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Diakonie: Schleppende Bürokratie behindert Jobintegration




Tetiana aus Odessa (Ukraine) bereitet das Frühstück für die Hotelgäste des Cocoon Hotels in München vor (Archivbild)
epd-bild/Matthias Balk
Langwierige Anerkennungsverfahren, befristete Arbeitserlaubnisse, fehlende Sprachkurse: Die Mängelliste bei der Integration von Geflüchteten in den deutschen Arbeitsmarkt ist lang. Diakonische Unternehmen fordern, die Zugänge zum Jobmarkt flexibler zu gestalten.

Berlin, Leipzig (epd). Die Erfahrungsberichte diakonischer Unternehmen sind eindeutig: Bei der Integration von Geflüchteten in den hiesigen Arbeitsmarkt liegt manches im Argen. Viele der auftauchenden Schwierigkeiten sehen die Personalchefs in der Bürokratie und dem langsamen Arbeiten der Behörden begründet. „Wir haben überall Fachkräftemangel und viele qualifizierte Flüchtlinge. Dennoch kriegen wir es nicht hin, die Zugänge zum Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und zu vereinfachen“, kritisiert der Vorstandsvorsitzende des Verbandes diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD), Ingo Habenicht.

Bei einem Treffen wurden jüngst acht „Hemmnisse“ identifiziert, die der zügigen Arbeitsaufnahme von oft gut qualifizierten Geflüchteten im Wege stehen. Es gebe hierzulande viel Verbesserungsbedarf, so Habenicht unter Verweis auf die Nachbarländer Polen und Tschechien. Dort seien bereits zwei Drittel der Ukrainer in Arbeit. In Deutschland liege der Wert bei nur 26 Prozent. Habenicht, dessen Verband die Interessen von 195 Mitgliedsunternehmen und Regionalverbänden mit rund 562.000 Beschäftigten vertritt, betont, diakonische Unternehmen wollten mehr geflüchtete Menschen als Arbeits- und Fachkräfte gewinnen, sähen aber auch in der zunehmender Fremdenfeindlichkeit einen Grund für das häufige Scheitern.

Überall Probleme mit der Bürokratie

Wer die Berichte der Unternehmen hört, stößt immer wieder auf identische Erfahrungen: Anerkennungsverfahren für den Nachweis der beruflichen Qualifikation dauern zu lange, Stellenvergaben werden durch befristete Aufenthaltserlaubnisse erschwert, Bildungsgutscheine werden oft nur verspätet und dann sehr kurzfristig vergeben und es fehlt an einer ausreichenden Zahl an Plätzen in den Sprachkursen.

Auch die „Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland“ (ZWST) beklagt den großen Aufwand der Berufsanerkennung von Geflüchteten. „Viele Ukrainer, die zu uns gekommen sind, sind Akademiker und könnten hier auch in ihren Berufen arbeiten, vorausgesetzt ihre Abschlüsse würden anerkannt“, sagte der Leiter des Berliner Büros der ZWST, Günter Jek, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die Anerkennung eines Abschlusses dauere in Deutschland jedoch zwei bis fünf Jahre. „Die meisten Flüchtlinge kommen nicht mit einer dreifach beglaubigten Kopie ihrer Abschlüsse, sondern mit einem USB-Stick“, sagte er. Ukrainische Geflüchtete könnten seiner Meinung nach helfen, den Fachkräftemangel in Deutschland zu beheben. „Anstatt dass wir diesen Fachkräften eine Autobahn bauen, stellt unsere Bürokratie ein Tempo-30-Schild auf“, betonte Jek.

Johanniter legen Projekt zur Jobintegration auf Eis

Bei der Johanniter-Unfallhilfe führte der Bürokratiefrust schon so weit, dass ein erfolgreiches Programm zur Arbeitsmarktintegration zunächst auf Eis gelegt wurde. Seit 2019 hatten sich an der Johanniter-Akademie in Leipzig in sogenannten Zielkursen 73 Personen zur Pflegehilfskraft oder für den Rettungssanitätsdienst qualifizieren lassen, zwei Arbeitsfelder, in denen die Johanniter dringend Personal brauchen. Der letzte Kurs endete im Mai.

„Das Ziel war beim Start, Geflüchteten, die schon hier leben, den Einstieg in die Berufsfelder Pflege und Rettungsdienst zu ermöglichen“, berichtet Antje Zajonz, die an der Johanniter-Akademie in Leipzig die Arbeitsintegration für Migranten leitet, gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Das Ganze wurde niedrigschwellig und ohne große Hürden angeboten“, so Zajonz. Später wurde das Kursangebot, zu dem auch berufsbezogener Deutschunterricht gehört, auf alle Migranten ausgeweitet. Die Absolventen seien dann in der Lage, eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit auszuüben oder, was an der Akademie ebenfalls möglich sei, eine qualifizierte Ausbildung zu machen.

Warum aber wurde das Projekt nun gestoppt? Da kommt das zuständige Jobcenter ins Spiel. Es muss für alle auf ihren Willen und ihre Fähigkeit von Antje Zajonz geprüften Teilnehmer Bildungsgutscheine bewilligen, denn nur so ist die Kostenübernahme gesichert - und die Kurse rechnen sich auch für die Akademie. „Dann gehen die Unterlagen ans Jobcenter und wir warten auf deren Zustimmung und die Bewilligung der Bildungsgutscheine.“ Das sei aber immer sehr schwierig gewesen, so die Expertin. „Das sind immer Einzelfallentscheidungen, die man nicht versteht und die auch nicht transparent gemacht werden“, weder für uns als Bildungsträger noch für die Teilnehmer. Manche Sachbearbeiter bestünden auf einem vorgeschalteten psychologischen Test, andere wollen zuvor das Sprachniveau B2 nachgewiesen sehen. „Es gab immer wieder Gründe, die Finanzierung abzulehnen.“

Langes Warten auf Bildungsgutscheine

Das Hauptproblem war, dass die Wartezeiten für die Bildungsgutscheine immer länger wurden, und diese dann oft auch sehr kurzfristig bewilligt wurden: „Das war für uns dann nicht mehr zu handhaben“, so die Koordinatorin. Denn die Akademie brauche Vorlauf, um die Kurse zu organisieren und vor allem das Lehrpersonal rechtzeitig vertraglich zu binden. Zajonz bedauert das Aus für die Kurse: „Es ist wirklich schade, denn wir konnten den Geflüchteten wirklich helfen, beruflich neu Fuß zu fassen. Das Interesse war da, und das ist es immer noch.“

Hinzu kämen Nachteile des Föderalismus: „Ein ausländischer Realschulabschluss, der in Sachsen-Anhalt anerkannt wurde, gilt trotzdem nicht in Sachsen. Das bedeutet, die betreffende Person muss das Verfahren andernorts noch mal machen und bis zu einem Jahr warten.“

Regine Kracht, Integrationskoordinatorin im Agaplesion Diakonieklinikum Hamburg, berichtet, dass sich die Berufsanerkennung bis zu einem Jahr hinziehen könne. Zudem bestehe die Gefahr, dass dringend benötigte qualifizierte Fachkräfte angesichts von Fremdenfeindlichkeit und Rechtspopulismus erst gar nicht nach Deutschland kämen.

Anerkennung von Zeugnissen dauert ein halbes Jahr

Auch bei der Diakonie Michaelshoven hat man oft bürokratische Hürden zu überwinden, vor allem dann, wenn Zeugnisse fehlen. „Wer flüchten muss, denkt natürlich nicht dran, dass er noch sein Schulzeugnis mitnehmen muss. Und wenn man es doch hat, dauert die Zeugnisanerkennung rund ein halbes Jahr“, berichtet Petra Breitenbach, Leiterin für Förderprojekte. Gemeinsam mit anderen Trägern hat sie im Projekt „MyTurn“ seit 2019 mehr als 400 Frauen fit für den Arbeitsmarkt gemacht. Etwa jede vierte hat danach einen Ausbildungsplatz, einen Job oder eine Qualifizierung erhalten.

Aus ihrer Sicht besonders problematisch sei jedoch, dass die Ausländerbehörden meist nur befristete Arbeitserlaubnisse erteilten. Die Folge: Wenn eine Erlaubnis ausläuft, kriegt man keine Stelle. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass sie verlängert wird. „Hier wäre eine ergänzende Formulierung auf der Arbeitserlaubnis hilfreich, die den Unternehmen mehr Rechtssicherheit geben könnte“, sagt Breitenbach.

Eine der wesentlichen Voraussetzungen, um Zugang zum Arbeitsmarkt zu erhalten, sind ausreichende Sprachkenntnisse: „Hier wären mehr Alphabetisierungskurse und Plätze in Integrationskursen sinnvoll, um die grundständigen Deutschkenntnisse zu erreichen“, sagt Ulrike Haas, Leitung Geschäftsfeld Jugendhilfe bei der BruderhausDiakonie in Reutlingen. Zudem bräuchte es ausreichend Angebote für Geflüchtete mit Trauma-Erfahrungen. „Wir haben festgestellt, dass Menschen mit psychischer Belastung den Kurskonzepten nicht immer standhalten können“, berichtet ihre Kollegin Ingrid Gunzenhausen. Daher plane man nun die Einrichtung eines „traumasensiblen Sprachcafés“ als Modellprojekt.

Frauen aus muslimischen Ländern oft im Nachteil

Erfahrungen von Ausgrenzung machen potenziellen ausländischen Fachkräften oft schwer zu schaffen. Bei der Jobsuche sind vor allem Frauen aus muslimischen Herkunftsländern benachteiligt: „Wer ein Kopftuch trägt, findet schwerer einen Job - ob bei kirchlichen Trägern oder auch bei nicht-kirchlichen“, stellt Zajonz fest. Wilhelm Dräxler, Referent für Migration beim Caritasverband München, kennt diese Schwierigkeiten: „Das individuelle Schicksal wird in der Bürokratie leider nicht gesehen. Das zermürbt die Menschen. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind ein No-Go. Da müssen wir klare Kante zeigen.“

Doch bei aller Kritik an den bestehenden Zuständen gebe es immer wieder auch Lichtblicke, wenn geflüchtete Menschen Arbeit in der Diakonie fänden, betont der Verband. Michael Kashour zum Beispiel, der 2015 aus Syrien nach Deutschland floh. Der gelernte Bankkaufmann und Schauspieler absolvierte zwischen 2017 und 2020 die Ausbildung zum Erzieher an der Hephata-Akademie im hessischen Schwalmstadt. Heute leitet er eine Wohngruppe für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bei dem diakonischen Träger, der aktuell 43 Personen mit Fluchthintergrund Arbeit gibt.

Dirk Baas


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