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Senioren

Partnerschaften zwischen Jung und Alt gegen Einsamkeit




Allein auf einer Parkbank (Themenfoto Einsamkeit)
epd-bild/Jens Schulze
Alte Menschen verlieren in den letzten Jahren ihres Lebens oft ihren Ehepartner und langjährige Freunde, weil diese vor ihnen sterben. Ehrenamtliche des Vereins "Freunde alter Menschen" tun etwas gegen Vereinsamung und besuchen die Alten regelmäßig.

München, Berlin (epd). Judith Holst (Name geändert) klingelt im zweiten Stock an einer Wohnungstür. Die 22-jährige Studentin engagiert sich in München seit zwei Jahren ehrenamtlich beim Verein „Freunde alter Menschen“. Einmal in der Woche besucht sie die 90-jährige Josefa Wendt (Name geändert), die ihr die Tür öffnet. Sie freut sich über den Besuch.

„Sie geht mir ab“

Holst zieht die Straßenschuhe aus und ein Paar Hausschuhe an. Dann gehen beide ins Wohnzimmer und setzen sich auf eine Bank.

Wendt kam vor 62 Jahren mit ihrem Mann nach München. Er arbeitete als Schreiner in einer nahen Papierfabrik. Vor 10 Jahren ist er gestorben. Eine Nachbarin, mit der Wendt eng befreundet war, ist ebenfalls bereits tot. „Sie geht mir ab“, sagt die 90-Jährige. „Ich bin zwischendurch sehr traurig.“

Millionen Menschen in Deutschland fühlen sich nach Einschätzung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einsam. Das Ministerium hat deshalb eine „Strategie gegen Einsamkeit“ erarbeitet. Zahlreiche Initiativen versuchen, Menschen aus ihrer sozialen Isolation herauszuholen.

„Ratschbankerl“ und „Ratschkassen“

Auch die Stadt München hat sich des Themas angenommen. Sie hat zum Beispiel vorhandene Sitzbänke einfach zu „Ratschbankerl“ umetikettiert. „Dabei handelt es sich um speziell gekennzeichnete Parkbänke, die zum gegenseitigen Austausch einladen“, heißt es in dem vom Stadtrat verabschiedeten Antrag.

Im schwäbischen Buxheim bei Memmingen wurden im vergangenen Jahr in einem Supermarkt sogenannte „Ratschkassen“ (offizieller Name: Langsam-Kassen) eingerichtet. Da können die Kunden mit der Kassiererin plaudern.

In München-Sendling sitzt Hannah Kietzerow im Büro des Vereins „Freunde alter Menschen“ und sagt: „Wir stiften Besuchspartnerschaften zwischen Jung und Alt, um das Alleinsein zu mildern.“ Von Einsamkeit seien vor allem ältere Menschen betroffen, denn mit den Jahren „schrumpft der Radius sehr schnell“, sagt die Sozialpädagogin. Im Alter werde es schwieriger, aus dem Haus zu gehen und zum Beispiel Freunde zu besuchen. Weil das Gehen immer schwerer fällt und Senioren oft unsicher auf den Beinen sind. Für viele hochbetagte Menschen sei ein Leben in Einsamkeit und Isolation traurige Realität.

Jeder achte fühlt sich einsam

Der Verein „Freunde alter Menschen“ wurde ursprünglich im Frankreich der Nachkriegszeit gegründet, als „Les petits frères des pauvres“ („Die kleinen Brüder der Armen“), die sich anfänglich um verarmte Kriegswitwen kümmerten. Heute ist er in fünf Großstädten in Deutschland aktiv. Er startete in den 1990er Jahren in Berlin, in München existieren aktuell 36 dieser Partnerschaften zwischen Jüngeren und Senioren.

12,5 Prozent der Altersgruppe von 46 bis 90 Jahren fühlten sich nach Angaben des bayerischen Gesundheitsministeriums im Jahr 2020 im Freistaat einsam. 2014 seien es 8,5 Prozent gewesen. „Die Einsamkeit hat während der Corona-Pandemie zugenommen. Denn Kontaktreduzierung zum Schutz der Gesundheit hat vermehrt zu Einsamkeit geführt“, erklärt das Ministerium.

Bei Josefa Wendt beginnt der Morgen, wenn der Pflegedienst klingelt und ihr hilft, die Stützstrümpfe anzuziehen. Mittags kommt dann das „Essen auf Rädern“. „Am Anfang habe ich gedacht, das esse ich nicht“, erinnert sich die 90-Jährige, „dann ist es aber besser geworden.“

Sie hat einen Sohn sowie mehrere Enkel und Urenkel. Natürlich kommen sie manchmal zu Besuch, aber Sohn und Enkel sind eben berufstätig. So wird der Tag schon mal lang und einsam: „Ich sitze ja den ganzen Tag zu Hause.“ Der regelmäßige Besuch von Judith Holst ist ihr daher sehr wichtig.

Erlebnisse und Erfahrungen sollen weitergegeben werden

Was machen Judith und Josefa, wenn sie zusammen sind? „Uns geht der Gesprächsstoff nie aus“, sagt Holst. Sie reden zum Beispiel über Fernsehsendungen, die sie gemeinsam gesehen haben. Das „Traumschiff“ mit Florian Silbereisen etwa.

Oder die beiden Frauen, die fast 70 Jahre auseinander liegen, sprechen über Freundschaften. Manchmal gehen sie Kaffeetrinken oder machen einen kleinen Spaziergang. Holst finde es „wichtig, dass Erlebnisse und Erfahrungen weitergegeben werden“.

Wenn Holst wieder gegangen ist, klingelt um 20.30 Uhr noch einmal der Pflegedienst, wegen der Stützstrümpfe. Dann noch etwas Fernsehen in der Wohnküche, und der Tag ist für die 90-Jährige wieder vorbei.

Rudolf Stumberger