sozial-Recht

Landessozialgericht

Vollstationäre Klinikbehandlung geht auch in 16 Minuten




Eingang zum Reanimationsraum
epd-bild/Werner Krüper
Für akute, nur Minuten dauernde Notfallbehandlungen können Kliniken einen vollen Behandlungstag abrechnen. Voraussetzung ist, dass ein hoher Einsatz von personellen und sächlichen Klinikmittel nötig war, urteilte das Landessozialgericht Stuttgart.

Stuttgart, Kassel (epd). Ein Krankenhaus kann für einen bei laufender Reanimation auf die Intensivstation eingelieferten und nach 16 Minuten verstorbenen Patienten einen vollen Behandlungstag abrechnen. Die Krankenkasse darf die Vergütung nicht mit dem Argument verweigern, der Patient sei nicht für einen vollen Tag im Krankenhaus aufgenommen worden und es habe kein für die stationäre Aufnahme erforderlicher Behandlungsplan vorgelegen, entschied das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart in einem am 3. April veröffentlichten Urteil.

Reanimationsversuche erfolglos

Im entschiedenen Rechtsstreit ging es um einen Versicherten, der am 26. September 2018 wegen massiver Atemnot den Rettungsdienst gerufen hatte. Aufgrund einer Lungenembolie und eines Rechtsherzversagens musste der Rettungsdienst Wiederbelebungsmaßnahmen einleiten. Unter laufender Reanimation wurde der Mann um 22.18 Uhr ins Krankenhaus gebracht, wo er zehn Minuten später auf der Intensivstation aufgenommen wurde. Als auch dort die anhaltenden Reanimationsversuche erfolglos blieben, wurde um 22.34 Uhr der Tod festgestellt.

Das Krankenhaus stellte für die stationäre Aufnahme einen vollen Behandlungstag in Rechnung. Wegen der kurzen Aufnahme wurde ein Abschlag vorgenommen, so dass die Krankenkasse noch 1.382 Euro zahlen sollte.

Doch die Krankenkasse stellte fest, dass gar keine stationäre Krankenhausbehandlung vorgelegen habe. Voraussetzung für eine stationäre Aufnahme sei, dass „nach dem Behandlungsplan des aufnehmenden Krankenhausarztes eine Tag- und Nachtleistung geplant“ sei. Hier sei es aber wegen des Todes des Patienten gar nicht mehr zu einer Aufnahmeentscheidung gekommen.

Es sei zudem davon auszugehen, dass der Versicherte bereits im Rettungswagen verstorben sei. Der Rettungsdienst habe den Versicherten nur deshalb noch in das Krankenhaus eingeliefert, um die Fahrt vergütet zu bekommen. Im Fall eines im Rettungswagen festgestellten Todes wären außerdem umfangreiche Hygienemaßnahmen erforderlich gewesen, die man sich offensichtlich habe sparen wollen.

Kurzzeitige Notfallbehandlung

Das LSG urteilte, dass der Versicherte trotz der nur 16-minütigen Behandlung vollstationär aufgenommen worden sei und das Krankenhaus die Vergütung für einen Behandlungstag verlangen könne. Zwar sei grundsätzlich nur von einer vollstationären Aufnahme auszugehen, wenn der Patient mindestens einen Tag und eine Nacht im Krankenhaus ununterbrochen versorgt worden sei.

Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) kann jedoch auch bei einer nur kurzzeitigen Notfallbehandlung eine stationäre Aufnahme vorliegen, wenn der Patient unter intensivem Einsatz der personellen und sächlichen Klinikmittel behandelt werden musste, heißt es in dem BSG-Urteil vom vom 29. August 2023.

Im vom BSG entschiedenen Fall ging es um die notfallmäßige Aufnahme eines Patienten mit Schlaganfallverdacht in die Kreiskliniken Gummersbach-Waldbröl. In der zertifizierten Schlaganfallstation wurde innerhalb von 60 Minuten das Blut des Patienten untersucht, eine Computertomografie und ein Ruhe-EKG erstellt und mit der Feststellung eines Hirninfarkts die medikamentöse Auflösung des Blutgerinnsels veranlasst. Danach wurde der Patient in ein anderes Krankenhaus verlegt.

Mit der kurzzeitigen Notfallbehandlung habe eine stationäre Aufnahme vorgelegen, so dass die Kreiskliniken einen vollen Behandlungstag abrechnen können, urteilte das BSG. Denn es seien mit hoher Intensität die besonderen personellen und sachlichen Mittel im erstangegangenen Krankenhaus genutzt worden. Davon sei bei der Behandlung in einem Schockraum oder auf einer Schlaganfallstation regelmäßig auszugehen.

Behauptungen nicht belegt

Diese Rechtsprechung ist auf die Notfallbehandlung in einer Intensivstation übertragbar, stellte im aktuellen Fall das LSG fest. Bei der Behandlung auf der Intensivstation sei regelmäßig von einem intensiven Einsatz sächlicher und personeller Klinik-Ressourcen auszugehen. Ein umfangreicher Behandlungsplan habe angesichts des Zeitdrucks und der lebensbedrohlichen Situation nicht erstellt werden können. In akuten Notfallsituationen trete daher an die Stelle des Behandlungsplans ein für solche Fälle entwickeltes standardisiertes Verfahren.

Für den Verdacht der Krankenkasse, dass der Patient bereits im Rettungswagen verstorben und nur aus finanziellen Erwägungen in die Klinik eingeliefert worden sei, gebe es keine Belege, urteilte das LSG. Im Gegenteil: Denn hier habe der Versicherte wegen der Lungenembolie blutgerinnungshemmende Medikamente erhalten. In solch einem Fall würden die Reanimations-Leitlinien des Deutschen Rats für Wiederbelebung Reanimationsmaßnahmen von mindestens 60 bis 90 Minuten vorsehen. Diese Frist sei hier vom Rettungsdienst und dem Klinikpersonal eingehalten worden.

Az.: L 4 KR 1217/22 (LSG Stuttgart)

Az.: B 1 KR 15/22 R (BSG)

Frank Leth