Berlin (epd). Ursprünglich sollten mit dem Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) jede Menge Neuerungen in die ambulante Medizin einfließen. In sogenannten Gesundheitskiosken beispielsweise sollten nach dem Vorhaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Pflegekräfte niedrigschwellig zu Prävention und Behandlung beraten. In unterversorgten Regionen sollten sogenannte Primärversorgungszentren entstehen. In diesen sollte es neben medizinischer auch soziale Hilfe geben. Kassen und Kommunen hätten „Gesundheitsregionen“ bilden können, in denen Anbieter von Gesundheitsleistungen kooperieren und sich vernetzen.
Hausärztinnen und Hausärzte sollten vom GVSG profitieren. Für hausärztliche Leistungen etwa sollte es keine Budgetgrenze mehr geben. Zwei neue Pauschalzahlungen sollten jährlich an die Praxen gehen: eine Versorgungspauschale für chronisch Kranke und eine Vorhaltepauschale, die an Bedingungen geknüpft sein soll, zum Beispiel an Abendsprechstunden.
In einem Referentenentwurf von Mitte April waren allerdings viele der Vorschläge nicht mehr enthalten. Ärzteverbände und die FDP hatten die Gesundheitskioske als „unnötige Doppelstrukturen“ kritisiert. Von ihnen ist nun keine Rede mehr, auch nicht von Gesundheitsregionen und Versorgungszentren. Die Erleichterungen für Hausärzte blieben hingegen erhalten. Am 6. Mai konnten sich Verbände im Gesundheitsausschuss des Bundestags zu dem Entwurf äußern.
Kritik am vorliegenden Referentenentwurf kommt vom Bundesverband der AOK. Der Anspruch, die Gesundheitsversorgung in der Kommune zu stärken, sei in der aktuellen Fassung nicht mehr erkennbar, monierte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands, Jens Martin Hoyer: „Mit der Streichung der ursprünglich vorgesehenen Primärversorgungszentren und weiterer inhaltlicher Versorgungselemente wie der Gesundheitsregionen und Gesundheitskioske ist das Gesetz größtenteils substanzlos geworden.“
Die Entbudgetierung der Hausärzte werde die Beitragszahlenden 300 Millionen pro Jahr zusätzlich kosten, prognostizierte die AOK. Dabei sei vollkommen unklar, inwiefern diese Mehrkosten die Versorgung von Patientinnen und Patienten auf dem Land verbessern solle. Die vorgesehene Jahrespauschale für Hausärzte werde die Versorgung chronisch Kranker sogar verschlechtern, weil sie starke Anreize schaffe, diese Patientinnen und Patienten seltener zu behandeln.
Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege nahmen „mit Bedauern“ zur Kenntnis, dass „die wichtigsten in den bisherigen Arbeitsentwürfen für ein Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz enthaltenen innovativen Ansätze zur Weiterentwicklung der Primärversorgung in Deutschland aus dem Referentenentwurf gestrichen wurden“. Der vorliegende Gesetzentwurf werde seinem Namen nicht mehr gerecht. Die Verbände votierten dafür, die Gesundheitskioske, Primärversorgungszentren und Gesundheitsregionen wieder in den Entwurf aufzunehmen. Der freien Wohlfahrtspflege gehören beispielsweise die Diakonie, die Caritas, die Arbeiterwohlfahrt und das Deutsche Rote Kreuz an.
Auch von Leistungserbringern gab es kritische Stimmen zu den gestrichenen Vorhaben im Referentenentwurf. Der Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte veröffentlichte ein gemeinsames Positionspapier mit dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe und dem Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten. Die Dominanz von Ärztinnen und Ärzten im deutschen Gesundheitswesen müsse endlich aufgehoben werden, heißt es darin. Für Hilfsbedürftige sei es besser, wenn Beschäftigte im Gesundheitswesen multiprofessionell und auf Augenhöhe zusammenarbeiteten, anstatt sich hierarchisch gegeneinander abzuschotten und wirtschaftliche Eigeninteressen zu verfolgen. In Primärversorgungszentren sei eine solche Zusammenarbeit möglich.
Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband hingegen mahnte bei der Umsetzung des Gesetzes zur Eile. „Es gibt keine Zeit mehr zu verlieren“, teilten dessen Bundesvorsitzenden Nicola Buhlinger-Göpfarth und Markus Beier mit. „Wer sich gegen diese notwendigen Reformen stellt, der stellt sich gegen die Hausärzteschaft.“ Der Erfolg des Gesetzes entscheide maßgeblich darüber, ob es in zehn Jahren noch eine gute hausärztliche Versorgung in Deutschland gebe. Zugleich forderten die Hausärztinnen und Hausärzte Verbesserungen im Entwurf, beispielsweise bei den Pauschalen für chronisch Kranke, bei den Kriterien für eine Vorhaltepauschale und bei der Umsetzung der Entbudgetierung.
Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung drang auf die Regulierung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), die von branchenfremden Investoren gegründet werden. Von diesen gingen „erhebliche Gefahren für die Patientenversorgung aus“. Es brauche eine räumliche und fachliche Gründungsbeschränkung für die MVZ. In einer früheren Verlautbarung hatten die Zahnärztinnen und Zahnärzte kritisiert, dass die Investoren-MVZ eine „Tendenz zu Über- und Fehlversorgungen“ zeigten. Überdies siedelten sie sich bevorzugt in Großstädten und Ballungsräumen an, wo das Einkommen überdurchschnittlich sei, die aber zugleich einen hohen zahnärztlichen Versorgungsgrad aufwiesen.