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Kindwärts-Gründerin: Elternliebe kennt keine Entfernungen




Annette Habert
epd-bild/Iveta Rysava
Die Initiative Kindwärts unterstützt Trennungsfamilien, indem sie bundesweit Übernachtungsplätze bei ehrenamtlichen Gastgebern am Wohnort des Kindes vermittelt. Die Organisation unterstützt auch mit Beratungsangeboten. Ein Gespräch mit Annette Habert, der Gründerin der Initiative.

München (epd). Jedes Jahr erleben in Deutschland über 130.000 Kinder die Trennung ihrer Eltern. Viele Kinder leben danach hunderte Kilometer weit entfernt von einem Elternteil. Die Initiative kindwärts vermittelt Gastgeber am Wohnort des Kindes, damit Besuche einfacher gestaltet werden können. Stefanie Unbehauen sprach mit Annette Habert, der Gründerin von Kindwärts.

epd sozial: Warum wurde die Initiative Kindwärts ins Leben gerufen?

Annette Habert: Die Zahl Alleinerziehender mit minderjährigen Kindern liegt bei knapp 1,5 Millionen. Von den rund 13 Millionen Kindern unter 18 Jahren lebten 2021 bereits 18 Prozent aller Kinder nur mit einem Elternteil im Haushalt. Viele Kinder leben nach der Trennung ihrer Eltern dann hunderte Kilometer weit entfernt von ihrem Papa oder ihrer Mama. Dafür gibt es zahlreiche Gründe. Trotz weiter Entfernung wollen beide Eltern für ihr Kind da sein. Denn Elternliebe kennt keine Entfernungen. Ein Elternteil macht sich dann monatlich auf die weite Reise zu seinem Kind, um die Bindung zu halten. Kinder brauchen ja beide Eltern. Damit das gelingt, benötigen wir ehrenamtlich engagierte Gastgeberinnen und Gastgeber am Wohnort der Kinder.

epd: Kann jeder Gastgeber werden? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

Habert: Jeder, der ab und zu Platz in den eigenen vier Wänden hat und einem anreisenden Papa oder einer anreisenden Mama eine Übernachtung anbieten möchte, kann Gastgeber werden. Wir laden auch Kindergärten und Familienzentren ein, einem Kind und dem Elternteil am Wochenende einen Raum für den Tag zu öffnen. Denn stundenlang mit dem Kind draußen unterwegs zu sein, ist für einen qualitätsvollen Umgang nur bedingt geeignet. Uns begegnen eine erstaunliche Offenheit und Großzügigkeit durch alle gesellschaftlichen Schichten und Generationen. Die Sehnsucht von Kindern, mit Mutter und Vater gut verbunden zu sein, kennt jeder. Und viele Menschen schätzen es, wenn sie quasi ganz nebenbei über Nacht die Welt von Kindern zu einem besseren Ort machen können.

epd: Wie läuft eine Vermittlung konkret ab?

Habert: Zunächst registrieren sich interessierte Gastgeber unverbindlich online. Wir nehmen persönlichen Kontakt auf und besprechen den Rahmen der Gastfreundschaft. Sobald wir die Anfrage eines anreisenden Vaters oder einer anreisenden Mutter erhalten, stimmen wir uns mit dem Gastgeber ab, ob er aktuell unterstützen kann. Dann erhält er von uns die Kontaktdaten des Gastes. Es gibt ein erstes unverbindliches Kennenlernen vor Ort, telefonisch oder per Zoom. Danach entscheidet der Gastgeber, ob er dem Vater oder der Mutter seine Türe öffnen möchte. Wir geben erst danach die Adresse des Gastgebers an den Vater bzw. die Mutter weiter. Besuchstermine werden individuell abgestimmt. In der Regel geht es um zwei Übernachtungen. Wenn sich alle gut verstehen, wird der Gastgeber für den anreisenden Elternteil exklusiv reserviert. Unsere Gastgeberinnen und Gastgeber werden von uns vor und nach der Vermittlung eines Gastes telefonisch betreut.

epd: Wie kam die Initiative zustande?

Habert: Im Jahr 2008, an einem ganz normalen Freitagmittag, vertraute sich mir der kleine Sven aus München nach der Schule mit seiner Bedürftigkeit und seinem Trennungsschmerz an. Sein Vater kam nur im Sommer und schlief dann im Auto, weil er am Umgangswochenende von weit anreiste. Die Kosten für die Übernachtung konnte er sich nicht leisten. Die Vorstellung, dass ein Kind nach dem Papa-Tag mit dem Wissen einschläft, dass sein Vater draußen auf dem Parkplatz übernachtet, hatte mich tief betroffen gemacht. Sven hatte einfach damit gerechnet, dass es für seine Sehnsucht nach Verbundensein doch irgendwen in der Welt geben würde, der ein Hoffnungsträger für neue Lösungen in seiner Familie sein könnte. Ich vermittelte den Vater an einen ehrenamtlichen Gastgeber. Bald merkte ich, dass die familiäre Situation des Jungen kein Einzelfall war und vermittelte weitere Väter. Zunächst organisierte ich die bundesweiten Vermittlungen in meiner Freizeit vom Küchentisch aus. Doch bald wurde klar, dass das Projekt einen größeren Umfang annehmen würde.

epd: Welche Konsequenz wurde daraus gezogen?

Habert: Unser bundesweit einmaliges Besuchsprogramm Kindwärts ist ein Teil der wellcome gGmbH. Das gemeinnützige Hamburger Unternehmen entwickelt seit mehr als 20 Jahren innovative Angebote für Familien und möchte Eltern damit ermutigen, sich auf das Abenteuer Familie einzulassen. Erst recht, wenn die monatliche Anreise zum Lego-Spiel oder zum Spaziergang mit dem Neugeborenen für die Eltern eine ganze Tagesreise dauert. Bisher haben wir bundesweit 1.901 Vermittlungen an ehrenamtliche Gastgeberinnen und Gastgeber durchgeführt und 26.832 Eltern-Kind-Kontakte ermöglicht, damit trotz der weiten Entfernung zwischen den Elternhäusern verlässliche Mama-Tage oder Papa-Tage möglich wurden. Seit über 13 Jahren sorgen wir dafür, dass Kinder nach einer Trennung sicher sein können: Mein Papa kommt! Meine Mama kommt! Wenn Eltern und Kinder eine Solidargemeinschaft ehrenamtlicher Gastgeber erleben, werden sie sich mit ihrer besonderen Familiengeschichte in unserer Welt willkommen fühlen können.

epd: Sie bieten neben der Vermittlung für die Trennungseltern auch Beratungsangebote an. Wie kann man sich diese vorstellen?

Habert: Fernbeziehungen sind kein Kinderspiel. Schon gar nicht für Kinder. Umgangsberechtigten fehlt der Erfahrungsaustausch mit anderen Eltern, die Tür- und Angelgespräche mit Fachkräften und in vielen Orten der Zugang zu Beratungsstellen, die am Wohnort des Kindes am Wochenende geschlossen haben. Anreisende Eltern brauchen also mehr als einen verlässlichen Übernachtungsplatz, damit Kinder auch unter multilokalen Bedingungen eine vertrauensvolle Eltern-Kind-Beziehung erleben. Wir bieten unseren anreisenden Elternteilen einen persönlichen pädagogischen Ansprechpartner, monatliche Elternbriefe, Audiodateien und digitale Elternabende. Wir haben zudem ein professionelles dreimonatiges Coaching zur Stärkung der Selbstfürsorge von Eltern eingeführt.



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München (epd). Bei Kindwärts handelt es sich um eine bundesweite Initiative, die sich an Trennungseltern richtet, die weit weg von ihrem Kind leben. Dabei vermittelt sie deutschlandweit kostenfreie Übernachtungen bei ehrenamtlichen Gastgeberinnen und Gastgebern am Wohnort des Kindes. Zudem unterstützt die Organisation die Trennungseltern mit einem pädagogischen Beratungsangebot. Kindwärts wird vom Bundesfamilienministerium und der Landeshauptstadt München gefördert. Zuvor war Kindwärts viele Jahre unter dem Namen „Die Familienhandwerker“ bekannt.

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