Großerlach (epd). Im Herzen des Naturparks Schwäbisch-Fränkischer Wald betreibt das diakonische Sozialunternehmen „Erlacher Höhe“ im Rems-Murr-Kreis ein Pflegeheim für Menschen ohne festen Wohnsitz. Nur zwei dieser stationären Einrichtungen gibt es in Baden-Württemberg. Zwar sind es Seniorenheime, und doch ist dort einiges anders.
In Pflegeheimen leben üblicherweise vorwiegend hochbetagte Damen. Im Pflegeheim in Großerlach ist das anders. 27 der 30 Bewohner sind männlich, im Schnitt kaum 70 und froh, überhaupt ein Zuhause zu haben. Die Lebenserwartung von Menschen, die auf der Straße gelebt haben oder in besonderen sozialen Schwierigkeiten stecken, sei um etwa zehn Jahre verkürzt, sagt Karl-Michael Mayer, Abteilungsleiter der Sozialen Heimstätte Erlach.
Gerald Rikker ist erst 53. Aufgrund eines schweren Herzfehlers hatte er schon in früher Kindheit viel Zeit im Krankenhaus verbringen müssen. Trotzdem konnte er eine Bäcker- und Konditorlehre abschließen. Doch dann hörte sein Chef auf. Aus der Wohnung, die er mit anderen teilte, flog Rikker raus - der Vermieter wollte das Haus verkaufen.
„Ich wohnte dann erst mal in einer Gaststätte“, erzählt der freundliche Schwabe. „Aber das konnte natürlich nicht so bleiben. Da ich keine Wohnung fand, habe ich mich an die Stadt Backnang gewandt. Die haben mich dann in einer Obdachlosenunterkunft untergebracht.“
Das halbe Jahr dort war für ihn keine glückliche Zeit. „Ein Freund hat mir erzählt, er habe einen Bekannten, der in der Wohnungsnotfallhilfe der Erlacher Höhe arbeitet“, erzählt Rikker. Er meldete sich dort - und fand neben einer passenden Wohnmöglichkeit auch persönliche Unterstützung für seinen Alltag, nahm an tagesstrukturierenden Beschäftigungsangeboten teil.
Seit einer weiteren gesundheitlichen Verschlechterung und einem längeren Krankenhausaufenthalt wohnt Rikker nun im Pflegeheim auf dem gleichen Gelände. „Ich bin hier sehr zufrieden“, sagt der Mann, der eine Herzklappen-OP hinter sich hat und dreimal in der Woche mit dem Taxi zur Dialyse nach Backnang gefahren wird. Allerdings - da sind sich Mayer und Rikker einig - sei es nicht ideal, dass aufgrund des Fachkräftemangels Zeitarbeitskräfte eingesetzt werden müssten, die dann die Heimbewohner nicht so gut kennen. „Ich merke immer wieder, dass es schon ein Unterschied ist, wer mir die Füße wickelt“, sagt der Heimbewohner.
Längst sind Rikkers Eltern verstorben, inzwischen auch sein Bruder. Dass er eine Lebenspartnerin hat, die an den Wochenenden herkommt, ist ein Glücksfall. Dass Bewohner Besuch bekommen, sei sehr selten, sagt Karl-Michael Mayer. Die biografischen Brüche seien oft auch mit starken Abbrüchen in persönlichen Beziehungen verbunden. Nur etwa zehn Prozent hätten noch Kontakt zu Familienangehörigen.
Viele kommen wie Rikker aus Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe ins Erlacher Pflegeheim. „Wir fangen aber auch verarmte Menschen auf, die im eigenen Zuhause verwahrlosen, weil sie nicht mehr für sich sorgen können oder denen buchstäblich das Dach über dem Kopf zusammenfällt“, sagt Mayer.
Damit sich die Menschen, für die es lange keinen Platz gab, schnell zu Hause fühlen können, wird größtmögliche Rücksicht auf persönliche Eigenheiten genommen. „Jeder darf so, wie er kommt, sein“, so Mayer. Manche seien sehr laut, brächten eine derbe Sprache mit, andere wiederum seien sehr zurückgezogen.
Da viele mit Suchtproblemen zu tun hätten, sei etwa eine kontrollierte Bierabgabe an die Bewohner möglich, auch Rauchen auf dem Zimmer sei erlaubt. Und wenn jemand nun mal nicht duschen wolle, spreche man das Thema erst am nächsten Tag wieder an. Manchmal helfe es, wenn eine andere Person aus dem Team es noch mal versuche - Vertrauensbeziehungen spielten eine große Rolle.
Der Bedarf ist groß. Doch in Baden-Württemberg gibt es außer auf der „Erlacher Höhe“ nur noch ein weiteres für diese Klientel spezialisiertes Pflegeheim, das von der Evangelischen Gesellschaft in Stuttgart betrieben wird.
Die Pläne, in Erlach ein Pflegeheim mit doppelt so vielen Plätzen zu bauen, das zudem wirtschaftlicher wäre, mussten letzten Sommer auf Eis gelegt werden. Neben unerwarteten Kostensteigerungen ist der Hauptgrund, dass Fachkräfte fehlen, die sich in der landschaftlich reizvollen, aber etwas abgeschiedenen Lage im Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald für diese Menschen einbringen.