sozial-Branche

Pflege

Fachverband: Mehr Hilfen für pflegende Angehörige unverzichtbar




Carolin Favretto
epd-bild/Bundesvereinigung der Senioren-Assistenten Deutschland
Professionelle Senioren-Assistenzen könnten mehr Hilfen für daheim Pflegende anbieten. Doch es fehlt an der Refinanzierung durch die Pflegekassen. Und auch der föderale Regelungsdschungel bremst die Dienste aus, berichtet Carolin Favretto, Vorsitzende des Vorstandes der Bundesvereinigung der Senioren-Assistenten Deutschland, in ihrem Gastbeitrag für epd sozial.

In Deutschland gibt es aktuell rund 5,2 Millionen Menschen mit einem Pflegegrad. Davon werden etwa 84 Prozent zu Hause versorgt - die meisten von Partnern, Verwandten oder Freunden. Deutschlands größter Pflegedienst sind damit die Angehörigen. Was wäre, wenn der größte Pflegedienst unseres Landes streiken würde? Wenn jede und jeder pflegende Angehörige ihren oder seinen Pflegling nur für einen Tag vor den Toren eines Seniorenheims in der Nähe „parkt“? Und: Würde das die Politik dazu bringen, über den Tellerrand zu schauen und Senioren-Assistenzen als unverzichtbaren Bestandteil in der häuslichen Versorgung bundesweit einheitlich anzuerkennen, damit unsere alternde Bevölkerung gut versorgt wird?

Die derzeitige Gesetzeslage ist dazu eindeutig, denn in Paragraf 3 SGB XI heißt es: Die Pflegeversicherung soll mit ihren Leistungen vorrangig die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn unterstützen, damit die Pflegebedürftigen möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können.

Es droht der demografische Super-GAU

Und doch navigiert unsere Gesellschaft in den demografischen Super-GAU. Das ist - ähnlich wie der Klimawandel - seit Jahrzehnten bekannt. Aber noch langsamer als die Konsequenzen des Klimawandels kommen die des Demografie-Wandels in den Köpfen der Politik an. Die Babyboomer werden in den nächsten Jahren in Rente gehen. Weniger Erwerbstätige müssen immer mehr Rentnerinnen und Rentner finanzieren. Die Menschen werden immer älter, und die Prognose hinsichtlich einer möglichen Pflegebedürftigkeit einer alternden Bevölkerung ist angsteinflößend: Das Bund-Länder-Demografie-Portal geht von fast sieben Millionen Pflegebedürftigen im Jahr 2060 aus. Das ist eine Steigerung von fast zwei Millionen Betroffenen gegenüber dem Jahr 2021.

Aber: Steigende Sozialabgaben möchte die Politik vermeiden - gern auch dadurch, dass Teilzeitkräfte mehr arbeiten. Schaut man sich aber an, welcher Teil der Beschäftigten in Deutschland primär in Teilzeit arbeitet, dann landet man - keine große Überraschung - bei einem primär weiblichen Bevölkerungsanteil. Frauen arbeiten anteilig deutlich häufiger in Teilzeit (50 Prozent) als Männer (13 Prozent). Durchschnittlich wenden Frauen im Durchschnitt 44,3 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit auf als Männer. Das ist genau die Zeit, die für die eigene Erwerbstätigkeit fehlt.

Care-Arbeit braucht angemessene Entlohnung

Wäre es daher sinnvoll, Care-Arbeit für Pflegebedürftige angemessen zu entlohnen? Zum Beispiel durch ein ähnliches Konstrukt wie das Elterngeld? Denn wenn die Politik auf der einen Seite weniger Teilzeitbeschäftigung möchte, aber gleichzeitig die ambulante Versorgung von pflegebedürftigen Menschen in den eigenen vier Wänden gewährleistet werden soll, dann stellt sich die Frage, wer genau denn diese Care-Arbeit leisten soll vor dem Hintergrund von Fachkräftemangel und alternder Gesellschaft. Es ist vollkommen illusorisch, dass sieben Millionen potenzielle Pflegebedürftige in Pflegeheimen versorgt werden könnten, damit Teilzeitkräfte mehr oder überhaupt arbeiten können.

Wir als Verband weisen schon lange darauf hin, dass es im existierenden Leistungsspektrum der Pflegeversicherung ungenutzte Gelder gibt, um Sorgende finanziell zu unterstützen. Es gibt ein monatliches Budget für die sogenannte Tages- und Nachtpflege (bis zu 1.995 Euro im Monat bei Pflegegrad 5), das aber nur von einem Bruchteil der Menschen, die ambulant gepflegt werden, genutzt wird. Im Jahr 2022 waren es gerade einmal 2,72 Prozent.

Milliarden Euro an Entlastungsleistungen bleiben liegen

So könnte zum Beispiel das künftige Entlastungsbudget weiter flexibilisiert werden, und zwar um genau diese Leistungen der Tagespflege, damit nicht jedes Jahr Milliarden an Betreuungsleistungen liegenbleiben, die stattdessen für die Unterstützung von Sorgenden in der Häuslichkeit eingesetzt werden könnten.

Qualifizierte Senioren-Assistentinnen und -assistenten sind es, die - im Unterschied zu den Pflege- und Haushaltsdiensten - Zeit und Geduld für individuelle Zuwendung und volle Aufmerksamkeit für ihr Gegenüber mitbringen und damit erheblich zu persönlichem Wohlbefinden und Lebensqualität beitragen. Mit Angeboten wie Erlernen von Entspannungstherapien oder Gedächtnistraining können Pflegebedürftige gefördert und Sorgende entlastet werden.

Abrechnung mit der Pflegekasse nicht möglich

Aber zur Wahrheit gehört leider auch, dass eine Unterstützung durch qualifizierte Senioren-Assistenzen bundesweit immer noch nicht einheitlich mit der Pflegeversicherung abgerechnet werden kann. Wir als Bundesvereinigung der Senioren-Assistenten beklagen, dass aktuell keine Chancengleichheit auf dem deutschen Arbeitsmarkt besteht, denn derzeit regeln 16 unterschiedliche Länderverordnungen, wer qualifizierte Angebote zur Unterstützung im Alltag gemäß § 45b SGB XI abrechnen darf. Während in einigen Bundesländern das Berufsbild der Senioren-Assistenz bereits anerkannt ist, ist das in anderen Bundesländern nur zu erschwerten Bedingungen oder gar nicht möglich.

Unsere Bundesvereinigung mit Sitz in Berlin ist die Interessenvertretung qualifizierter Dienstleister, die begleitende Alltagsunterstützung für Senioren und Menschen mit Hilfebedarf anbieten. Als Verein setzen wir uns für die Anerkennung des Berufsbildes in der Gesellschaft ein und bieten ein Beratungs- und Kompetenznetzwerk mit hohen Qualitätsansprüchen. Unser gesamter Service ist auf unserer Homepage gebündelt.

Carolin Favretto ist Vorsitzende des Vorstandes der Bundesvereinigung der Senioren-Assistenten Deutschland (BdSAD)