Wiesbaden (epd). Deutschland gehört einer Studie zufolge in Westeuropa zu den Schlusslichtern bei der Lebenserwartung und verliert weiter an Anschluss. Betrug der Rückstand Deutschlands auf die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt im restlichen Westeuropa im Jahr 2000 rund 0,7 Jahre, so hat sich der Abstand bis 2022 auf 1,7 Jahre vergrößert, wie das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) am 22. Mai in Wiesbaden mitteilte. Das BiB untersuchte gemeinsam mit dem Max-Planck-Institut für demografische Forschung die Sterblichkeitstrends über mehrere Jahrzehnte.
„Der Beginn der 2000er Jahre markiert einen Wendepunkt in der Dynamik der Sterblichkeitsentwicklung in Deutschland“, fasste Mitautor Pavel Grigoriev vom BiB die Ergebnisse zusammen. Seitdem sei die Sterblichkeitslücke zwischen Deutschland und den anderen westeuropäischen Ländern gewachsen.
„Um Deutschlands Rückstand bei der Lebenserwartung zu verringern, müsste die Sterblichkeit gerade im höheren Alter reduziert werden“, schließt Mitautor Sebastian Klüsener, Forschungsdirektor am BiB, aus den Studienergebnissen. Handlungsbedarf sieht er insbesondere bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. So weisen internationale Vergleiche auf Aufholbedarf bei der Prävention und der Früherkennung dieser Erkrankungen hin, wie er erklärte. Ähnliches gelte für die Bereiche Tabak- und Alkoholprävention sowie gesunde Ernährung. „Hier besteht noch einiges Potenzial, um uns für den momentanen Alterungsprozess der Gesellschaft besser aufzustellen“, sagte Klüsener.
Wie aus der Untersuchung hervorgeht, konnte Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung im Jahr 1990 zunächst den Rückstand gegenüber Westdeutschland und Westeuropa erheblich verringern. Hierzu hätten auch massive finanzielle Investitionen in die Gesundheitsversorgung beigetragen.
Bis Anfang der 2000er Jahre hatte den Angaben zufolge die Lebenserwartung der Frauen in Ostdeutschland zu Westdeutschland aufgeschlossen und auch gegenüber dem restlichen Westeuropa erheblich aufgeholt. Die Männer in Ostdeutschland hätten zunächst ebenfalls den Abstand gegenüber Westdeutschland und dem restlichen Westeuropa reduziert. Allerdings sei bei ihnen im Gegensatz zu den Frauen bis heute ein Abstand von rund einem Jahr gegenüber Westdeutschland geblieben.
Seit der Jahrtausendwende haben jedoch sowohl West- als auch Ostdeutschland gegenüber den anderen Ländern Westeuropas an Boden verloren, wie es in der Studie heißt: Betrug der Rückstand von Deutschland bei der Lebenserwartung der Männer im Jahr 2000 rund 0,7 Jahre, ist dieser bis 2022 auf 1,8 Jahre angestiegen. Ein ähnliches Bild zeigt sich auch bei den Frauen: Hier vergrößerte sich der Abstand bei der Lebenserwartung von 0,7 Jahren (2000) auf aktuell 1,4 Jahre. Lediglich im ersten Pandemiejahr 2020 sei bei beiden Geschlechtern eine kurzfristige Annäherung an den westeuropäischen Durchschnitt verzeichnet worden, da die Coronasterblichkeit in Deutschland zunächst deutlich geringer ausgefallen sei als in anderen Ländern Westeuropas.
Zu dem wachsenden Rückstand Deutschlands in der Lebenserwartung tragen demnach einzelne Altersgruppen in unterschiedlicher Art und Weise bei. Während die Sterblichkeit von Menschen unter 50 Jahren im Rahmen des westeuropäischen Durchschnitts liege, sei sie bei der Bevölkerung über 65 Jahre deutlich erhöht. Bei den Frauen weisen laut Studie in Deutschland Personen im Alter ab 75 Jahren eine höhere Sterblichkeit auf als Gleichaltrige im westeuropäischen Ausland. Dagegen tragen bei den Männern insbesondere die Alter zwischen 55 und 74 Jahren zu der Differenz bei der Lebenserwartung bei.