

Frankfurt a. M. (epd). Eingekauft wird mit dem Tablet oder dem Smartphone. Das geschieht bequem auf dem Sofa. Ausgegeben werden oft kleine Beträge: hier sieben Euro für eine Pizza, dort 20 Euro für ein Paar Sportsocken. Bezahlt wird später oder in Miniraten. Es scheint ganz leicht, kann aber übel ausgehen, warnen Schuldnerberater. „Buy now, Inkasso später“ lautet daher das Motto der bundesweiten „Aktionswoche Schuldnerberatung“, die vom 10. bis 14. Juni stattfindet.
„Seit einem Dreivierteljahr wächst bei uns die Zahl der Klienten, die sich wegen Online-Einkäufen verschulden“, sagt Mark Schmidt-Medvedev, Geschäftsführer der gemeinnützigen Gesellschaft afg worknet aus Hamburg. Damit tauche eine neue Klientel in den Schuldnerberatungsstellen auf.
Die große Gefahr beim Online-Shoppen bestehe für Verbraucher darin, die eigenen Ausgaben und Zahlungsverpflichtungen aus den Augen zu verlieren. Das könne gerade dann passieren, wenn Zahlungsanbieter wie Klarna, Riverty oder Otto Payments eingeschaltet seien. Dass es schier unmöglich ist, mit diesen Anbietern den Überblick über die getätigten Einkäufe zu erhalten, erfuhr Mark Schmidt-Medvedev kürzlich bei der Beratung einer 24-jährigen Klientin.
„Obwohl ich technikaffin bin, bekam ich über ihre App nicht heraus, wie viele Forderungen aktuell offen sind und wann die nächsten Forderungen ins Inkasso gehen“, sagte der Hamburger Berater dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mehr als 5.000 Euro waren bei der jungen Frau aufgelaufen. Ein Anruf beim Zahlungsanbieter mit der Bitte um eine Aufstellung aller Forderungen sei abschlägig beschieden worden: „Mir wurde gesagt, dass man solche Auskünfte nicht gibt.“
Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände bestätigt, dass viele Konsumenten, die über Zahlungsanbieter shoppen, irgendwann den Überblick verlieren. „Es ist nahezu aussichtslos, eine Aufstellung über alle bei einem Anbieter abgeschlossenen Zahlungsvereinbarungen zu bekommen“, erklärt die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung.
Laut Schuldneratlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform waren im vergangenen Jahr 8,15 Prozent aller privaten Haushalte überschuldet. Wie rasant die Zahlen steigen, sieht Mark Schmidt-Medvedev an der starken Nachfrage nach der offenen Beratung seiner Einrichtung: „Letztes Jahr kamen über 4.000 Leute, das waren doppelt so viel wie im Vor-Coronakrisen-Jahr 2019.“
„Sich über Bezahldienste zu verschulden, geht schnell“, sagt André Robin, Schuldner- und Insolvenzberater beim Verein „Gesellschaft für Arbeit und Soziales“ im brandenburgischen Erkner. Auch er erfährt durch seine Klienten, wie verlockend es ist, sich etwas zu bestellen, was sie erst zwei Monate später bezahlen müssen. Robin hatte erst kürzlich mit einem 20-Jährigen zu tun, der auf diese Weise zu einem Laptop und einem iPhone kam. Als die Geräte bezahlt werden mussten, war er jedoch blank. Es fielen Mahngebühren an. Fließt auch dann kein Geld, drohen hohe Inkassogebühren.
Die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung fordert vor diesem Hintergrund mehr Transparenz bei „Kauf jetzt, bezahl später“-Angeboten. Das würde sich auch André Robin wünschen. Denn er sieht, wie die Zahl derjenigen, die sich durch Online-Shopping verschulden, wächst: „Ich schätze, dass von unseren Klienten inzwischen mehr als zehn Prozent betroffen sind.“
Stefanie Aumüller von der Zentralen Schuldnerberatung Bonn hofft, dass die „Aktionswoche Schuldnerberatung“ Verbraucherinnen und Verbraucher wachrüttelt. „Das Gemeine ist, dass sich auch die Kleinstbestellungen läppern“, sagt Aumüller. Bei einem Klienten, der sich beim Online-Shopping verschuldet hat, fielen für zwei Produkte im Wert von rund 35 Euro, die er nicht bezahlen konnte, 80 Euro an Inkassokosten an. In einem anderen Fall sei aus Einkäufen im Wert von 72 Euro in einem knappen halben Jahr eine Forderungssumme von 215 Euro entstanden.
Robert Morfeld, Schuldnerberater bei der Würzburger Christophorus-Gesellschaft, hält Schulunterricht zu Finanzthemen auch deshalb für wichtig, weil jüngere Menschen regelrecht verführt würden, online über ihre Verhältnisse zu bestellen. Es werde zum Beispiel so getan, als sei ein angebotenes Produkt sehr knapp, schildert der Sozialpädagoge. Auf diese Weise würden junge Leute animiert, möglichst rasch auf den Bestellknopf zu klicken. Oder es wird mit Preisaktionen in begrenzten Aktionszeiträumen geworben. Nur wer solche Locktricks mit geübtem Blick durchschaut, könne sich davor schützen, den virtuellen Einkaufskorb vorschnell zu füllen.