sozial-Branche

Kinderbetreuung

Interview

Fachverband: Personalnot in Kitas wird sich noch zuspitzen




Waltraud Weegmann, Deutscher Kitaverband
epd-bild/Deutscher Kitaverband
Eltern und Unternehmen klagen, dass die Kita-Betreuung zunehmend unzuverlässig ist. Waltraud Weegmann, Vorsitzende des Deutschen Kitaverbandes, bestreitet das nicht. Es fehle schlicht an Fachkräften. Sie nimmt im Interview mit epd sozial die Politik in die Pflicht, die Personallage in den Einrichtungen zu verbessern. Ideen dazu hat sie, doch keine davon wird schnell greifen.

Frankfurt a. M. (epd). Verkürzte Öffnungszeiten, Notgruppen oder gar Aufnahmestopp: Die Reaktion vieler Kitas auf die Personalnot bringt Eltern nicht selten an den Rand der Verzweiflung. Doch die Lage wird sich laut Waltraud Weegmann so schnell kaum entspannen. Im Gegenteil: „Wir rechnen mit einem sich weiter verschärfenden Personalmangel vor allem in den alten Bundesländern, auch weil hier noch der massive Ausbau der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder bis 2026 dazukommt.“ Die Fragen stellte Dirk Baas.

epd sozial: Das Thema Personalmangel in den Kitas und die Folgen davon sind derzeit in aller Munde. Eltern beklagen laut hörbar, oft keine verlässliche Betreuung ihrer Kinder vorzufinden. Wie lösen Ihre Einrichtungen das Problem zumindest vorübergehend?

Waltraud Weegmann: Die Kitas verkürzen die Öffnungszeiten, haben tageweise Notgruppen, schließen ganze Gruppen oder nehmen keine neuen Kinder auf. Häufig können neue Kitas nur teilweise oder gar nicht eröffnet werden, weil nicht genug Personal da ist. Die Kitas helfen sich darüber hinaus, sofern das aufgrund der jeweiligen Kita-Gesetze überhaupt möglich ist, mit Quereinsteigerinnen oder Hilfskräften.

epd: Wie viel pädagogisches Personal fehlt bundesweit aktuell?

Weegmann: Es fehlen über 100.000 Erzieherinnen und Erzieher. Das sind die Zahlen, die die Bertelsmann Stiftung in ihrem „Fachkräfte-Radar für KiTa und Grundschule 2023“ ermittelt hat.

epd: Was sind die Gründe für die aktuellen Probleme? Es gibt doch heute fast doppelt so viele ErzieherInnen wie noch vor zehn Jahren.

Weegmann: Ja, absolut gesehen sind die Zahlen bei den Erziehern und Erzieherinnen gestiegen. Dieses hohe Wachstum ist ein großer Erfolg. Es zeigt, dass der Beruf Erzieher attraktiv ist. Allerdings haben wir dadurch alle im Markt befindlichen Fachkräfte in den Kitas bereits eingesetzt. Parallel dazu wurden die Ausbildungskapazitäten erhöht und neue attraktive praxisintegrierte Ausbildungen geschaffen. Gleichzeitig wurden aber auch viele Kitaplätze neu geschaffen und bestehende Teilzeitplätze in Ganztagesplätze umgewidmet, sodass der Bedarf an Personal gestiegen ist. Und der Bedarf an Kita-Plätzen ist noch lange nicht gedeckt, vor allem in den alten Bundesländern nicht. Zudem leidet die Gewinnung von Auszubildenden unter der demografischen Entwicklung und führt zu geringeren Bewerberinnenzahlen.

epd: Wie sieht vor diesem Hintergrund die Zukunft aus?

Weegmann: Wir rechnen mit einem sich weiter verschärfenden Personalmangel vor allem in den alten Bundesländern, auch weil hier noch der massive Ausbau der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder bis 2026 dazukommt. Hier könnte es zusätzlich zu den akut bestehenden Problemen noch zu Konkurrenz zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Schule um die Erzieherinnen und Erziehern kommen.

epd: Welche Forderungen erheben Sie an die Politik, der Lage doch irgendwie Herr zu werden?

Weegmann: Es wird nicht die eine Lösungen geben, wir brauchen viele Ansätze. Grundsätzlich müssen Bund und Länder stärker zusammenarbeiten und zügig zu Lösungen kommen.

epd: Welche Veränderungen schweben Ihnen vor?

Weegmann: Viele. Hier nur ein paar Beispiele: Der Quereinstieg in eine Tätigkeit in den Kitas muss vereinfacht und die Ausbildung flexibler gestaltet werden. Aus dem Fachkraftschlüssel muss ein Personalschlüssel werden, damit die Träger in eigener Verantwortung freie Stellen besetzen können. Und wir brauchen eine Qualifizierungsoffensive, damit die Mitarbeitenden in den Kitas mit bestmöglicher Fortbildungen ihre herausfordernde Tätigkeit mit hoher Qualität erfüllen können.

epd: Stichwort Qualität. Wie lässt sie sich trotz ungünstiger Rahmenbedingungen erhalten?

Weegmann: Das wird gelingen, wenn Träger die Verantwortung für die Steuerung ihrer Kitas und die Qualitätsentwicklung selbst übernehmen. Die öffentliche Hand sollte als Unterstützung der Qualitätsmaßnehmen externe Evaluationen fördern und fordern. Pädagogische Kräfte müssen von Verwaltungstätigkeiten entlastet werden, damit sie ihrer eigentlichen Arbeit mit den Kindern nachgehen können. Eine Karriere in der Kita muss sich auch finanziell lohnen, wir brauchen flexiblere Eingruppierungsmöglichkeiten je nach Qualifizierung. Pädagogische Abschlüsse aus der EU und aus Drittstaaten müssen unbürokratischer anerkannt, Abschlüsse für die pädagogischen Assistenzberufe müssen bundesweit gleichwertig anerkannt werden. Grundsätzlich müssen Bund und Länder stärker zusammenarbeiten und zügig zu Lösungen kommen.



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