sozial-Recht

Bundessozialgericht

Barrierefreie Wohnung: Kosten sind auf alle Bewohner aufzuteilen




Eine Rollstuhlfahrerin unterlag vor dem BSG im Streit mit dem Sozialamt über einen höheren Unterkunftskostenanteil.
epd-bild/Werner Krüper
Es gilt das "Kopfteilprinzip": Die Sozialhilfe kann behinderungsbedingte Mehrkosten für eine barrierefreie Wohnung auf alle Bewohner aufteilen, urteilte das Bundessozialgericht. Die Richter klärten zudem Kostenerstattungsansprüche für Taxifahrten zur Schule und für Rentenbeiträge für pflegende Angehörige.

Kassel (epd). Die Sozialhilfe darf die Kosten für eine barrierefreie Wohnung gleichmäßig auf behinderte und nicht behinderte Bewohner aufteilen. Nur wenn eine behindertengerechte Ausstattung der Wohnung allein dem behinderten Bewohner zuzuordnen ist und nur von ihm genutzt werden kann, kann vom Sozialhilfeträger ein höherer Unterkunftskostenanteil verlangt werden, urteilte am 8. Mai das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. In zwei weiteren Verfahren klärte der 8. BSG-Senat, unter welchen Voraussetzungen die Eingliederungshilfe einer gehbehinderten Schülerin die Taxifahrtkosten zur Schule zahlen und wann die Sozialhilfe Rentenbeiträge für pflegende Angehörige übernehmen muss.

Im ersten Verfahren hatte eine Rollstuhlfahrerin aus Essen geklagt, die neben ihrer Erwerbsminderungsrente auf Grundsicherungsleistungen im Alter angewiesen ist. Die Frau lebte im streitigen Zeitraum von Februar bis April 2017 mit ihrem erwachsenen, in Ausbildung befindlichen Sohn zusammen. Dieser war nicht auf Sozialhilfeleistungen angewiesen.

Stadt übernahm nur Kosten für Rollstuhlfahrerin

Die Stadt Essen übernahm für die 61 Quadratmeter große, barrierefreie Wohnung nur die Unterkunftskosten für die Rollstuhlfahrerin. Dabei teilte die Kommune die gesamten Unterkunftskosten nach „Köpfen“, also nach der Anzahl der Bewohner, auf. Die Klägerin erhielt damit die Hälfte der Unterkunftskosten erstattet.

Die Rollstuhlfahrerin meinte, dass ihr ein höherer Unterkunftskostenanteil zustehe. Sie sei allein wegen ihrer Behinderung auf die barrierefreie Ausstattung angewiesen, etwa im Bad oder wegen des Aufzugs im Haus. Daher müsse die Stadt für sie diesen Unterkunftskostenanteil in voller Höhe übernehmen. Die behinderungsbedingten Mehrkosten könnten nicht ihrem nicht behinderten Sohn zugerechnet werden.

Vorinstanz gab Klägerin recht

Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen gab der Klägerin recht. Die Essener Richter stellten fest, dass barrierefreie Wohnungen im Durchschnitt teurer sind als andere. Die Stadt müsse daher neben der hälftigen Übernahme der Unterkunftskosten weitere elf Prozent der Miete übernehmen.

Doch Sozialhilfeträger dürfen die Unterkunftskosten regelmäßig nach der Anzahl der Bewohner, also nach dem Kopfteilprinzip, aufteilen, urteilte nun das BSG. Dies gelte auch für barrierefreie Wohnungen, wenn die entsprechenden Einrichtungen und Umbauten von allen Bewohnern genutzt werden könnten. Dies sei hier der Fall. So sei beispielsweise der Fahrstuhl von allen Bewohnern gleichermaßen nutzbar.

Nur wenn eine besondere behindertengerechte Ausstattung konkret nur den behinderten Menschen zugeordnet werden könne, könnten höhere Kosten von der Sozialhilfe übernommen werden. Als Beispiel nannte das BSG ein notwendiges Assistenzzimmer, in dem sich Assistenzkräfte während ihrer Betreuung des behinderten Menschen aufhalten können.

Taxikosten werden übernommen

Im zweiten Verfahren sprach das BSG einer schwer gehbehinderten Schülerin 2.179 Euro für angefallene Taxifahrtkosten für den Schulweg zu. Weil die Schülerin den 1,1 Kilometer langen Schulweg weder zu Fuß noch mit dem Rad zurücklegen konnte und für sie auch kein Schülerspezialverkehr zur Verfügung gestanden hatte, müsse die Eingliederungshilfe die Taxifahrtkosten übernehmen. Denn nur so könne das Recht der Schülerin auf Teilhabe an Bildung gewährleistet werden, entschieden die obersten Sozialrichter. „Auch die Eltern werden weder mit diesen zusätzlichen Kosten belastet, noch kann von ihnen verlangt werden, die Beförderung selbst durchzuführen“, so die obersten Sozialrichter.

Im dritten Verfahren entschied das BSG, dass Sozialhilfeträger nur in engen Grenzen verpflichtet sind, Rentenbeiträge für eine angemessene Alterssicherung von pflegenden Angehörigen zu zahlen. Sei die pflegebedürftige Person nicht in der sozialen Pflegeversicherung versichert, könne sie die Erstattung von Rentenbeiträgen für die Pflegeperson nur verlangen, wenn diese voraussichtlich eine über der Sozialhilfe liegende Rente erhalten wird. Zudem dürfe während der Pflegetätigkeit keine anderweitige angemessene Alterssicherung bestehen.

Entscheidend ist die künftige Rentenhöhe

Sei die Pflegeperson verheiratet oder lebe sie in einer eheähnlichen Gemeinschaft, müsse geprüft werden, ob ihre und die von ihrem Ehepartner zu erwartenden Renten zusammen oberhalb des Sozialhilfeniveaus liegen, urteilte das Gericht. Erst dann sei der Sozialhilfeträger zur Zahlung von Rentenbeiträgen verpflichtet.

Weil üblicherweise die Pflegeversicherung für die Rentenbeiträge von pflegenden Angehörigen aufkommt, sind von dem Urteil nur Pflegebedürftige betroffen, die nicht in der Pflegeversicherung versichert sind. Das ist insbesondere bei erwerbsunfähigen oder aus dem Ausland stammenden Pflegebedürftigen der Fall.

Az.: B 8 SO 18/22 R (Barrierefreie Wohnung Rollstuhl)

Az.: B 8 SO 3/23 R (Taxifahrtkosten Schulweg)

Az.: B 8 SO 4/23 R (Alterssicherung pflegende Angehörige)

Frank Leth