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Senioren

Hilfsbedürftigkeit im Alter: Erhobener Zeigefinger ist fehl am Platz




Wenn Eltern nicht mehr alleine zurechtkommen, sind sensible Gespräche nötig.
epd-bild/Jens Schulze
Werden Mutter und Vater alt und brauchen Hilfe, sprechen viele erwachsene Kinder das falsch an. Statt Vorwürfe oder Verbote zu formulieren, sollten sie offen und freundlich ihre Sorge um die Eltern zum Ausdruck bringen, raten Experten.

Hamburg, Bonn (epd). Früher wischte Mutter jedes Staubkorn weg und Vater überholte mit Tempo 190 auf der Autobahn. Heute hängen Spinnweben im Türrahmen und das Auto kriecht wie eine Schnecke über die Straße. Oft kommt irgendwann der Tag, an dem Kinder bei ihren Eltern Veränderungen wie diese bemerken. Sie fragen sich dann: „Wie sage ich Mama und Papa, dass sie Hilfe benötigen?“

Hilfreich sei, die Frage „Was ist eigentlich, wenn …“ bereits dann bei den Eltern anzusprechen, wenn diese noch fit sind, rät Katrin Kell, Fachbereichsleitung Pflege und Senioren bei der Diakonie Hamburg. Eltern falle es dann vielleicht leichter, darüber zu reden, „weil es noch so lange hin ist“. Dabei könnten eine Vorsorgevollmacht und eine Patientenverfügung formuliert werden.

Eltern sehen lange keinen Hilfsbedarf

„Kinder definieren einen Hilfsbedarf fast immer, lange bevor die Eltern das selbst so sehen“, sagt Familientherapeutin und Coachin Birgit Lambers aus Heiligenhaus in Nordrhein-Westfalen. Die Autorin des Buchs „Wenn die Eltern plötzlich alt sind: Wie wir ihnen helfen können, ohne uns selbst zu überfordern“ warnt davor, das Thema mit Worten zu beginnen, „die wie ein erhobener Zeigefinger wirken“. Statt Vorwürfe zu formulieren oder Verbote auszusprechen, sollten Kinder sagen, dass sie sich um ihre Eltern sorgen. „Das ist ein guter Türöffner.“

Andreas Kruse, Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (Bagso), appelliert an Kinder, sich vom Grundsatz „Ich erkenne nicht nur die Verletzlichkeit, sondern auch die Kräfte meines Gegenübers - beides spreche ich an“ leiten zu lassen. Dabei gelte es, gemeinsam zu überlegen, wie die Verletzlichkeit gelindert oder bewältigt werden kann.

Autofahren von Senioren - ein „heikles Thema“

Ein „heikles Thema“ ist nach der Erfahrung von Carolin Allers von der Hamburger AWO-Sozialstation Mümmelmannsberg das Autofahren. „Denn die damit verbundene Unabhängigkeit ist groß.“ Sollte das Fahren bereits eine Gefahr für die Eltern und andere darstellen, empfiehlt Allers, den Hausarzt einzubeziehen. „Oft ist eine externe fachliche Meinung ein prägnanter Schachzug.“

Familientherapeutin Lambers zufolge meinen viele Menschen, dass Senioren ab einem bestimmten Alter generell nicht mehr Auto fahren sollten. Sie widerspricht: „Ein Mensch Mitte 80 hat laut Statistik das gleiche Risiko, einen Unfall mit Personenschaden zu verursachen wie ein Fahranfänger.“ Senioren das Fahren zu untersagen, sei altersdiskriminierend und in der Regel unbegründet.

Kinder müssen Zurückweisung akzeptieren

Geht es um das Erkennen einer Demenz, sollten Kinder nach Allers' Ansicht eines beherzigen: „Da wir alle keine Ärzte sind, stellen wir keine Diagnosen.“ Stattdessen sollten sie ihre Bedenken aussprechen und eine ärztliche Abklärung vorschlagen.

Auch Lambers rät zum Arztbesuch, weiß aber: „Das ist nicht einfach, weil ein Mensch mit beginnender Demenz sich meist mit Händen und Füßen gegen eine Untersuchung wehrt - weil er selber ahnt, was mit ihm los ist.“ Sie empfiehlt, das Wort Demenz zu vermeiden und lieber Sätze zu sagen wie: „Vielleicht ist es etwas, das man behandeln kann.“

Können oder wollen Kinder sich nicht selbst um ihre Eltern kümmern, müsse das klar gesagt werden, sagt Lambers. Zugleich gelte es, den Eltern Zeit zu lassen. „Sprechen Sie es häppchenweise an. Sagen Sie Ihren Eltern, dass Sie Verständnis für den Wunsch haben, die Kinder mögen sie pflegen. Machen Sie ihnen aber auch deutlich, dass Sie das nicht schaffen, weshalb sie gemeinsam nach anderen Möglichkeiten suchen müssen.“

Lehnen Eltern alle Vorschläge ab, müssten Kinder dies akzeptieren, sagt Allers. Ihrer Erfahrung nach komme das allerdings meistens nur zu Beginn vor. „Nach zwei, drei Wochen sind alle Beteiligten in der Situation angekommen und vieles wird akzeptiert.“

Marcel Maack


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