanz der Thematik auch auf öffentlicher Trägerseite ist darüber hinaus der Anfang April 2024 durch die Bundesarbeitsgemeinschaft Allgemeiner Sozialer Dienst (BAG ASD) und SOS-Kinderdorf einberufene Nationale Kinderschutzgipfel in Berlin, der auf die prekäre Lage der Jugendämter hingewiesen hat. Der Fachkräftemangel trifft vor allem auch die öffentliche Jugendhilfe. Dadurch wird mehr und mehr die Wahrnehmung des staatlichen Schutzauftrages gefährdet. In dieser Überlastungssituation bleibt häufig nur noch Zeit für „dringliche“ Fälle. Was geht dadurch verloren? Was heißt das für die übrigen Fälle?

Qualitätsstandards werden abgebaut

Mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) und dem Landeskinderschutzgesetz NRW hat der Gesetzgeber weitere wichtige Grundlagen gelegt, um den Kinderschutz zu verbessern. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Herausforderungen sind diese jedoch letztlich nur so gut, wie die vorhandenen Ressourcen die tatsächliche Umsetzung der Maßnahmen ermöglichen.

Ist als Reaktion auf diese Entwicklungen also der Abbau von Qualitätskriterien (Standards) also unabdingbarer Teil der (unbequemen) Lösung? Fakt ist: Er passiert bereits. Beispiele dafür sind die Maßnahmenpakete der Landesjugendämter der Landschaftsverbände Westfalen und Rheinland (LWL und LVR) aus 2023 oder die Änderungen in der Personalverordnung im Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder. Die Auswirkungen auf die Praxis vom Einsatz neuer Berufsgruppen und sogenannter B-Kräfte, also ungelernter Kräfte, sind dabei noch nicht abschließend einzuschätzen. Zeigen wird dies wohl erst eine wissenschaftliche Begleitung der Maßnahmen.

Wie gelingt es den Akteuren der Kinder- und Jugendhilfe unter diesen schwierigen Bedingungen dennoch handlungsfähig zu bleiben? Diese Frage beschäftigte auch Teilnehmende einer Kinder- und Jugendhilfekonferenz im Bistum Münster. Tilman Fuchs, Dezernent für Schule, Kultur, Sport, Jugend und Soziales des Kreises Steinfurt, gab in einem Vortrag Einblick in eine mögliche strategische Perspektive. „Bei der Suche nach Lösungsansätzen müssen wir die Aufgabe und Verantwortung der Eltern für ihre Kinder als wichtige Ressource stärker in die Diskussion bringen“, sagte Fuchs. Wichtig sei, bei allen Überlegungen als freie und öffentliche Träger im Sinne der Kinder und Jugendlichen zusammenzuarbeiten.

Beteiligung von Kindern und Jugendlichen

Professor Christian Schrapper vom Institut für Soziale Arbeit (ISA) in Münster wies auf der Konferenz ebenfalls auf die Ressource Eltern und deren frühzeitige Einbeziehung und Verantwortungsübernahme hin. Darüber hinaus sei die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Hilfeverläufen ein zentrales Instrument, das in Zukunft noch besser genutzt werden könnte. „Gut geschützt fühlen kann sich nur, wer gut beteiligt wird“, sagte Schrapper.

Kinderschutz muss dabei grundsätzlich inklusiv gedacht werden, um den Schutz für alle zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang sollte der Blick immer wieder neu auf das sich verändernde Klientel und die damit einhergehenden neu zu bewertenden Risikofaktoren gerichtet werden. Gekoppelt mit Wissen über besonders vulnerable Gruppen bildet dies die fachliche Basis, um effektive Schutzkonzepte zu entwickeln. Laut Statistischem Bundesamt waren vier von fünf aller 62.300 von einer Kindeswohlgefährdung betroffenen Kinder jünger als 14 Jahre, etwa jedes zweite sogar jünger als acht Jahre. Nicht aufgeführt ist das nochmals höhere Gefährdungsrisiko für Kinder- und Jugendliche mit Behinderung.

Den Kinderschutz auch unter den derzeitigen Rahmenbedingungen sicherzustellen, kann nur als Verantwortungsgemeinschaft von Eltern, Trägern, Kommune, Land und Bund gelingen. Allein mit Geld sind die Herausforderungen nicht zu bewältigen. Auch schlichtweg mehr von dem, was jetzt ist, wird nicht den gewünschten Erfolg erzielen. Vielmehr braucht es vor allem auch Mut, Dinge anders und neu zu denken, ohne dabei wichtige fachliche Standards, die über Jahre aus gutem Grund entwickelt und etabliert wurden, ohne Weiteres über Bord zu werfen.

Es braucht noch bessere Vernetzung der Akteure im Sinne der Verantwortungsgemeinschaft sowie sozialraumorientierte, neue Konzepte und Angebote, gerade auch für systemherausfordernde Kinder und Jugendliche. Strategische Bemühungen zur Fachkräftegewinnung und -bindung müssen ganzheitlich sämtliche Bereiche der Kinder- und Jugendhilfe berücksichtigen. Präventive Einflussmöglichkeiten müssen ebenso geprüft werden wie die Möglichkeiten, durch den Abbau von Bürokratie Ressourcen freizusetzen. Letztlich müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, um das Recht auf Schutz für alle Kinder und Jugendlichen (weiter) sicherzustellen.

Daniela Surmann ist Bereichsleiterin Kinder-, Jugend-, und Familienhilfe bei der Caritas für das Bistum Münster. Carsten Feltkamp ist Referent für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe bei der Caritas für das Bistum Münster.