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Interview

Präsidentin des Studierendenwerks: Soziale Auslese durch hohe Mieten




Beate Schücking
epd/DSW/Kay Herschelmann
Die Präsidentin des Deutschen Studierendenwerks (DSW), Beate A. Schücking, beklagt, dass viele Studierende kaum noch bezahlbaren Wohnraum finden. "Für mich findet über die Miete eine Art der sozialen Auslese statt", sagt Schücking.

Berlin (epd). Viele Studierende finden nur schwer bezahlbaren Wohnraum. Welche sozialen Folgen das hat und wie das Studierendenwerk entgegenwirken will, erklärt die Präsidentin des Werks, Beate A. Schücking im Interview des Evangelischen Pressedienstes (epd). Mit ihr sprach Stefanie Unbehauen.

epd sozial: Frau Schücking, das neue Semester hat begonnen, doch viele Studierende finden kaum noch bezahlbaren Wohnraum. An wen können sich Studierende wenden, die noch keine Bleibe gefunden haben und wie unterstützt sie das Studierendenwerk?

Beate A. Schücking: Die 57 Studierendenwerke in Deutschland tun auch dann sehr viel, wenn ihre rund 196.000 Wohnheimplätze, die sie bundesweit anbieten, belegt sind. Sie betreiben beispielsweise Online-Wohnbörsen und motivieren private Vermieterinnen und Vermieter, an Studierende zu vermieten. Zum Sommersemester ist die Nachfrage nach Wohnheimplätzen bei den Studierendenwerken etwas geringer als zum Beginn eines Wintersemesters, weil mehr als 90 Prozent aller Studiengänge im Wintersemester beginnen. Es lohnt sich, beim Studierendenwerk vor Ort zu klären, ob vielleicht noch ein Wohnheimplatz frei ist. Das Wohnheim des Studierendenwerks ist die preisgünstigste Wohnform außerhalb des Elternhauses mit einer durchschnittlichen Warmmiete von 280 Euro im Monat.

epd: Was tun Sie auf politischer Ebene, um den Bau weiterer Studierendenwohnheime voranzutreiben?

Schücking: Wir arbeiten intensiv daran, dass mehr bezahlbarer Wohnraum für Studierende geschaffen und erhalten wird. Wir konnten bewirken, dass der Bund über das Programm „Junges Wohnen“ nun zum ersten Mal seit fast 40 Jahren den Bau von Studierendenwohnheimen wieder bezuschusst. So werden in den kommenden Jahren 500 Millionen Euro Finanzhilfen jährlich allein des Bundes fließen, damit mehr bezahlbarer Wohnraum für Studierende geschaffen wird. Darüber hinaus sind die Länder dazu aufgefordert, das Programm mit eigenen Mitteln zu flankieren. Das ist ein wichtiges Aufbruchsignal und kann mittel- und langfristig etwas Abhilfe schaffen, wenn die Länder kräftig mitfördern und das Programm insgesamt verstetigt wird.

epd: Bis diese Bauprojekte realisiert werden, kann noch einige Zeit vergehen. Das Problem ist aber dringend. Woran liegt es, dass aktuell nicht mehr Studierendenwohnheime gebaut werden und Bauprojekte teilweise jahrelang ruhen?

Schücking: Zunächst einmal will ich festhalten: Die Studierendenwerke wollen bauen, und sie können bauen - übrigens sehr erfolgreich seit mehr als 100 Jahren, und heute auch unter schwierigsten konjunkturellen Entwicklungen. Sie bieten an den Hochschulen rund 196.000 Wohnheimplätze in rund 1.700 Studierendenwohnheimen. Aber sie haben als gemeinnützige, nicht-profitorientierte Organisationen mit staatlichem Sozialauftrag ein anderes Geschäftsmodell als etwa privatrechtliche Investoren. Die Studierendenwerke wollen möglichst sozialverträgliche, bezahlbare Mieten erzielen, die sich, wenn möglich, an der BAföG-Wohnkostenpauschale orientieren, die 360 Euro im Monat beträgt. Solche Mieten können die Studierendenwerke nur schaffen, wenn die staatliche Förderung stimmt und die Studierendenwerke für Neubau und Sanierung staatliche Zuschüsse bekommen.

epd: Das BAföG sieht monatlich 360 Euro für Wohnkosten vor. Dabei kostet aktuell bereits ein WG-Zimmer in München im Durchschnitt 760 Euro, bundesweit sind es 479 Euro. Wird Studieren immer mehr zu einem Privileg?

Schücking: München ist die teuerste Hochschulstadt Deutschlands. Dort müssen Studierende im Schnitt 400 Euro mehr für ein WG-Zimmer ausgeben, als das BAföG dafür vorsieht. Das ist eine Entwicklung, die mir große Sorgen bereitet. Auf dem freien Markt wird es für Studierende immer schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu finden - übrigens erst recht für internationale Studierende. Für mich findet über die Miete eine Art der sozialen Auslese statt. Die Studienwahl droht abhängig zu werden davon, wo ich mir die Miete als Student oder Studentin noch leisten kann. Zugespitzt formuliert: Die Kinder aus vermögenden Haushalten studieren an den Top-Hochschulen in den teuren Metropolen, diejenigen aus einkommensschwächeren Familien sollen aufs platte Land ausweichen - das wäre eine sozial- und bildungspolitische Bankrotterklärung. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist eine brennende soziale Frage, nicht allein für die rund 2,9 Millionen Studierenden in Deutschland. Sie konkurrieren auf den freien Wohnungsmärkten mit anderen sozialen Gruppen um den wenigen bezahlbaren Wohnraum, etwa mit jungen Familien, Geringverdienenden und älteren Menschen.

epd: Inwieweit sehen Sie hier die Bundesregierung in der Pflicht?

Schücking: Wir brauchen auf jeden Fall ein politisches Gegensteuern auf zwei Ebenen: Das Bund-Länder-Programm „Junges Wohnen“ muss verstetigt werden. Und wir brauchen dringend eine Erhöhung der BAföG-Wohnkostenpauschale sowie der BAföG-Sätze generell. Am besten wäre eine automatische Anpassung der Sätze an die Entwicklung von Preisen und Einkommen.

epd: Viele Studierende entscheiden sich aufgrund der hohen Mieten dazu zu pendeln und ziehen heute durchschnittlich später aus als noch vor einigen Jahren. Wird jungen Menschen dadurch die Möglichkeit genommen, selbstständig zu werden?

Schücking: Ja. Das Studium sollte eine Phase sein, in der man auf eigenen Füßen steht, sich in einem neuen Umfeld zurechtfindet und neue soziale Kontakte knüpft. Das ist eine prägende, wichtige Sozialisationserfahrung, weit über die Bildungsbiografie hinaus. Man kann aber den jungen Menschen, die wegen der horrenden Mieten in den Hochschulstädten auch während des Studiums im Elternhaus bleiben, keinen Vorwurf machen. Sie handeln ökonomisch und rational richtig, auch wenn ich mir als Ärztin und Psychotherapeutin für sie etwas anderes wünschen würde. Nach der 22. Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage der Studierenden, erhoben im Sommer 2021, wohnt rund ein Viertel der Studierenden zu Hause.

epd: Ab dem Wintersemester 2024/2025 soll eine Studienstarthilfe von 1.000 Euro eingeführt werden für Erstsemester aus Familien, die Bürgergeld, Wohngeld oder andere Sozialleistungen beziehen. Halten Sie das für einen guten Vorstoß, um sozialer Ungerechtigkeit entgegenzuwirken?

Schücking: Ja. Wir begrüßen dieses neue Instrument ausdrücklich. Es ist gut, wenn bedürftige Studierende für die oft hohen Kosten, die zum Beginn eines Studiums anfallen - Mietkautionen, Laptop, Einschreibegebühren - staatliche Unterstützung bekommen. Nur müssen der Bund und die Länder dafür sorgen, dass die Auszahlung der Studienstarthilfe über die BAföG-Ämter der Studierendenwerke auch unkompliziert und schnell funktioniert. Wir haben schon jetzt in den BAföG-Ämtern eine Notlage: zu wenig Fachpersonal und eine völlig unzureichende, den Namen nicht verdienende Digitalisierung.